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Am Tor zu Europa. Afrikanischer Migrant in einem provisorischen Zeltlager in Tunis (März 2023).

© AFP/FETHI BELAID

Asylpolitik als Lotteriespiel: Ruud Koopmans verlangt mehr Gerechtigkeit für Flüchtlinge

Der Soziologe und Migrationsforscher spricht sich für klare Kontingente aus - auch um die migrantische Kriminalität zu senken.

Mit dem Begriff „Geburtslotterie“ weisen Sozialwissenschaftler auf ungleiche soziale oder politische Verhältnisse hin. Freiheiten, Bildungschancen, ökonomisches Fortkommen und Lebenserwartung hängen in erheblichem Maße davon ab, in welches Land ein Mensch hineingeboren wird.

Auch Ruud Koopmans, Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin und Professor an der Humboldt-Universität, erkennt in seinem Buch „Die Asyl-Lotterie“ ein Gerechtigkeitsproblem. Es besteht darin, dass das Menschenrecht auf Asyl hierzulande faktisch vor allem jenen gewährt wird, die jung, vermögend und gesund genug sind, eine gefährliche Reise auf sich nehmen zu können.

Doch mehr noch als an diesem moralischen Defizit stört sich Koopmans an der Zufälligkeit des Lotteriespiels selbst. Er ist ein Mann der Zahlen und auf Kontrolle bedacht. Weniger als „Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg“, wie der Untertitel lautet, legt er eine Abrechnung mit derselben vor.

Im Stich gelassen

Zu Beginn skizziert der Autor, „warum das europäische Asylregime todkrank“ ist: Es fordert Opfer im Mittelmeer und in der Sahara; die Schwächsten haben wenig Aussicht auf Schutz; Autokraten nutzen das System als Druckmittel aus; die Erstaufnahmeländer werden von den eigentlichen Zielstaaten der Geflüchteten im Stich gelassen; abgelehnte Asylbewerber werden nur in seltenen Fällen abgeschoben.

Gerne läse man nun direkt, wie eine Reform aussehen könnte. Doch ein großer Teil des Buchs widmet sich nicht der Asylpolitik im engeren Sinne, sondern den negativen Erfahrungen, die Deutschland in den letzten Jahren mit eingereisten Menschen machte: Belastung der Sozialsysteme, religiöser Fanatismus, Terror, Verbrechen. Koopmans rechnet akribisch und unter Berücksichtigung der jeweiligen Nationalität und Religionszugehörigkeit vor, wie hoch die Kriminalitätsrate liegt. Im Zweifel: deutlich zu hoch.

Immer wieder unterbrochen wird diese Datenanalyse mit Berichten von Morden, Anschlägen und Vergewaltigungen. Sie sollen das mit Statistiken beworfene Lesepublikum wohl bei der Stange halten. Die Beschreibung des Status Quo ließe sich mit der Aussage zusammenfassen, dass angenommene wie abgelehnte Asylbewerber Staat und Gesellschaft jede Menge Probleme bereiten.

Vorwurf der Stimmungsmache

Diese Schlussfolgerung überrascht nicht. In seinem letzten Buch übte Koopmans harsche Kritik am Islam, Thilo Sarrazin zitiert ihn gern, seine Studenten an der Humboldt-Universität warfen ihm öffentlich Stimmungsmache vor. Politische Straftaten mit Geflüchteten als Geschädigten hält er übrigens für ein vergleichbar geringes Problem, seien doch kaum Todesopfer durch rechtsmotivierte Gewalttaten zu verzeichnen. Freilich ist damit über andere Vergehen oder alltäglichen Rassismus noch rein gar nichts ausgesagt.

Letzteren sieht der Autor offenbar ohnehin als unveränderlichen Fakt an und nicht als Haltung, der offensiv zu begegnen wäre. So hält er eine Verteilung von Geflüchteten nach dem Königsteiner Schlüssel für fatal, seien die östlichen Bundesländer Deutschlands beziehungsweise Staaten der EU, die bislang wenig Erfahrung mit Zuwanderung gemacht haben, doch rasch überfordert mit der Situation.

„Wäre Angela Merkel mit ihrer Forderung, Flüchtlinge in großer Zahl nach Polen, Tschechien oder Rumänien umzusiedeln, erfolgreich gewesen“, so Koopmans, „wären wir mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer massiven Welle fremdenfeindlicher Gewalt und einer noch weiteren Stärkung rechtspopulistischer Kräfte in Osteuropa konfrontiert worden.“ Nicht der Rassismus selbst wird hier als Problem ausgemacht, sondern eine Politik, die diesen nicht als maßgeblichen Faktor für ihr Handeln anerkennt.

Schließlich skizziert Koopmans seinen Reformvorschlag. Er plädiert dafür, deutlich mehr Menschen legal und sicher über Kontingente einreisen zu lassen. Die ungesteuerte Migration will er hingegen mit drastischen Maßnahmen verhindert sehen. Asylbewerber aus Ländern, die nicht an die EU grenzen, sollen in Partnerländer ausgeflogen werden, wo sie auch ihre Anträge stellen und bei einem positiven Bescheid verbleiben sollen. Koopmans schlägt Tunesien oder Albanien vor. Nach dem Vorbild Australiens hat Großbritannien bereits eine vergleichbare Vereinbarung mit Ruanda geschlossen.

Ersichtlich ist dieser Vorstoß vor allem vom Interesse motiviert, illegale Migration, vor allem solche aus ökonomischen Motiven, zu unterbinden. Die Menschen sollen innerhalb ihrer Länder oder in Nachbarstaaten fliehen, Hauptsache sie gelangen nicht ungeplant nach Europa. Für dieses Ziel ist offenbar auch eine Kooperation mit Staaten denkbar, deren Rechtssysteme von den eigenen Standards weit entfernt sind. Ex-Fußballprofi und Moderator Gary Lineker löste kürzlich einen Skandal aus, als er den Plan der britischen Regierung scharf kritisierte. Mit Blick auf die politischen Indizes wohl nicht zu Unrecht: Ruanda gilt als instabil, unfrei und hat Probleme mit Korruption.

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