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Trump und Putin.

© Gestaltung: Tagesspiegel/Dessin, Fotos: Imago, dpa, AFP, Getty Images via AFP/David Ramos, Odd Andersen, Reuters

Wochenlanges Chaos und Missverständnisse: Wo die Ukraine-Verhandlungen tatsächlich stehen

Trump macht Druck und Putin pokert: Ein Blick hinter die Kulissen der chaotischen Gespräche zwischen den USA, Russland und der Ukraine.

Stand:

Bei all den internationalen Treffen, der Pendeldiplomatie und den zahlreichen Telefonaten der Verhandler im Ukraine-Friedensprozess fällt es schwer, den Überblick zu behalten. So schimpfte US-Präsident Donald Trump am Sonntag, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den neuesten Entwurf des Friedensplanes noch nicht gelesen habe. Aber über welchen Entwurf sprach er da genau?

Selenskyj wiederum sorgte am Montag für Verwirrung, als er ankündigte, einen überarbeiteten Entwurf des Friedensplanes nach Washington an die US-Verantwortlichen zu schicken. Am Mittwoch war der Plan immer noch nicht in Washington angekommen. Ein ukrainischer Regierungsvertreter teilte zumindest mit, dass der Plan losgeschickt worden sei.

Aus dem Kreml gab es am Mittwoch wiederum Lob für ein Interview Trumps. Der US-Präsident hatte im Gespräch mit dem Politikmagazin „Politico“ erklärt, dass Russland in den Verhandlungen über ein Ende des Ukraine-Krieges wegen seiner Größe in einer besseren Position sei und die Ukraine nie der Nato beitreten werde. „In vielerlei Hinsicht stimmt das mit unserem Verständnis überein, was die Nato-Mitgliedschaft, die Gebiete und den Verlust von Land seitens der Ukraine betrifft“, bemerkte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. 

All das sind gleichzeitig Punkte, die die Ukrainer und Westeuropäer auch nach Wochen intensiver Diplomatie ganz anders sehen. Gab es also zuletzt gar keine Fortschritte in Richtung Frieden?

Hier ein Überblick, wo die Friedensgespräche gerade stehen und warum sie just in dieser Woche vielleicht eine überraschende Wende genommen haben.

18. November: Der Friedensplan wird öffentlich

Den Anfang des jüngsten Friedensprozesses machte Mitte November das Leak eines 28-Punkte-Plans, den das Verhandler-Duo auf US-Seite – Steve Witkoff und Trump-Schwiegersohn Jared Kushner – mit dem russischen Unterhändler Kirill Dmitrijew über Wochen ausgearbeitet hatte.

Zwar waren auch ukrainische Verhandler involviert, die sich in dieser Zeit in Florida aufhielten, dennoch flossen in das Dokument vor allem russische Forderungen ein. Die prominentesten und bis heute umstrittensten:

  • Die Ukraine soll den gesamten Donbass an Russland abtreten, außerdem die Gebiete, die Russland aktuell besetzt hält.
  • Die abgetretenen Gebiete werden de facto als russisch anerkannt.
  • Die Ukraine wird nicht Nato-Mitglied.
  • Die USA und Russland investieren russische Gelder in den ukrainischen Wiederaufbau.
  • Für die Ukraine gibt es nicht näher ausgeführte Sicherheitsgarantien.

Die Ukraine und Europäer reagierten empört auf den Plan und kündigten eine überarbeitete Version an. Kanzler Friedrich Merz (CDU) erklärte Trump am Telefon persönlich, dass manche Punkte des Friedensplans inakzeptabel seien.

Der US-Präsident machte dennoch Druck: Er gab Selenskyj rund eine Woche Zeit, den Plan zu prüfen und zu unterzeichnen. Das „Thanksgiving-Ultimatum“ kassierte Trump allerdings nur Tage später wieder ein. Der Friedensprozess brauche mehr Zeit, erklärte er. Damit sollte er Recht behalten.

22./23. November: Europäer und Amerikaner treffen sich in Genf

Die Empörung der Europäer führt dazu, dass eine US-Delegation, bestehend unter anderem aus Witkoff, Kushner und US-Außenminister Marco Rubio, umgehend nach Genf reist, um im persönlichen Gespräch mit Abgesandten der Europäer Anpassungen an dem Plan vorzunehmen. Zahlreiche Punkte des 28-Punkte-Plans werden dabei gestrichen. Die heiklen Fragen der Gebietsabtretungen und der Sicherheitsgarantien werden ausgeklammert. Selenskyj und Trump sollen sie zeitnah bei einem persönlichen Treffen besprechen.

