
© Kai-Uwe Heinrich TSP
Abriss des Tiergartenviertels: Staatsbibliothek will Erinnerung bewahren
Nach dem Krieg wurden die Reste des Tiergartenviertels zerstört. Niemand wollte sich mehr an die Enteignungs-, Aufkauf- und Abbruchpolitik der Nazis erinnern. Heute setzt sich eine Initiative für den Ort ein.
Stand:
Das Kulturforum in Berlin ist eines der großen Traumata der Berliner Stadtplanung. Die ersten Wände des kommenden Museums der Moderne (Pardon erbeten: des „berlin modern“– vielleicht werde ich mich irgendwann an diesen affigen Marketingbegriff gewöhnen … ) machen das Trauma eher noch deutlicher: Hier fehlt es an sichtbarer Stadtgeschichte aus der Vorkriegszeit.
Die Matthäus-Kirche alleine kann das Manko nicht füllen. Und dass es dies Manko gibt, liegt an den Abrissen der Nachkriegszeit, als die Reste des noblen Tiergartenviertels zugunsten der Museen und der Philharmonie zerstört wurden. Niemand wollte sich mehr erinnern an die Enteignungs-, Aufkauf- und Abbruchpolitik der Nazis, die hier den riesigen „Runden Platz“ als Teil der gigantischen „Nord-Süd-Achse“ planten.
1938 hatten sie dafür schon mal den Bau des klobigen „Hauses des Fremdenverkehrs“ begonnen. Dessen Ruine spielte noch 1961 eine Hintergrundrolle in Billy Wilders grandios-bitterböser Kalte-Krieg-Satire „Eins Zwei Drei“. 1962 wurde sie dann abgerissen für den Bau der Neuen Staatsbibliothek Hans Scharouns und der Neuen Potsdamer Straße.
Beide entstanden mitten auf der einstigen Potsdamer Straße, der alten Reichsstraße 1 zwischen Königsberg und Aachen. Deutlich wollte die alte Bundesrepublik städtebausymbolisch zeigen: Wir haben nichts, gar nichts mit dem 1946 von den Alliierten aufgelösten Militärstaat Preußen und dem Nazireich zu tun. Eine Lebenslüge, wir wissen es alle.
Die Ruinen standen für das liberale Deutschland
Mit diesen Abrissen wurde aber auch verdeckt, dass vielen Deutschen die Jahre nach dem Krieg oft fürchterlicher erschienen als dieser selbst – jedenfalls jenen, die nicht von den Verfolgungen zwischen 1933 und 1945 betroffenen waren. Man hungerte nun so wie vorher ganz Europa, musste Gewalt, Vergewaltigungen, Korruption, Armut und Machtlosigkeit erleben.
Das Tiergartenviertel erinnerte mit seinen Ruinen an das liberale Deutschland, das man 1933 per Wahl abgeschafft hatte. Weg damit. Dass die deutsche Demokratie wenigstens im Westen auf diesen Traumata dank der West/Alliierten wachsen konnte, ist eines der großen Wunder der Geschichte.
Dass nun gerade die Staatsbibliothek die Erinnerungen an jene Jahre zwischen Nachkriegsdepression und Wiederaufbaueuphorie sammeln will, es ist nicht hoch genug zu preisen. Am 16. Mai ab 11 Uhr im Haus am Kulturforum. Geht hin und erzählt von einer Stadt, die aus dem Vergessen entstanden ist.
Und vielleicht hat ja noch jemand einige Ziegel oder Kacheln aus den Häusern des einstigen Tiergartenviertels oder gar des Hauses des Fremdenverkehrs aufgehoben, kann sie stiften. Die Museen und die Staatsbibliothek haben keine solchen Erinnerungsstücke. Und teilen Sie doch ihre Erinnerungen hier in den Kommentaren.
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