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Zwei Parteien verlassen Israels Regierung : Kann sich Benjamin Netanjahu an der Macht halten?
Im Streit über den Wehrdienst für Ultraorthodoxe haben sich zwei religiöse Parteien aus der Regierung zurückgezogen. Ein israelischer Politik-Experte erklärt die Folgen für Premier Netanjahu.
Stand:
Der israelische Premier Benjamin Netanjahu, der vermeintliche Meisterstratege der israelischen Politik, hat seine Mehrheit im Parlament verloren.
Im Konflikt über die Wehrpflicht strenggläubiger Männer haben sich in schneller Folge zwei ultraorthodoxe Parteien aus seiner Regierung zurückgezogen.
Auf den Rücktritt des Vereinigte Tora-Judentums (VTJ) am Dienstag folgte der von Shas am Abend darauf. Damit kommt Netanjahus Koalition nur noch auf 50 von 120 Sitzen. Ist die am weitesten rechts stehende Regierung der israelischen Geschichte damit am Ende?
Ein Misstrauensvotum droht noch nicht
Die Antwort lautet: zunächst wohl nicht. Denn die beiden ultraorthodoxen Parteien haben eigenen Aussagen zufolge nicht die Absicht, die Regierung zu stürzen. Würden die übrigen Oppositionsparteien also ein konstruktives Misstrauensvotum in der Knesset, dem israelischen Parlament, initiieren, würden VTJ und Shas dieses nicht mittragen.
„Die Regierung wird durchhalten bis zur Sommerpause der Knesset Ende dieses Monats“, sagt Jonathan Rynhold, Politikwissenschaftler an der Bar-Ilan-Universität bei Tel Aviv, im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
„Wenn die Parteien sich aber bis zum Beginn der nächsten Sitzungsperiode im Oktober noch immer nicht auf ein Gesetz zur Wehrpflicht der Ultraorthodoxen einigen können, vermute ich, dass die Regierung fällt – in diesem Fall wäre mit Neuwahlen etwa im Februar zu rechnen.“
Der Streit um die Wehrdienstbefreiung ultraorthodoxer Männer flammt seit Jahren immer wieder auf und hat schon mehrere Koalitionen in die Krise gestürzt. Die Wurzel des Konflikts reicht zurück in die Gründungsjahre des israelischen Staates.
Der erste Ministerpräsident des Landes, David Ben-Gurion, versprach damals ultraorthodoxen Rabbinern, junge Talmud- und Tora-Studenten vom Wehrdienst zu befreien. Zu jenem Zeitpunkt betraf die Ausnahme rund 400 Männer, die ihr Leben auf diese Weise dem Studium der religiösen Schriften widmen konnten.
Weil aber die Ultraorthodoxen, in Israel Haredim genannt, kinderreiche Familien schätzen, ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung im Laufe der Jahre stetig gewachsen – und die Zahl der wehrpflichtigen jungen Männer unter ihnen liegt heute bei mindestens 60.000.
Schon seit Langem erbost das Privileg der Strengreligiösen weite Teile der nicht-orthodoxen jüdischen Mehrheitsgesellschaft: Denn mit Ausnahme der Haredim müssen junge jüdische Männer für drei und junge Frauen für zwei Jahre dienen – und in vielen Fällen auch danach noch wiederholt zur Reserve antreten.
Der Armee fehlen Soldaten
Seit dem 7. Oktober 2023 wird die Debatte besonders hart geführt: Fast 900 Soldaten sind bei dem Hamas-Massaker und den anschließenden Kriegen in Gaza und dem Libanon bisher ums Leben gekommen.

© REUTERS/Amir Cohen
Zugleich klagt Israels Armee (IDF) seit Monaten über einen Mangel an Soldaten – und reizt die Belastbarkeit mancher Reservisten bis zur Schmerzgrenze aus.
Viele Haredim wiederum fürchten, der Dienst in der Armee könnte ihrem religiösen Lebensstil widersprechen, der unter anderem strenge Geschlechtertrennung und höchste Ansprüche an koscheres Essen vorsieht.
Nur eine kleine Minderheit von ihnen dient bislang. Bisher ist es nicht gelungen, mehr ultraorthodoxe Männer durch Druck oder Anreize zum Dienst zu bewegen.

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Vergangenes Jahr hatte Israels Oberstes Gericht erklärt, dass es für die Wehrdienstbefreiung der Haredim keine rechtliche Grundlage mehr gebe.
Seitdem hatte die Koalition über ein Gesetz verhandelt, in dem unter anderem Quoten diskutiert wurden, wonach nur ein bestimmter Prozentsatz der Männer zum Wehrdienst hätte antreten müssen. Doch es gab keine Einigung.
Der Zwist könnte Netanjahu nützen
Schaden muss dem Langzeitpremier die Krise aber nicht. Sollte es nächstes Jahr tatsächlich zu Neuwahlen kommen, könnte Netanjahu den Streit mit den religiösen Parteien sogar zur Wahlwerbung nutzen, meint der Politologe Jonathan Rynhold. „Er könnte argumentieren, dass er gegenüber den Ultraorthodoxen standhaft geblieben ist.“
Dass ein solches Argument allein aber Netanjahus Image aufpolieren könnte, das seit dem 7. Oktober stark gelitten hat, erwartet er nicht, denn: „Ein einziges Thema hat noch nie eine Wahl entschieden.“
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