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Unscheinbarer Mann mit großer malerischer Geste. Anselm Kiefer vor seinem Kunstwerk „Die Sternennacht“ in Amsterdam.

© dpa/Peter Dejong

An den Bleibändern der Geschichte: Amsterdam ehrt Anselm Kiefer zum 80. Geburtstag

Das Van Gogh Museum und das Stedelijk Museum in Amsterdam würdigen den Maler Anselm Kiefer zu seinem 80. Geburtstag mit einer Doppelschau.

Von Alexandra Wach

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Gelöst flanieren lässt sich jetzt nicht mehr rund um die zentrale Treppe des alten Gebäudes des Stedelijk Museums. Die vertrockneten Rosenblätter auf dem Boden verlangsamen den Gang, an den Wänden krümmen sich auf riesigen Gemälden menschliche Figuren vor einem goldfarbenen Hintergrund, Darunter verschlagen einem verwesende Leichen den Atem. Aus der Installation heraus ragen zerschlissene Militäruniformen. Sie sind mit dicken Farb- und Tonschichten bedeckt, der strenge Geruch hängt noch in der Luft.

Mit ihren schleimigen Verkrustungen tauchen diese Zwitter zwischen Gemälde und Skulptur tief in den mythischen Kosmos ein, aus dem die figurative Historienmalerei des in Frankreich lebenden Anselm Kiefer ihre Dramen seit Jahrzehnten multipliziert. Nur dass sich diesmal durch die Tragödie in der Ukraine und ihre aktuelle Verschärfung durch Donald Trump die übliche Distanz zu diesem Panoramafenster des Sterbens nicht aufrechterhalten lässt.

Blumenblätter sind Teil des Kunstwerks „Sag Mir Wo Die Blumen Sind“ im Amsterdamer Stedelijk Museum.

© dpa/Peter Dejong

Anlehnung an ein Antikriegslied

Die 24 Meter lange, mehrteilige Wandinstallation, die speziell für das Museum angefertigt wurde, erobert mühelos den Raum und überwältigt mit ihrer düsteren Reflexion über die Condition humaine. Sie ist nach dem Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind“ des US-Folksängers Pete Seeger benannt, das auf Deutsch von Marlene Dietrich gesungen wurde.                                  

Detail von Anselm Kiefers Gemälde „Sag mir wo die Blumen sind“.

© Anselm Kiefer. Photo: Atelier Anselm Kiefer

Der Titel verweist zugleich auf eine Doppelschau, mit der das Schaffen von Anselm Kiefer in Amsterdam auf gleich zwei Bühnen gewürdigt wird. Sie feiert den 1945 in den Ruinen Deutschlands geborene Künstler einerseits als notorischen Ruhestörer, der mit seiner auf stoffliche Opulenz setzenden Erinnerungsarbeit stets darauf bestanden hat, dass nicht nur die Deutschen rechtsextreme Bewegungen im Auge behalten sollten, angefangen mit den provokanten Selbstporträts mit Hitlergruß bis hin zu späteren Installationen, die an megalomanische Führerbunker denken lassen. Auf der anderen Seite möchte man Kiefer als Seelenverwandten des ungestümen Van Gogh inszenieren, ein riskantes Unterfangen, das nur bedingt aufgeht.                                  

Das Stedelijk Museum verbeugt sich ab diesem Wochenende mit einer Ausstellung, die erstmals alle frühen Arbeiten Kiefers aus der eigenen Sammlung zeigt. Dazu gesellen sich neuere Gemälde und zwei Installationen. Das Thema Krieg zieht sich durch die trostlos erdigen Landschaften mit Oberflächen aus echten Sensen, dicken Schichten von Baumästen, Stroh, Sand und getrockneten Blumen, etwa auf „Das Feld des Goldenen Tuchs“, das Bezug auf eine Gegend in Nordfrankreich nimmt, wo 1520 eine Friedensverhandlung zwischen Frankreich und England stattfand. Nur ein Jahr später brachen die Kämpfe erneut aus.

Ein weiterer Blick auf „Sag mir wo die Blumen sind“.

© IMAGO/Frank Ossenbrink/IMAGO/Frank Ossenbrink

Die neue Installation „Steigend, steigend, sinke nieder“ wirkt da in ihrer Reduktion auf Schwarz-Weiß fast wie ein Fremdkörper, wenn auch einer, der direkt einem Bombenhagel entstammen könnte. Myriaden von verstaubten Fotografien und Filmspulen baumeln an Bleibändern von der Decke, motivisch dominieren Landschaften und Architektur. Man erkennt die wackligen Türme, die Kiefer in La Ribaute, seinem ehemaligen Studiokomplex in Südfrankreich baute, flankiert von Vitrinen, in denen nur noch Fragmente von verfallenden Objekten zu erkennen sind.                                

Viel Gold und exzessiver Materialverbrauch

Die zweite Annäherung im Van Gogh Museum nebenan ist ebenfalls großes Theater, nicht nur, weil sie auf den direkten Vergleich mit Van Gogh setzt, was vielleicht daran liegen könnte, dass sich Kiefer hier zur Abwechslung als empfindsamer Naturmaler jenseits des üblichen apokalyptischen Bombasts zeigen möchte. In den frühen 1960ern gewann er ein Stipendium für eine Reise durch die Niederlande und Frankreich zu den Landschaften des Malertitans.

Im obersten Stockwerk begegnet man anrührenden Zeichnungen, mit denen er damals seinem Vorbild nacheiferte. Sie könnten nicht weiter entfernt sein von den epischen Landschaften in den zwei Stockwerken darunter. Die Konfrontation dieser gigantischen Ausmaße mit den umso verletzlicheren Kleinformaten Van Goghs wirkt eher verstörend als erhellend.                                                 

Während der Niederländer, der lebenslang von seinem Bruder Theo unterhalten wurde, für seine sonnendurchfluteten Weizenfelder eine zurückgenommene Farbpalette benutzt, geizt Kiefer als erfolgreicher Marktkünstler nicht mit dick aufgetragenem Gold und exzessivem Materialverbrauch. Auch die Selbstporträts könnten nicht konträrer ausfallen. Während sich Van Gogh geradezu bescheiden an seiner Staffelei abbildet, inszeniert sich Kiefer unter einer überdimensionalen Sonnenblume liegend in Yoga-Position. Ob er da vor der Last der Menschheitsgeschichte kapituliert hat?

An diesem Samstag wird Anselm Kiefer, der Deutschland im Jahr 1980 mit seinem unverkennbaren Stil auf der Biennale in Venedig vertreten hat und dreimal zur Documenta eingeladen war, achtzig Jahre alt. Man darf noch gewaltige Reibungen von ihm erwarten, an Deutschland, an der Welt.

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