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Wichtige Entscheidung für Asylrecht: EuGH-Urteil erhöht Hürden für Bestimmung sicherer Herkunftsländer – Kritik aus Italien
Das „Albanien-Modell“ der Regierung in Rom für beschleunigte Asylverfahren ist umstritten. Nun befindet das oberste EU-Gericht, dass dafür bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen.
Stand:
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erhöht mit einem Urteil die Hürden für die Festlegung sicherer Herkunftsstaaten für beschleunigte Asylverfahren. Die EU-Länder dürfen solche Listen nur selbst erstellen, wenn sie die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen. Zudem gilt derzeit, dass die gesamte Bevölkerung in dem Land sicher sein muss, entschieden die Richterinnen und Richter in Luxemburg.
In dem Verfahren ging es um Italiens umstrittenes „Albanien-Modell“ für schnelle Asylverfahren im Ausland. Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung, um das Modell umsetzen zu können. Die Regierung in Rom kritisierte das Urteil scharf.
Männer aus Bangladesch klagten gegen Italien
Wer aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommt und in der EU einen Asylantrag stellt, kann schneller abgelehnt werden. EU-Länder können selbst bestimmen, welche Staaten sie als sicher ansehen. Der EuGH legt in seinem Urteil nun fest, dass diese Einschätzung aber überprüfbar sein muss.
Außerdem dürfen dem Urteil nach Mitgliedstaaten – zumindest bis zum Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung – einen Drittstaat nicht als „sicheren“ Herkunftsstaat bestimmen, wenn bestimmte Personengruppen, etwa homosexuelle Menschen, dort nicht sicher sind.
Im konkreten Fall, der dem EuGH-Urteil zugrunde liegt, klagten zwei Menschen aus Bangladesch gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge, weil ihr Herkunftsland von Italien als sicher eingestuft wird. Sie gehörten zu denjenigen Migranten, die von Italien in Lager nach Albanien gebracht wurden.
Grundidee des „Albanien-Modells“ ist es, Asylanträge von männlichen erwachsenen Migranten, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, in Schnellverfahren im Ausland zu prüfen. Dazu schloss Italien ein Abkommen mit Albanien zum Aufbau von zwei Lagern auf albanischem Territorium.
Es ist das Prestigeprojekt von Italiens rechter Regierungskoalition unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, liegt aber wegen Widerstands in der italienischen Justiz derzeit auf Eis. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation ActionAid und der Universität Bari waren die Zentren 2024 effektiv nur an fünf Tagen in Betrieb – und das bei sehr hohen Kosten.
Meloni kritisierte die Entscheidung scharf. In einer am Freitag auf der Internetplattform X verbreiteten Erklärung bezeichnete die rechtsgerichtete Regierungschefin das Urteil als „überraschend“ und „beunruhigend“. Die europäische Justiz überschreite damit ihre Zuständigkeiten.
Urteil auch für Deutschland wegweisend
Der EuGH habe beschlossen, die Entscheidung über Teile der italienischen Migrationspolitik „einem beliebigen nationalen Richter zu überlassen“, erklärte Meloni und beklagte eine Einschränkung des Spielraums für Regierungen und Parlamente. Die Entscheidung schwäche die Politik zur „Bekämpfung der illegalen Masseneinwanderung und zum Schutz der nationalen Grenzen“, schrieb die Vorsitzende der rechtsnationalen Regierungspartei Fratelli d’Italia.
Das Urteil des höchsten europäischen Gerichts ist auch für Deutschland wegweisend, bestätigt Migrationsrechts-Expertin Pauline Endres de Oliveira. Denn auch Deutschland hat eine Liste sicherer Länder festgelegt. Sie umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und Senegal. „Die europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier“, so Endres de Oliveira.
Es darf keine ‚rechtsfreien Zonen‘ außerhalb der EU geben, in denen Mitgliedsstaaten sich ihrer Verantwortung für Asylsuchende scheinbar einfach entledigen können.
Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin der Hilfsorganisation Pro Asyl
Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem „Albanien-Modell“ weitergehen kann, ist laut der Rechtsexpertin unklar. „Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim ‚Italien-Albanien-Modell‘ im Raum stehen“, erklärt die Professorin der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert werden – und eine Asylantragstellung sei kein Haftgrund.
Pro Aysl kritisiert „gefährliche ‚Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn‘-Politik“
Das von Italien vorgebrachte Modell sei eine „gefährliche ‚Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn‘-Politik, die sich um Menschenrechte und die Schicksale der Betroffenen nicht schert“, erklärte die rechtspolitische Sprecherin der Hilfsorganisation Pro Asyl, Wiebke Judith, am Freitag vor dem Urteilsspruch. Die Kosten für das von Meloni vorangetriebene Konzept seien „exorbitant, was in einem krassen Gegensatz zu der völligen Ineffizienz und Wirkungslosigkeit des Modells steht“, fügte Judith hinzu.
Judith kritisierte weiter: „Ganz gleich, ob die albanischen Lager zur Durchführung von Asylverfahren oder als Abschiebelager dienen – die menschenrechtliche Bilanz des ‚Albanien-Modells‘ ist verheerend: Pauschale Inhaftierungen, fehlender Zugang zu Rechtsschutz, Intransparenz sowie das Ausbleiben demokratischer Kontrolle haben zur systematischen Entrechtung von Schutzsuchenden beigetragen.“
Die Pro-Asyl-Sprecherin forderte: „Es darf keine ‚rechtsfreien Zonen‘ außerhalb der EU geben, in denen Mitgliedsstaaten sich ihrer Verantwortung für Asylsuchende scheinbar einfach entledigen können.“ (Tsp/dpa/AFP)
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