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Kultur: "Als Großvater Rita Hayworth liebte": Diesseits der Stille

Das mit den ersten Schritten ist relativ. "Ein kleiner Schritt für mich, ein großer Schritt für die Menschheit", sagte Armstrong, als er den Mond betrat.

Das mit den ersten Schritten ist relativ. "Ein kleiner Schritt für mich, ein großer Schritt für die Menschheit", sagte Armstrong, als er den Mond betrat. Und wie ist das, wenn man zum ersten Mal den Westen betritt? Genau umgekehrt, ahnt Hannah, älteste Tochter ihres Vaters und Lieblingsenkelin des Großvaters. Sie kommt aus Prag. Der Großvater ist dageblieben. Sicher denkt er: Sollen die anderen doch emigrieren!

Winter 1969, der erste nach dem Ende des Prager Frühlings. Und wohin jetzt? Mond ist Mond. Aber Westen ist niemals gleich Westen. Italien oder Deutschland, das ist die Frage. Italien!, entscheidet die ganze Familie. Deutschland!, entscheidet die Wirklichkeit. Ankunft auf dem Mond, auf dem gerade ein Wirtschaftswunder stattfindet.

"Als Großvater Rita Hayworth liebte" ist ein Film aus der konsequenten Mond-, also-Astronautenperspektive. Astronauten sind Menschen, die sich plötzlich auf neuen Umlaufbahnen bewegen. Sie haben den Mittelpunkt verloren. Ob der Mittelpunkt nun die Erde war oder ein Großvater, ist egal. Nur ist das Großvater-Verlieren viel, viel schlimmer. Iva Svarcová gewann Vlastimil Brodsky für die Zikmund-Rolle in ihrem ersten Kino-Film, ihm glaubt man sämtliche Großvater-Mittelpunkte. Das Entscheidende aber, warum es die Astronauten viel leichter haben als sie, erkennt Hannah (Karen Fischer) kurz hinter der Grenze: Die Astronauten durften ihre Eltern zu Hause lassen!

Hannah ist Iva Svarcová, die Regisseurin, selbst. Jedenfalls ein bisschen. Andererseits ist ihr Blick durchaus nicht parteiisch. Hunger!, ruft es vom Rücksitz, als die Eltern die entscheidende Grenze ihres Lebens passieren. Überhaupt sind Kinder miserable Emigranten. Vielleicht weil sie das Emigrantsein nicht als originär kindgerechte Lebensform empfinden. Außerdem versteht Hannah gar nicht, warum sie dem bundesdeutschen Verfassungsschutz - der sieht aus wie ein Nazi-Komitee, nur die Artikulation hat er von den McCarthy-Amerikanern - verschweigen soll, dass ihr Großvater Kommunist war. Und ein viel besserer als die Panzer-Kommunisten! Hannahs Großvater war die Verkörperung der reinen, unbefleckten kommunistischen Idee. Und das wollten die Eltern nicht sagen?

Wenn der Verfassungsschutz nur ein bisschen was im Kopf hat, denkt Hannah, wird er das verstehen. Ohnehin unterhält sie keine diplomatischen Beziehungen zu Menschen, Institutionen oder Ländern, die ihren Großvater nicht leiden können. Ihre kleine Schwester ist da noch viel kompromissloser. Emigrierende Eltern, insbesondere Mütter im Konsumrausch, und Monde, auf denen gerade Wirtschaftswunder stattfinden, haben nämlich eins gemeinsam: Man kann ihnen nichts erklären. Also stellt Maruschka (Veronika Albrechtová) den verbalen Austausch mit ihrer Umwelt vorerst ganz ein.

Ein 1969er-Mondlandschaftskaleidoskop. Mit Heintje, dem ersten Mittagessen bei einer deutschen Familie und dem alten Wagnerianer von gegenüber. Ein Faschist? Nein, Iva Svarcová brauchte ihren Film nicht zu erfinden. Leben ist Kino, vorausgesetzt, man installiert die innere und äußere Kamera an der richtigen Stelle. Also mitten in den Dingen und zugleich auf dem Mond. Das gibt dann ein wunderbares ptolemäisch-kopernikanisches Doppelbild. Das tschechische Kino hatte schon immer ein Talent dafür. Erwachsenwerden heißt, den Schritt von der natürlichen Plausibilität des ptolemäischen Weltbilds (Es gibt einen Mittelpunkt des Universums - mich!) ins kopernikanische Schleudertrauma zu wagen.

Ein kleiner Schritt für mich, ein großer für die Menschheit. Ist das immer noch ptolemäisch gedacht? Egal, aus rein kopernikanischen Weltbildern kommt sowieso kein Kino. Das ist ihre größte Widerlegung. Der Astronom hatte davon keine Ahnung, Iva Svarcová sehr viel.

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