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Das erste Fahr-Rad war eine Laufmaschine von Karl Drais (rechts, von 1817).

© Arno Burgi/ZB

Ausstellung: 200 Jahre Fahrradgeschichte in märchenhaftem Ambiente

Seit Karl Drais das Laufrad erfand, können sich Menschen aus eigenem Antrieb viel schneller fortbewegen. Die Kulturgeschichte des Velos ist jetzt in Schloss Pillnitz bei Dresden ausgestellt.

Stand:

Wer zum Schloss Pillnitz fährt, mit dem Auto oder dem öffentlichen Nahverkehr, entfernt sich von seiner eigenen Zeit. Der im Auftrag von August dem Starken in der Nähe von Dresden als Lustschloss und Sommerresidenz erbaute Gebäudekomplex stammt aus dem 18. Jahrhundert, als das Reisen über Land noch eine Herausforderung war. Dazu brauchte es Pferde, Kutschen und – das wichtigste – Landstraßen.

Aus eigenem Antrieb konnte man nur zu Fuß gehen – und kam nicht weit. Dennoch war Dresden schon damals eine weltoffene Stadt; das Japanische Palais und die Chinoiserie im Park von Pillnitz sind Zeugen dafür. Sachsen war nicht nur ein europäisches Kulturzentrum, es gab auch schon Vorstellungen von einer exotischen asiatischen Welt. Der Ferne Osten war noch wirklich weit weg – anders als in unseren Zeiten, als „der Osten“ in vielerlei Art immer näher gerückt ist.

Seit 1963/64 befindet sich das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Wasser- sowie im Bergpalais in Pillnitz, das mit seinen schönen Parkanlagen viele Besucher anlockt. Es ist ein Ausflug in eine andere Welt. Die märchenhafte Atmosphäre der Sächsischen Weinstraße entlang der Elbe, die hier als unschuldiges Flüsschen strömt (aber bei Hochwasser auch schon mal böse werden kann), vermitteln den Eindruck einer heilen, friedlichen Welt.

Die Direktorin ist keine Frau für Deutschtümelei

Da ist die Nähe der Kunststadt Dresden, und da ist die Sächsische Schweiz, die den Besucher einen Hauch von Italien und Österreich spüren lässt. Das Habsburgische Reich lag um die Ecke. Welch eine Kulturlandschaft, so schön können Mitteleuropa und Deutschland sein!

Das ist mal eine Windjacke: Prototyp des Designertrios David Gebka, Freia Achenbach und Marvin Unger.

© Arno Burgi/ZB

Tulga Beyerle, seit 2014 Direktorin des Kunstgewerbemuseum Dresden, ist keine Frau für Schwärmerei oder Deutschtümelei. Die Wienerin schaut in die Zukunft. Beyerle will das Museum ins 21. Jahrhundert führen, mit Ausstellungen, die nicht nur Zeugnisse der Vergangenheit sind, sondern auch ein modernes zeitgemäßes Publikum anziehen.

Sie spricht bewusst nicht von Design, sondern benutzt das deutsche Wort „gestalten“, um klarzumachen, dass auch Gebrauchsgegenstände wie Fahrräder eine besondere Ästhetik besitzen, dass ihre Form durch gezieltes menschliches Schaffen entsteht, das die Emanzipation des Individuums voranbringt. Herrlich, so eine Theoretikerin, sie eröffnet uns neue Welten, die manch argloser Betrachter vielleicht gar nicht wahrgenommen hätte.

Die Stadt anders einrichten

Die Ausstellung „Der eigene Antrieb oder wie uns das Rad bewegt“ soll den Besuchern 200 Jahre Radgeschichte präsentieren – anhand historischer und aktueller Exponate wie Velozipeden, Designklassikern, Falträdern, Mountainbikes und Rennrädern. Ziel der Ausstellung ist es, „das Fahrrad als kulturelle Errungenschaft stärker ins Bewusstsein der Besucher zu rücken und seine Rolle als nachhaltiges, zeitgemäßes Verkehrsmittel und Sportgerät zu beleuchten“.

Das hört sich schwer nach Aufklärungsarbeit an. Mit der historischen Welt von August dem Starken oder Sisi (die man sich im romantischen Pillnitz auch denken kann) hat das nichts mehr zu tun.

