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Autorentheatertage Berlin: Alphamädchen mit Testosteron

Wo Texte das Weite suchen und Männer und Frauen Spaß an Gegenwartsdramatik haben: die Autorentheatertage im Deutschen Theater Berlin.

Stand:

„Ich hatte wenig zu lachen“, gesteht Sigrid Löffler in ihrer angenehm analytischen Eröffnungsrede zu den vierten Autorentheatertagen im Deutschen Theater. Grund der Humorarmut: Die Literaturkritikerin hatte 87 neue Theaterstücke gelesen, deren Gros sich eher mit redlichem Empörungsfuror als mit Witz und poetischem Tiefsinn an sämtlichen Weltkrisen abgearbeit habe, die die Medien so in unsere Wohnzimmer spülen.

Sigrid Löffler ist in diesem Jahr die Alleinjurorin der „Langen Nacht der Autoren“, des finalen Festival-Herzstücks, bei dem frische, bis dato unaufgeführte Texte in charmant aninszenierten Bühnen-Schnellschüssen ausprobiert werden. „Das Weite suchen“ hatte sie als Motto ausgegeben – in der Hoffnung auf „welthaltige“ Beiträge „jenseits der familiären Privatsphäre und der wohlbekannten Wohlstandskrisen hierzulande“. Die postdramatische Avantgarde à la Elfriede Jelinek oder René Pollesch, brachte Löffler ihr Lektüre-Erlebnis schließlich auf den wenig erbaulichen Punkt, sei im Mainstream angekommen; gern allerdings als bloßes und entsprechend misslungenes Stil-Zitat. Im Klartext: Die Literaturkritikerin las en masse figuren- und dialogfreie Textflächen, die die inhaltliche und formale Substanz ihrer Vorbilder deutlich vermissen ließen.

Umso erfreulicher, dass Sigrid Löffler daran erinnerte, dass Theater im Idealfall als eigengesetzlicher Ort imstande ist, gesellschaftliche Verhältnisse tatsächlich anders zu reflektieren. Es ist dies eine Fähigkeit, die unter dem allgegenwärtigen Produktions- und Ausstoßdruck gern in Vergessenheit gerät. Die Jurorin selbst hat mit „Die Schweizer Krankheit“ von Uta Bierbaum, „Schwäne des Kapitalismus“ von Matthias Naumann und „Exzess, mein Liebling“ von Olivia Wenzel unter den 87 Einsendungen letztlich noch drei heterotopische ausgemacht.

Bevor die Zuschauer allerdings mit dieser Trias mottogetreu „das Weite suchen“, stehen noch 15 saisonfrische Gastspiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auf dem Programm; also Texte gegenwärtiger Autoren, die nicht qua Schreibaufruf erst noch aufzuspüren, sondern bereits vorhanden sind. Und zwar teilweise, zum Glück, schon relativ lange – was in diesem Business bekanntermaßen nicht immer so einfach ist wie einen ersten Dramatikerwettbewerb zu gewinnen. Gezeigt werden aktuelle Stücke unter anderem von Elfriede Jelinek, Ewald Palmetshofer, Felicia Zeller, Moritz Rinke, Dea Loher und Gesine Danckwart.

Sind die Alphamädchen auch im Theater auf dem Vormarsch?

Auch für dieses Gastspiel-Segment haben der DT-Intendant Ulrich Khuon und seine Dramaturgie übrigens ein Motto gefunden, das, um Missverständnissen vorzubeugen, nicht unbedingt in Kausalzusammenhang mit „Das Weite suchen“ gebracht werden sollte. Nämlich: Frauen. Zehn der eingeladenen Stücke, also zwei Drittel, „stammen aus der Feder kompromisslos zupackender schreibender Frauen“, vermeldet das Programmbuch erfreut. Das DT ließ sich von dieser Tatsache zu einem Symposium inspirieren, auf dem Geisteswissenschaftlerinnen wie Doris Kolesch oder eben Sigrid Löffler mit den eingeladenen Autorinnen sowie dem Quotenmann und Schauspieler Helmut Mooshammer kommenden Sonntag über die „Geschlechterrollen in der neuen Dramatik“ nachdenken.

