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Ricard Larsson a n seinem Atelier.

© Foto: Lydia Hesse/TSP

Atelierbesuch bei Ricard Larsson: Fünf Minuten Mensch

Das Atelier des schwedischen Bildhauers befindet sich in den Uferhallen in Berlin-Wedding. Dort stößt man auf ein wimmelndes Welttheater - in rabenschwarzen Bronzeskulpturen von Ricard Larsson.

| Update:

Ricard Larsson? Nie gehört. Das ist möglicherweise ein Fehler. Immerhin zeigt sich ein Doyen der deutschen Kunstszene von den Arbeiten des Malers und Bildhauers überzeugt: Kasper König. „Der Mann ist ein ernstzunehmender Künstler und Pazifist“, steht auf einer Karte, die er zusammen mit Larssons Katalogbuch in die Redaktion expediert hat – das will was heißen. Und Verena Kerfin, Larssons Galeristin, macht sehr gern einen Termin für einen Studiobesuch bei Larsson in den Weddinger Uferhallen aus. Für jede und jeden, der sich für seine Arbeit interessiert. Eine Mail an die Galerie Bark Berlin genügt.

Ricard Larsson ist nicht mehr ganz in dem Alter, wo Durchbrüche stattfinden. Die hat ein 69-jähriger Künstler in der Regel hinter sich. „Larssons Arbeiten gehören in Museen“, ist Kerfin trotzdem überzeugt. Genau daran will sie arbeiten, bestärkt von König. Bislang finden sich nur wenige Texte zu Ricard Larsson im Internet, Bilder seiner Arbeiten schon. Auf seiner Webseite, dem Instagram-Account, auf der Webpräsenz der Bronzegießerei Noack, die nicht nur seine Skulpturen gießt, sondern ihm 2018 auch eine Ausstellung gewidmet hat.

Die Konsequenz, mit der der Künstler Selbsterklärungen meidet, nehmen in einer geschwätzigen Welt für ihn ein – Eitelkeit und das Buhlen um Aufmerksamkeit sind im Kunstbetrieb oft unzertrennliche Partner.

Sollte Larsson etwa ein grimmiger Misanthrop sein, so ausschließlich schwarz, wie sich sein Œuvre gibt? So grotesk, so wimmelnd wie das in Hunderte von Minikreaturen zerfallende Menschengeschlecht dargestellt ist, das in seinen Plastiken und Zeichnungen die Welt überflutet? Was das Katalogbuch „Black Metal“ zeigt, bestätigt sich im Atelier in den Uferhallen: Larssons Bronzen kennen nur eine matte Patina, und die ist schwarz. Auf seinen Gemälden, von denen einige oben an den Wänden der Halle hängen, dient Weiß als größtmöglicher Kontrast. Schwarz und weiß, Nacht und Tag, das sind Larssons Pole, die sich in seinen ebenfalls von Wimmelmenschen bedeckten Gemälden „Hell Nord“ oder „Arena“ vereinen.

Ihr Schöpfer ist ein freundlich lächelnder Herr in Jeans, dessen Skulptur „Concert“ verrät, dass ein Rocker in ihm steckt – ebenso wie seine langen Haare. Allerdings einer mit leiser Stimme, der Fragen nach Arbeit und Leben in tröpfelnd versiegenden Sätzen beantwortet. Er lasse lieber seine Skulpturen reden, sagt er. „Sie haben ihre eigene Sprache.“ In den knapp 20 Jahren, die der am Royal Institute of Art in Stockholm zum Maler ausgebildete Schwede nach Jahren in Florenz nun in Berlin lebt, ist er beim Englischen geblieben. Warum auch nicht. „Ich verbringe meine Zeit meistens im Atelier.“

Das teilt er sich mit seiner Gefährtin Yael Graetz, in deren Kunst sich die Farben finden, die Larsson verschmäht. Außerdem leben hier Pflanzen und Katzen. Eine honigfarbene streicht gerade um die Ecke, drüben sitzt eine schwarzbraun gemusterte.

Chaos menschlicher Gemeinschaft: eine der Arbeiten von  Ricard Larsson.
Chaos menschlicher Gemeinschaft: eine der Arbeiten von Ricard Larsson.

© Foto: Lydia Hesse/TSP

Eigentlich sei Wachs rot oder gelb, erzählt Larsson. Er fügt beim Erwärmen jedoch schwarze Farbe hinzu, um dann in Windeseile eine seiner Kreaturen zu formen. Pro Menschlein hat er fünf Minuten, bis der Werkstoff sich wieder verhärtet. Warum färbt er das Material, das sich unter der Hitze des späteren Bronzeguss-Prozesses völlig verflüchtigen muss, damit die Skulptur nicht explodiert? „Weil ich mir dann besser vorstellen kann, wie die Figur in Bronze aussieht. Außerdem passt es.“

Ricard Larsson lässt lieber seine Skulpturen reden: „Sie haben ihre eigene Sprache“.
Ricard Larsson lässt lieber seine Skulpturen reden: „Sie haben ihre eigene Sprache“.

© Foto: Lydia Hesse/TSP

Und wie es passt. Umstellt von diesen grotesk drängelnden, chaotisch übereinanderpurzelnden Kreaturen, glaubt man, das heillose Chaos menschlicher Gesellschaften zu spüren. Die endgültige Form der Skulptur skizziert Larsson vorher, dann werden die Wesen geformt, aus denen sie zusammengesetzt wird.

Die Wachsskulpturen, von der in der Gießerei Noack Negativformen hergestellt werden, warten in einem abgetrennten Bereich des Studios auf den finalen Guss. In den Sommermonaten hat eine Kühlmaschine sie am Schmelzen hindern müssen. Als Larsson eine Ecke zum Hineinschauen freilegt, ist ein schwarz schimmerndes Wachsgebirge neben dem anderen zu sehen. Unschwer zu erraten, dass die finale Fertigung der schon mal 750 Kilo schweren Bronzeplastiken bei Noack auch ihren Preis hat. Konkretes verrät der Künstler lieber nicht.

Rocket, Escalator, Train, Pumping Jacks, Drones – so lesen sich die Namen seiner Arbeiten, die häufig technische, immer wieder auch militärisch nutzbare Gegenstände zeigen. Die Bronzezeit markierte den Beginn der Zivilisation. In Larssons Bronzen scheint sie auch ihr Ende einzuläuten. Das „Touchdown“ genannte Flugzeug setzt sofort Assoziationen an Kampfjets frei. Und an Anselm Kiefers Flugzeuge. „Cloud“ zeigt einen stilisierten Atompilz in Form einer Qualle, an deren Fäden Menschen und Erde kleben. „Fata Morgana“ versammelt Menschen auf einer Insel, die einander die Gasmasken von den Gesichtern reißen. Es sind dystopische, aggressive Szenarien.

Larsson jedoch machen sie Freude. Er fühlt sich beim Formen lebendig, muss den Wachsklumpen beim Kneten nicht mal anschauen. „Es ist ein großer Spaß, sein eigenes Universum zu gestalten.“

Das Ergebnis sieht aber nicht spaßig aus, Herr Larsson! „Für mich schon. Es steckt auch Humor in den krabbelnden Figuren.“ Es ist der Galgenhumor eines Beobachters, der Krieg und Kapitalismus mit staunendem Kopfschütteln registriert. „Die Welt ist verrückt“, sagt er. „Ich kritisiere Systeme, die Menschen sagen, was sie zu tun haben.“ Auch die Individuen selbst? Er schüttelt den Kopf: „Menschen sind gut.“ Jetzt müssen sie bloß noch die Museumsreife der Kunst des Ricard Larsson entdecken.

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