Das Bild zeigt den inzwischen wegen Korruptionsvorwürfen entlassenen Bürochef Selenskyjs, Andrei Jermak, und US-Außenminister Marco Rubio in Genf.

© imago/Xinhua/IMAGO/Lian Yi

Zu dem Treffen der Präsidenten kommt es aber nicht, da Trump plötzlich einen Gipfel erst will, wenn ein Friedensvertrag fertig verhandelt ist. Immerhin scheint das Treffen für die Europäer und Amerikaner fruchtbar gewesen zu sein. Rubio spricht danach von „enormen Fortschritten“, „produktiven Sitzungen“ und davon, dass die Einigung auf einen Frieden nah sei.

Einige Tage nach Genf kommt es erneut zu einem Treffen der US-Delegation – Rubio, Witkoff und Kushner – mit den Ukrainern in Witkoffs Privatclub in Süd-Florida. Bei ukrainischem Borschtsch machen die Verhandler laut einer US-Quelle „erneut Fortschritte“.

2. Dezember: Witkoff und Kushner reisen nach Moskau

Mit den neuen und alten Dokumenten im Gepäck reisen die US-Unterhändler Anfang Dezember nach Moskau. An einem weißen, ovalen Tisch sitzen sie im Kreml rund fünf Stunden mit Wladimir Putin, seinem außenpolitischen Berater Juri Uschakow und Kirill Dmitrijew zusammen. Von Euphorie für den Friedensprozess ist auf russischer Seite nach dem Gespräch nicht viel zu spüren.

Witkoff und Kushner beim Treffen mit Putin und seinen Beratern in Moskau.

© REUTERS/ALEXANDER KAZAKOV

Uschakow gibt anschließend vor Journalisten im Kreml eine hölzerne Erklärung ab. Auch wenn es in den Territorialfragen weiterhin keinen Kompromiss gebe, könnten „einige Vorschläge“ der USA „diskutiert“ werden. „Einige vorgeschlagene Formulierungen passen uns nicht, und die Arbeit geht weiter.“ Fortschritt klingt anders.

Um kurz nach Mitternacht des 3. Dezember russischer Zeit fliegen Kushner und Witkoff zurück in die USA.

4. Dezember: Die Ukrainer verhandeln erneut in Florida

Nur einen Tag später reisen der ukrainische Ex-Verteidigungsminister Rustem Umjerow und Generalstabschef Andrij Hnatow nach Florida, um am Abend mit Kushner und Witkoff weiter zu verhandeln.

Rustem Umjerow verhandelte in Florida mit Witkoff und Kushner.

© dpa/Emrah Gurel

Aus Sicht der Ukrainer hat sich der Friedensplan nach dem Moskau-Besuch von Witkoff und Kushner aber wieder zu ihren Ungunsten verändert. Die Amerikaner dringen bei den dreitätigen Gesprächen laut Medienberichten erneut darauf, dass die Ukraine den gesamten Donbass an Russland abtreten solle.

Am Samstag schließlich rufen Witkoff, Kushner und die Ukrainer bei Selenskyj an, um mit ihm den Zwischenstand zu besprechen. Selenskyj erklärt laut Medienberichten, dass er noch keine Zeit gehabt habe, die Vorschläge zu prüfen, da er sie erst kurz vor dem Telefonat bekommen habe.

Kushner und Witkoff sollen Selenskyj in dem Telefonat erneut zu einer Zusage zu dem Plan gedrängt haben, der inzwischen aus mehreren einzelnen Dokumenten besteht. Bei den entscheidenden Punkten, den Gebietsabtretungen und Sicherheitsgarantien für die Ukraine, sind die Verhandler in Florida laut Insidern kaum bis gar nicht vorangekommen.

Das veranlasst Donald Trump, während er am Sonntag bei einer Kulturveranstaltung in Washington ist, gegen Selenskyj auszuteilen. „Ich bin etwas enttäuscht“, erklärt Trump in Anspielung auf das Telefonat seiner Berater am Vortag. Selenskyj habe den neuen Friedensplan noch nicht gelesen.

„Selenskyjs Berater“, so erklärt Trump, „finden den Plan gut.“ Auch die Russen seien „fein“ damit. Wie Trump darauf kommt, ist unklar.

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Auf ukrainischer Seite gibt es für die neueste Version des Plans jedenfalls nicht so viel Begeisterung, wie Trump meint. Denn Selenskyjs Team macht sich in Absprache mit den europäischen Verbündeten umgehend daran, den Plan erneut zu überarbeiten.

