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Verloren zwischen den Welten und Supermarktregalen.
Clara (Anne Schäfer) fühlt sich nirgendwo heimisch.

© Foto: Grandfilm

„Alle reden übers Wetter“ im Kino: Zuhause nur in Gedanken

Zwischen Uni und Uckermark: Annika Pinskes Debüt „Alle reden übers Wetter“ handelt von der Schwierigkeit des sozialen Aufstiegs und dem Makel der Herkunft.

Von Andreas Busche

Die Kulturtechnik des code switching kann im Alltag ungemein hilfreich sein, bewegt man sich mal aus der eigenen Komfortzone heraus. Aber auch innerhalb der Bubble können falsch gelesene Verhaltensformen und Gesten geradewegs ins Fettnäpfchen führen – vor allem in gesellschaftlichen Milieus, in denen alte Hierarchien unter den Druck eines Kulturwandels geraten. Auf der Verabschiedungsfeier des langjährigen Fakultätsleiters missversteht die Doktorandin Clara die Körperbewegung eines fachfremden Professors jedenfalls gründlich: Als er sich ihrem Ohr nähert, gibt sie ihm vor versammelter Runde ein kollegiales Begrüßungsbussi –während er ihr zuflüstert, dass er von der jüngeren Kollegin bitte gesiezt werden möchte. Das peinliche Schweigen in der Gruppe ist beredt.

Clara (Anne Schäfer) – Ende dreißig mit pubertierender Tochter, kurz vor dem Abschluss ihrer Doktorarbeit zu Hegel und Bewohnerin einer Kreuzberger WG – muss in Annika Pinskes Spielfilmdebüt „Alle reden übers Wetter“ ständig zwischen den Welten wechseln – Folge einer sich rasant diversifizierenden Gesellschaft. Das Reden übers Wetter funktioniert als unverbindlicher Smalltalk, der soziale Status-Unterschiede kaschiert, zwar immer noch, Clara aber kennt diese kommunikativen Mechanismen nur zu gut. Sie erinnern die junge Frau wieder an ihre Herkunft in einem ostdeutschen Dorf.

„Emotionally unavailable“ ist für Clara noch ein Euphemismus

Sie selbst beherrscht das Wechseln der kulturellen Codes nur mittelgut, was vor allem daran liegt, dass sie sich in keiner der beiden Welten zuhause fühlt. Clara hält die Welt auf Abstand: ihre Doktormutter und Irgendwie-Freundin Margot (Judith Hofmann), ihre 15-jährige Tochter Emma (Emma Frieda Brüggler), die mit der neuen Familie ihre Vaters (Ronald Zehrfeld) lebt, und ihren heimlichen Boyfriend Max (Marcel Kohler), pikanterweise einer ihrer Studenten und ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter. „Emotionally unavailable“ ist da noch glatt ein Euphemismus.

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Pinske, die auch das Drehbuch geschrieben hat, kann auf autobiografische Erfahrungen in der Uckermark zurückblicken. In der ersten Hälfte seziert sie das Universitätsmilieu, um schließlich an dem Ort anzukommen, den Clara noch nicht ganz hinter sich gelassen hat – und an den sie trotzdem nicht erinnert werden möchte.

Bei der Abschiedsfeier erzählt sie von ihrem Diplomatenvater, der sich erschossen hat, später sitzt sie genervt am Esstisch in der Plattenbauwohnung ihrer Mutter (Anne-Kathrin Gummich), die – auch um die Distanz zur Tochter zu überbrücken – nur über das Wetter und die kalte Platte mit Häppchen für ihre bevorstehende Geburtstagsfeier spricht. Clara würde am liebsten in den Worten ein Zuhause finden, gesteht sie einmal: eine Heimat ohne Ort, ohne Geschichte. Aber so leicht macht es ihr die Familie nicht.

(In zehn Berliner Kinos)

Anne Schäfer steht die meiste Zeit im Fokus von Ben Bernhards Kamera, womit ein Großteil der Verantwortung auf ihr lastet. Pinskes Drehbuch löst die inneren Konflikte der verschlossenen Frau immer wieder in vorhersehbaren Konfliktsituationen auf, die sich bald wie die Summe ihrer gescheiterten Beziehung lesen: mit dem jüngeren On–Off-Liebhaber am WG-Küchentisch, mit der Doktormutter am offenen Fenster („Keine Sorge, ich springe nicht“, meint die nur schnippisch), mit dem Kindsvater am Gartentor oder im Seminarsaal bei einer kulturwissenschaftlichen Diskussion über den misogynen Stereotyp der „schwachen Frau“. Diesem versucht Clara so vehement nicht zu entsprechen, dass sie dabei selbst fast zu einem Klischee wird – auch wenn Schäfers introvertierte Mimik ein paar schöne Ambivalenzen bereit hält.

Das kann man über die Milieuzeichnungen nur bedingt behaupten. Sowohl der Universitätsbetrieb als auch das Dorfleben in der Uckermark wirken skizzenhaft. Vielleicht liegt es auch daran, dass beide Milieus in Literatur und Kino zuletzt reichlich auserzählt wurden. Der scharfe Kontrast zwischen den Lebenswelten bringt wieder bloß Standardsituationen kultureller Differenz (nicht nur in ostdeutschen Biografien) hervor: die Mutter, die auf dem Dorffest ihr Kind schlägt, die potenziellen AfD–Wähler in der Kneipe, der Jugendfreund, der heute ein Thor-Tattoo unterm Hemd trägt.

„Alle reden übers Wetter“ zeichnet eine lakonische Resignation aus, aus der Pinske aber keinen Ausweg aufzeigt. Selbst der rebellische Geist der Jugend scheint inzwischen eingehegt. Das Schulorchester von Emma spielt eine Classic-Version von Rage against the Machine.

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