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„Wir sind müde“: Ukrainische Soldaten in „schwerer Front-Krise“ – während Russland weiter vorrückt
Im Schnitt 20 Quadratkilometer pro Tag Geländegewinne machen russische Truppen derzeit in der Ukraine. Ein Verteidiger berichtet von Zermürbungserscheinungen auf ukrainischer Seite.
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Russische Streitkräfte haben in den Monaten Mai und Juni offenbar ihre Gebietsgewinne in den stark umkämpften Regionen beschleunigt. Das geht aus einem Bericht des britischen Verteidigungsministeriums hervor, der am Donnerstag via X veröffentlicht wurde.
Demnach sollen die russischen Truppen im Juni zwischen 550 und 600 Quadratkilometer ukrainisches Territorium erobert haben, was einem durchschnittlichen Geländegewinn von 18 bis 20 Quadratkilometer pro Tag entspreche. Bereits im Mai sei eine Steigerung verzeichnet worden, so die britischen Analysten. Noch im April hätten die Gebietsgewinne bei etwa 200 Quadratkilometer gelegen.
Dies ist eine Zeit der schweren Krise. Wir haben an Kraft verloren. Wir sind müde. Wir haben Verluste erlitten.
Olexandr Solonko, ukrainischer Soldat
Die jüngsten Gebietsgewinne sollen sich weitestgehend auf „ländliche, weniger bebaute Gebiete“ konzentriert haben, heißt es aus London. „Russland hat sich darauf konzentriert, Schwachstellen in der Verteidigungslinie ausfindig zu machen“, berichten die Analysten des britischen Verteidigungsministeriums.
Dabei setze der Aggressor weitestgehend auf kleinere Attacken, die es dem Angreifer ermöglichen, „günstige Gelegenheiten zu erkennen und zu nutzen, um die Frontlinie zu durchbrechen und weitere Gewinne zu erzielen.“
Die Einnahme größerer Städte wie etwa Pokrowsk in der Region Donezk und Kupiansk im Gebiet Charkiw gestalte sich für die russischen Truppen hingegen schwieriger, da solche Attacken „eine erheblich größere Masse erfordern“, heißt es in dem Bericht. Stattdessen versuche der Aggressor, die Logistikrouten und Kommunikationslinien rund um die wichtigsten Städte abzuschneiden.
Ukrainischer Soldat berichtet von Kriegsmüdigkeit
Die russischen Gebietsgewinne und Zermürbungstaktiken in den ländlichen Regionen decken sich mit dem Bericht eines ukrainischen Frontsoldaten aus der Region Donezk. So schildert Olexandr Solonko in einem Thread auf X, wie die russischen Gegner sich derzeit auf „den Terror gegen die Zivilbevölkerung im Hinterland“ zu konzentrieren scheinen und die Stadt Pokrowsk langsam aber stetig großräumig umzingeln.
„Die Russen glauben, dass sie uns brechen können, wenn sie jetzt hart genug durchgreifen“, schreibt der Frontsoldat und verweist auf die russische Taktik eines langen Zermürbungskrieges. „Die Moskauer glauben, dass die Summe der Auswirkungen von dreieinhalb Kriegsjahren bald zu Ergebnissen führen wird“, so Solonko.
Der Soldat bemängelt, dass Machthaber „um 50 Tage zocken und dabei versuchen, Entschlossenheit zu demonstrieren“, während ukrainische Kämpfer verzweifelt versuchen, dem Druck russischer Einheiten standzuhalten – sowohl an der Front als auch im Hinterland.
„Wir nähern uns dem Zeitpunkt, an dem wir mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer weiteren großen Krise an der Front konfrontiert werden“, prognostiziert der Militärangehörige der Luftaufklärung. Solonko spielt mit seiner Äußerung mutmaßlich auf das 50-tägige Ultimatum an, das US-Präsidenten Donald Trump dem Kreml vor kurzem gestellt hatte.
Der Frontsoldat wird nicht müde, zu betonen: „Dies ist eine Zeit der schweren Krise. Wir haben an Kraft verloren. Wir sind müde. Wir haben Verluste erlitten – und unser Feind hat eine große Unterstützung im Krieg gegen uns.“
Solonko verweist auf Russlands Verbündete, die „sich wie ein Schakal verhalten“ und der Ukraine in den Rücken fallen. Der Soldat nennt als Beispiel den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und fordert: „Wir müssen uns später an alle erinnern. Sie müssen wissen, dass ihre Versuche, uns zu vernichten, nicht ungestraft bleiben können.“
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