8. Dezember: Selenskyj jettet durch Europa

Offenbar für letzte Absprachen und um sich Rückendeckung zu holen, reiste Selenskyj an diesem Montag nach London, um dort die Regierungschefs von Frankreich, Deutschland und Großbritannien zu treffen. Sie alle erklärten sich solidarisch mit dem Ukrainer – und skeptisch, was die neuesten US-Vorschläge angeht.

Selenskyj fliegt an dem Tag auch nach Brüssel und Rom und verspricht, am Dienstag die zusammen mit den Europäern überarbeiteten Entwürfe für einen Friedensdeal an die US-Seite zu schicken. Am Mittwoch räumt Selenskyj dann ein, dass die Papiere immer noch nicht fertig seien, und verspricht, dass sie am Mittwoch geschickt würden. Vor allem an den Vorschlägen zu den Sicherheitsgarantien müsse noch gearbeitet werden.

Wolodymyr Selenskyj, Keir Starmer, Emmanuel Macron und Friedrich Merz nach einem Treffen vor der Tür der 10 Downing Street in London.

© dpa/Kin Cheung

Im Gespräch sind nun drei Dokumente: der Friedensplan mit 20 Einzelpunkten, ein Vorschlag für Sicherheitsgarantien für die Ukraine und ein Papier, das sich mit dem Wiederaufbau der Ukraine befasst.

Nennenswerte Fortschritte in der Gebietsfrage gibt es aber auch zu diesem Zeitpunkt nicht. Selenskyj erklärt in einem Interview mit dem Nachrichtenportal „Bloomberg“ mit Blick auf die Gebietsabtretungen: „Es gibt Vorstellungen der USA, Russlands und der Ukraine – und wir haben keine gemeinsame Sicht auf den Donbass.“ Die USA suchten weiterhin nach einem Kompromiss in der Gebietsfrage. Für Selenskyj bleibt aber klar, dass die Ukraine keine Gebiete abgeben wird.

Gegenüber dem US-Nachrichtenportal „Politico“ sagt ein europäischer Beamter, der mit dem Verhandlungsprozess vertraut ist: „Die Amerikaner haben einen einfachen Blick auf die Sache: Russland will, dass die Ukraine Gebiet abgibt, und die Amerikaner denken darüber nach, wie das möglich zu machen ist.“

Die Amerikaner bestünden darauf, „dass die Ukrainer den Donbass aufgeben, wie auch immer das konkret aussehen soll“.

9. Dezember: Trump fordert Wahlen in der Ukraine – Selenskyj sagt überraschend zu

In einem am Dienstag veröffentlichten Interview wiederholt Trump die Vorwürfe gegen Selenskyj und erklärt, dass er hoffe, der ukrainische Präsident habe den neuen Plan inzwischen gelesen. Er müsse „in die Gänge kommen und Dinge akzeptieren“. Europa wirft Trump vor, „nicht gut“ mit dem Konflikt umzugehen.

Weiter erklärt Trump in dem Interview, dass Russland aktuell in der stärkeren Verhandlungsposition sei und er sich Wahlen in der Ukraine wünsche. „Sie haben seit langer Zeit keine Wahl mehr gehabt“, konstatiert Trump. „Man redet von einer Demokratie, aber irgendwann ist es dann keine Demokratie mehr.“

Hier sehen Sie das Interview mit „Politico“ im Video:

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Überraschend geht Selenskyj noch am selben Tag auf die Forderung ein und erklärt, innerhalb der nächsten drei Monate Wahlen abhalten zu können – aber nur, wenn die USA und Europa die Sicherheit des Landes während des Prozesses gewährleisteten. Das käme einer Waffenruhe gleich, die die Ukraine und die Europäer schon lange fordern und ursprünglich zu einer Voraussetzung für Friedensgespräche gemacht hatten.

Russland lehnt eine solche Waffenruhe bislang ab. Moskau will die Kämpfe angeblich erst einstellen, wenn ein vollständiger Friedensvertrag ausgearbeitet ist. Auch Trump hatte sich vor Monaten von der Idee verabschiedet, dass einer Waffenruhe Friedensverhandlungen vorangehen müssten.

Dass die Ukrainer unter russischem Beschuss nicht wählen können, dürfte auch Trump einleuchten. Und vielleicht eröffnet genau das einer Waffenruhe neue Chancen. Selenskyj könnte also durch sein Manöver erreicht haben, was die Verhandlungen in den vergangenen Wochen offenkundig nicht erreicht haben: Bewegung in die Friedensgespräche zu bringen.

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