Klar: Man könnte sich auch einfach still über die Normalität freuen, mit der Frauen ganz ohne offiziell verordnete Quote offenbar in der schreibenden Zunft angekommen sind und Sujets, wie ihre männlichen Kollegen, aus ihrer jeweils ureigenen Perspektive verhandeln. Aber da unterschätzt frau das hinterfragungswütige Theater offenbar gewaltig: „Sind die Alphamädchen auch im Theater auf dem Vormarsch?“, will das Symposium wissen – und muss logischerweise gleich selbst skeptisch die Stirn in Falten legen: „Schreiben solche Thesen nicht eine Dichotomie fest, die für die postfeministische Autorinnengeneration keine Rolle mehr spielt?“

Kleine persönliche Zwischenbilanz nach den ersten drei Gastspielen – selbstredend ohne jeden Anspruch auf Objektivität oder gar Signifikanz: Die Hypothese, dass sich beispielsweise der Dramatiker Stephan Kaluza durch einen weniger „kompromisslos zupackenden“ Stil auszeichnen könnte als seine Kolleginnen, muss verworfen werden. Die junge Frau in Kaluzas Stück „3 D“ vom Schauspiel Stuttgart, das DT-Hausregisseur Stephan Kimmig dort mit Franz Xaver Kroetz’ 70er-Jahre-Missbrauchsdrama „Stallerhof“ zuammengespannt hat, tritt, im Gegenteil, auch dank stilistischer Entscheidungen ausgesprochen forsch auf, wenn sie nach vielen Jahren ihren Vater Albert zur Rede stellt, von dem sie als Kind möglicherweise missbraucht wurde. Ob Albert seinerseits neue Gender-Facetten in die Waagschale wirft, ist hingegen schwer zu entscheiden. Zumindest haben wir es hier mit einem sehr speziellen Exemplar zu tun, das die Tochter Clara nicht von seiner Ex-Ehefrau Bette unterscheiden kann, als die sich Clara nämlich aus dramaturgisch-enthüllungstaktischen Gründen zunächst ausgibt. Handelt es sich bei diesem unscharfen männlichen Blick nun um Euphemismus oder um Zynismus – oder einfach um einen Kniff, an dem „3 D“ trotz psychologisch intensiver Kammerspielregie und überzeugender Darsteller dann doch krankt?

Die beiden Typen, zwischen denen die junge Prostituierte Nori in Nina Büttners „Schafinsel“ hin- und hergerissen ist, lösen auch nicht spontan Gender-Innovationsalarm aus: Macho Toni, Noris Zuhälter, hockt breitbeinig in einem Marken-Muskelshirt auf dem Sofa, während der sensible Nerd und Schiller-Versteher Henning jedesmal von einem heillosen Stotteranfall heimgesucht wird, sobald er das Wort an seine Angebetete richtet. Noris alkohol- und krebskranke Mutter ist allerdings mindestens so „kompromisslos zupackend“ wie Clara in „3 D“.

In Rebekka Kricheldorfs „Testosteron“ wiederum – einer „schwarzen Parabel“ vom Staatstheater Kassel, die sich amüsant und angemessen genüsslich, aber auch nicht direkt revolutionär über Stereotypen geschlechtlicher wie sozialer Couleur lustig macht – trifft dieses Attribut am ehesten auf den bad boy Raul zu, ein Bild von einem archaischen Macho-Mann. Dass die Geschlechterrollen-Revolution bei den Berliner Autorentheatertagen bis dato also ausblieb, ist übrigens nicht weiter schlimm. Frau kann unter Umständen auch ohne permanente Komplettumstürze Spaß an Gegenwartsdramatik, Regisseuren und/oder Schauspielern haben. Mann sicher auch.

Autorentheatertage noch bis 15.6. im DT, www.autorentheatertage.de

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