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Alexandria Ocasio-Cortez, kurz AOC, in einer Anhörung im US-Senat, August 2020.

© dpa/Tom Williams

Jung und politisch genial: AOC auf Instagram ist besser als alles auf Clubhouse

Alexandria Ocasio-Cortez postet tiefgründige Analysen und berührende Geschichten – und muss dafür mit viel rechtem Hass kämpfen. Die Kolumne Spiegelstrich.

Stand:

.Alexandria Ocasio-Cortez ist jung und noch nicht lange im Kongress und gilt in ihrer Fangemeinde doch als künftige, vielleicht dann erste amerikanische Präsidentin. Das Talent hat sie, den Willen auch, und was heißt „Talent“? Sie ist ein politisches Genie.

Alexandria Ocasio-Cortez, 32, AOC genannt, hat puerto-ricanische Vorfahren, hat Wirtschaftswissenschaften und Internationale Beziehungen studiert, kellnerte, als sie sich entschloss, für das Repräsentantenhaus zu kandidieren. Ihre Schwäche: Sie kann besserwisserisch dozieren.

Aber sie hat Haltungen, ausnahmslos progressive, und macht Strategien daraus, sie kann begnadet reden, sie spaziert weiterhin durch ihre Heimat Queens, New York, und sie wandelt ähnlich angstfrei durch die sozialen Medien, mit 12,3 Millionen Followern auf Twitter und 8,8 Millionen auf Instagram.

Vor einer Woche setzt sich AOC vor ihr Smartphone und spricht live über den 6. Januar, den Sturm auf das Kapitol, spricht über die eigene Angst dort drinnen im Kapitol; sie vergleicht das Verhalten der Republikanischen Partei, welche die Gewaltorgie durch Lügen vom Wahlbetrug herbeigeführt hat und nun die Debatte darüber verweigert, mit dem Verhalten von Vergewaltigern, die den Opfern der Vergewaltigung sagten: „Get over it“, stellt euch nicht so an. Sie könne das beurteilen, sagt Ocasio-Cortez, sie habe dies bislang nur Wenigen erzählt, sie sei selbst ein Opfer sexueller Gewalt.

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Sie weint. Es ist sehbar und fühlbar: Sie ist sich unsicher, ständig fährt sie sich durch die Haare. Aber ihre Sätze haben einen Rhythmus, und ihre Stimme hat einen Sound, und ihre Analyse ist intelligent, und sie wird wissen, dass gerade durch den Einsatz des Privatesten im passenden Moment politische Wucht entsteht.

Ich kenne keine zweite Politikerin und keinen Politiker, weltweit, die oder der ähnlich gedankenschnell und risikobereit, permanent live nämlich und ohne Absicherung, die Plattformen unserer Zeit nutzt. Über die App Clubhouse sprechen in diesen Wochen viele: Ich habe dort bislang nur Gelaber und Gerede darüber gehört, wie die Redenden reden wollen. AOC auf Instagram ist besser als Clubhouse (besser als alles, was ich bisher auf Clubhouse mitbekommen habe), klüger, schärfer, mutig.

Es kann allerdings auch so kommen, dass sie in zwei Jahren etwas ganz anderes macht als Politik; dass sie genug hat, dass sie leben und frei sein möchte, überleben, das auch. Sie sagt, sie habe längst ans Aufhören gedacht, denn es passiert in diesen Tagen das, was meistens geschieht, wenn eine Frau auffällt und Macht will: Die Frau wird zugleich überhöht und dämonisiert, daher denunziert und bedroht.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Angela Merkel, Renate Künast, Andrea Nahles kennen den Hass; Julia Nawalnaya, Alexei Nawalnys Ehefrau und politische Stellvertreterin, erfährt ihn in Russland; Elizabeth Warren, Kamala Harris und auch Michelle Obama (die keine Macht erstrebte) werden täglich bedroht und beleidigt.

Die Verschwörungstheoretiker und auch die Verschwörungstheoretikerinnen von QAnon haben „Frazzeldrip“ erfunden; das ist die Geschichte, dass Hillary Clinton ein junges Mädchen gefoltert und am Ende das Blut des Opfers getrunken habe; dann habe Clinton natürlich jene Polizisten, die das Verbrechen aufgeklärt hätten, ermorden lassen. Facebooks Algorithmen belohnen wüste Lügen.

AOC verbindet politisch oder rhetorisch oder stilistisch nicht viel mit Hillary Clinton, doch als Feindbild Nummer 1 aller rechtsextremistischen Trolle Amerikas tritt sie in genau diesen Tagen Clintons Erbe und Nachfolge an.

Hoffen wir also. Hoffen wir, dass Alexandria Ocasio-Cortez durchhält und zugleich, trotzdem, ihr Glück findet.
Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig. Sie erreichen ihn auf Twitter unter @Brinkbaeumer. An dieser Stelle schreibt Klaus Brinkbäumer jeden Montag über Politik und Sprache

Klaus Brinkbäumer

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