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Israels Präsident im Bundestag: „Gedenke, Gott, der Seelen unserer Brüder und Schwestern“
35 Jahre nach seinem Vater Chaim Herzog, der als Präsident auch in Berlin war, erinnert Izchak Herzog an den Holocaust und wirbt um Deutschland als Partner.
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Es wird sehr still im Plenum des Reichstags, als Izchak Herzog am Rednerpult eine schwarze Kipa aus seiner Anzugstasche zieht und sie sich auf den Kopf setzt. Der Präsident Israels fordert die Spitzenvertreter des deutschen Staates und die Bundestagsabgeordneten auf, sich zu erheben. Dann spricht am Dienstagmorgen ein Gebet für die vielen Millionen Juden, die vom nationalsozialistischen Deutschland „getötet, niedergemetzelt, vernichtet“ wurden, wie er auf Hebräisch sagt: „Gedenke Gott, der Seelen unserer Brüder und Schwester des jüdischen Volkes“, lautet sein Satz in der Sprache der Übersetzerin.
Am dritten Tag von Herzogs Staatsbesuch in Deutschland hat zuvor Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) den Gast begrüßt und an das Luxemburger Abkommen zur Entschädigung jüdischer Opfer nationalsozialistischer Verfolgung aus dem Jahr 1952 erinnert – und daran, dass 35 Jahre später 1987 zum ersten Mal ein israelischer Präsident im Berliner Reichstagsgebäude zu Gast war: Chaim Herzog, der Vater des heutigen Staatsoberhaupts. Dessen Vater habe damals von einer „unsichtbaren Mauer zwischen unseren beiden Völkern, einer Mauer, vor der wir nur schweigend stehen können“ gesprochen.
Bas weiter: „Ihr Vater war der erste Präsident Israels, der das Reichstagsgebäude aufsuchte und Sie sind der fünfte israelische Präsident, der vor dem Deutschen Bundestag das Wort ergreift. Und so unglaublich es Ihrem Vater erschien – es ist uns gelungen, die Mauer des Schweigens abzutragen.“ Für die Deutschen sei es ein Geschenk, dass Israelis und Deutsche miteinander über die zutiefst schmerzliche Vergangenheit sprechen würden: „Und auch über die gemeinsame hoffnungsvolle Zukunft.“
Ein Vierteljahrhundert nach der Rede seines Vaters im Reichstag erinnert Izchak Herzog in seiner Rede an die lange und herausragende Bedeutung Deutschlands für die Geschichte der Juden. „Deutschland war eine prächtige Heimstadt für unser Volk“, sagt Herzog: „Deutschland ist in der tiefsten DNA meines Volkes verankert.

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Doch dieses Land sei auch der Ort, an dem die größten Gräueltaten verübt wurden. „Die Geschichte der Menschheit kennt kein Beispiel für die von den Nazis und ihren Helfern begangenen Taten zur Vernichtung des jüdischen Volkes“, sagt Herzog. Der Präsident zitierte weiter seinen Vater Chaim Herzog, der vor 35 Jahren Deutschland besuchte: „Kein Vergeben bringe ich, kein Vergessen. Nur die Toten haben das Recht zu vergeben. Die Lebenden haben kein Recht zu vergessen.“
Doch der Präsident hat auch eine Botschaft der Wertschätzung und Versöhnung mitgebracht, will die Partnerschaft mit Deutschland vertiefen. „Der Staat Israel ist stolz auf seine Partnerschaft mit Deutschland", versichert er seinem Publikum im Reichstag. Deutschland sei nach dem Holocaust „einer der wichtigsten Anführer der freien Welt“ geworden. Auf der Grundlage des gemeinsamen Gedenkens könnten Israel und Deutschland eine freundschaftliche gemeinsame Zukunft gestalten.
Wir wissen den deutschen Beitrag zur Sicherheit und zum Erfolg Israels sehr zu schätzen.
Izchak Herzog, Präsident Israels
Nach Holocaust und Zweitem Weltkrieg habe sich Deutschland auf „bewundernswerte und inspirierende Weise“ entwickelt, lobt der Präsident. Das Land sei wieder zum „Motor für Geist und Kultur“ geworden - und zum wichtigen Unterstützer Israels: „Wir wissen den deutschen Beitrag zur Sicherheit und zum Erfolg Israels sehr zu schätzen.“
Der Staatsgast richtet im Reichstag den Blick nach vorne: „Die Zukunft gehört uns, sie muss uns beiden gehören. Nur gemeinsam können wir dem Gedenken Bedeutung geben.“ Dazu gehöre für Israel auch das „Treuegelöbnis für die Freiheit und Sicherheit des Staates Israel und das Wohlergehen des jüdischen Volkes“.
Herzog würdigt ausdrücklich den Gedenkakt zum 50. Jahrestag des Olympia-Attentats am Tag zuvor in Fürstenfeldbruck. „Ich danke Ihnen für die bewegende Zeremonie gestern", sagte er. Durch die „Übernahme der Verantwortung“ leiste Deutschland einen Beitrag für „eine gewisse Linderung des Schmerzes der Angehörigen“. Am Ende seiner Rede erheben sich die Zuhörer im Reichstag ein zweites Mal – ein Zeichen des Respekts.

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Bei den Olympischen Spielen 1972 in München waren von Terroristen der palästinensischen Gruppe „Schwarzer September“ elf Mitglieder des israelischen Olympiateams und ein deutscher Polizist ermordet worden. Kurz vor Herzogs Besuch hatte sich die Bundesregierung bereit erklärt, den Opferfamilien unter Einrechnung früherer Zahlungen eine Entschädigung von insgesamt 28 Millionen Euro zuzusagen, was wohl einen israelisch-deutschen Eklat verhinderte.
Auch ich möchte Sie, Herr Präsident, und Angehörige der Opfer um Vergebung für die Fehler und Versäumnisse Deutschlands bitten.
Bärbel Bas (SPD), Bundestagspräsidentin
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Herzog am Dienstag im Reichstag zuhört, hatte am Montag bei der Gedenkfeier die Hinterbliebenen um Vergebung für den mangelnden Schutz der Spiele gebeten und seine Scham bekundet über „Abwehr, Ignoranz und Unrecht“, welche die Opferfamilien erfahren hatten. Eine israelisch-deutsche Historikerkommission soll nun offene Fragen um die damalige Terrortat klären.

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Die Bundestagspräsidentin schließt sich am Dienstag dem Bekenntnis des Bundespräsidenten an. „Auch ich möchte Sie, Herr Präsident, und Angehörige der Opfer um Vergebung für die Fehler und Versäumnisse Deutschlands von 1972 und der quälenden Jahrzehnten danach bitten“, meint Bärbel Bas.
Nach Herzogs Rede im Bundestag legen er und Steinmeier am Denkmal für die ermordeten Juden Europas gemeinsam einen Kranz nieder. Dann fliegen die beiden Präsidenten zum ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen, auch um dort mit Überlebenden zu sprechen. Der Schreckensort ist mit der Familiengeschichte des Staatsgastes eng verwoben: Sein Vater Chaim Herzog war als britischer Offizier dabei, als das KZ am 15. April 1945 befreit wurde.
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