Für Tulga Beyerle hat das Rad vor allem mit Freiheit zu tun, mit der Wahl, bewusst zu leben. Es ist nicht nur Ausdruck einer „Gesellschaft in Bewegung“ und „moderner Mobilität“, sondern steht auch für einen Status und den Willen, die Infrastruktur einer Stadt anders einzurichten. Ob die Leute von Pegida – ebenfalls eine Erscheinung einer Gesellschaft in Bewegung – Radfahrer seien, will der neugierige Autor aus den Niederlanden wissen. „Um Gottes Willen, nein“, kommt die Antwort. Um diesen unschönen Teil sächsischer Realität soll es hier nicht gehen.

Ein kleines Kapitel über die Chinesen fehlt

So klein! Klappräder verschiedener Typen in der Ausstellung.

© Arno Burgi/ZB

Historiker sprechen gerne vom Rad der Geschichte, und da stellt sich die Frage, ob die Schau in Pillnitz ihre Zielsetzungen einhalten kann. Eine Zeit von 200 Jahren in vier Ausstellungsräumen zu umspannen ist schon eine Herausforderung. Und so vermisst man beim Schlendern zwischen den Exponaten doch einiges.

Zum Beispiel ein kleines Kapitel über die Chinesen – nicht nur wegen der Chinoiserie in Pillnitz, sondern auch, weil das Rad bei der Mobilisierung der Massen in der Volksrepublik China eine besondere Rolle gespielt hat. Wer heute in China etwas auf sich hält, fährt Auto – und steht im Stau. Den eigenen Antrieb, das Fahrrad, das Transportmittel für die von Verkehrschaos und Umweltsorgen geplagten Metropolen des 21. Jahrhunderts, hat man scheinbar hinter sich gelassen. Der Fortschritt ist tückisch, wobei der Klimawandel in vom Hochwasser bedrohten Dresden noch eine extra Dimension schafft.

Auch das holländische Fahrrad fehlt – und wurde nicht nur aus Nationalstolz vermisst. Wir sind uns des auserwählten Status’ des Fahrrads als Transportmittel des 21. Jahrhunderts nicht so bewusst, aber in den Niederlanden wächst man mit dem Fahrrad auf. Sogar die Mitglieder des holländischen Königshauses zeigen sich gerne auf dem Drahtesel, um beim Volk den Eindruck zu vermitteln, dass die Oranjes ganz normale Menschen sind.

Die Freiheit, die das Rad bringt, muss man selbst erfahren

Zum Thema „Fahrrad und Emanzipation“ hätte dieser Schlenker ins Nachbarland durchaus gepasst. Besser jedenfalls als die ausgestellten Mountainbikes, die die Hippies in Amerika erfunden haben sollen und deren Status, Design und gesellschaftliche Bedeutung weit weniger interessant erscheinen.

Mittel, tief, hoch - verschiedene Radmodelle und erschöpfte Radfahrer an der Fotowand.

© Arno Burgi/ZB

Derlei Details sind aber eigentlich gar nicht so wichtig. In erster Linie soll die Ausstellung „Der eigene Antrieb – oder wie uns das Rad bewegt“ Besucher dazu bewegen, sich selber aufs Fahrrad zu setzen und Dresden und seine wundervolle Umgebung mit Pedalkraft zu entdecken. Zu diesem Zweck gibt es ein vielfältiges Begleitprogramm, bei dem man mit Rennrädern, Lastenrädern oder alten Drahteseln Testfahrten unternehmen und den Tag anschließend beim Japanischen Palais mit Picknick, Musik und Tanz ausklingen lassen kann.

Das ist genau das Richtige, denn die Freiheit, die das Rad bringt, ist keine ideologische Konstruktion, man muss sie selbst – im wahrsten Wortsinn – erfahren. Und wer dann das Kopfsteinpflaster auf den Straßen der sächsischen Landeshauptstadt am eigenen Po zu spüren bekommt, merkt sehr authentisch, dass die Infrastruktur Dresdens trotz vieler Renovierungen noch nicht überall im 21. Jahrhundert angekommen ist. Oder erst recht. Denn (nicht nur in Sachsen) gilt es, Altes zu bewahren.

In der Region

Zu einem richtigen Rennradfahrer gehört auch das entsprechende Trikot.

© Arno Burgi/ZB

BIERGARTEN

Schlosshotel Pillnitz, August-Böckstiegel-Straße 10, 01326 Dresden, Telefon: 0351/26140.

Das Schlosshotel liegt eingebettet in die Parkanlagen von Schloss Pillnitz. Feinschmecker bevorzugen das Kaminrestaurant oder genießen ihr Menü auf der Terrasse. Radwanderer finden im Biergarten rustikale Küche und Erfrischungen.

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