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Putins Regenbogen-Schlagstock. Der Künstler Stepan Myannik betont, dass es sich bei seinem Gemälde trotz gewisser Ähnlichkeiten um den Erzengel Michael handelt.

© Omelchenko Galerie, Moskau

Aufbruchsstimmung in Moskau: Die russische Kunstszene opponiert mit Mut und Humor

Der Herbst in Moskau verspricht, ein Feuerwerk der Kunst zu werden. Die Szene strotzt vor mutigen Ideen. Sie ist kritisch, aufmüpfig und frech. Ein Besuch.

Moskau leuchtet – gerade jetzt, im September, bei den geballten Eröffnungen der Herbstsaison. Ein Feuerwerk, das so dicht, so euphorisch in den russischen Himmel geschossen wird, wie vielleicht seit Sputnik-Zeiten nicht mehr.

Zum Beispiel die „Garage“, jenes legendäre Kunst-UFO, das der Oligarch Roman Abramowitsch mitten im Gorki-Park hat landen lassen. Hier dümpelte vor fünfzehn Jahren noch ein versifftes Drogenparadies zwischen Teichen, Wiesen und einem monumentalen Siegestor zum Triumph über den Nationalsozialismus. Heute strahlt alles blitzblank, wie überhaupt die gesamte Moskauer Innenstadt mit ihrer fantastischen Architektur überholt, dramatisch ausgeleuchtet und grundsaniert worden ist – ohne Obdachlose, ohne blümchenverkaufende Babuschkas, die ihre Rente aufbessern wollen. Moskau ist tatsächlich eine neue Stadt.

Ausgerechnet ein Deutscher gibt bei diesen Kunstfestspielen den Ton an: Thomas Demand, Fotokünstler von Weltruf, bespielt bei seinem ersten Russland-Auftritt die „Garage“. Er geht der Frage nach, was aus Edward Snowden geworden ist, jenem US-Whistleblower, der sich 2013 auf der Flucht vor dem US-Geheimdienst nach Moskau abgesetzt hatte.

Thomas Demand, der Maniker unter den Fotografen, durfte am Flughafen Sheremetyevo jenes Hotelzimmer inspizieren, in dem der Wikileaks-Held einige Tage sein Dasein fristete, als der wohl einsamste Mann der Welt. „Mirror without Memory“ ist ein Blick in den leeren Spiegel des Agentenkosmos, ein Raum ohne Fenster, in gedämpftes Gelb-Rot getaucht, eine blaue Bettdecke, kalt, leer und erstickend. Und in der Tat: Man hat ja auch schon sehr lange nichts mehr von Edward Snowden gehört.

Demands gruselige Moskau-Rhapsodie hat allerdings nichts mit der real existierenden, geradezu eruptiven jungen Kunstszene Moskaus zu tun. Diese vibriert geradezu vor Leben und Kreativität.

Ironie als Waffe

Wer etwa über die „Cosmoscow“ schlendert, die größte und wichtigste Kunstmesse der russisch dominierten Welt, der reibt sich allenthalben nur die Augen. Da begegnet einem schon mal ein Putin im Bademantel. Der Künstler Stepan Myannik, gerade mal 27 Jahre, schwarze Locken und Sohn einer berühmten russischen Schauspielerin, betont jedoch, dass es sich in Wirklichkeit um den Erzengel Michael handle.

„Hier sehen Sie ein Porträt des Schutzengels, der traditionell mit einem Schwert dargestellt wird“, erklärt der Künstler. „Der Engel auf meinem Bild schwingt allerdings kein Schwert, sondern einen Schlagstock, und dieser Schlagstock ist in Regenbogenfarben gemalt, was wiederum ungewöhnlich ist, weil die Regenbogenfarben als politisches Signal in Russland verboten sind.“ Der Engel trägt Hotelschlappen und einen weißen Pyjama, es könnte aber auch ein Judo-Kittel sein, „und für diesen Kampfsport ist unser Präsident Wladimir Putin ja berühmt“.

Die Ambivalenzen drängen sich dicht an dicht, das Ganze wird zum metamorphotischen Zerrbild zwischen Religion und Politik, Macht und Männlichkeit, vor allem aber zur Karikatur. „Meine wichtigste Waffe ist die Ironie. Es ist schwer, ernsthaft mit Ironie umzugehen“, sagt Stepan Myannek.

Kunst war in Russland schon immer ein Problemthema

Genau hier liegt das Geheimnis der russischen Gegenwartskunst: Sie ist kritisch, aufgeweckt, durchaus frech und aufmüpfig. Doch sie hat nichts Gallig-Verbissenes, und sie rennt auch nicht blind gegen die Staatsmacht an, und sie lässt sich nicht von Polizisten zusammenknüppeln, sondern versucht, sie zu ironisieren und zu unterminieren – mit Humor.

Kunst – das war in der Sowjetunion und in Russland immer schon ein Problemthema. Stalin ließ die weltweit führende Kunst des Suprematismus als dekadent verbieten, und Chrustschow forderte sogar den Einsatz von Bulldozzern, um die Werke der Avantgarde zu Staub zu zerreiben. Nur der heldenhafte Sowjetmensch und das Bemühen um den Aufbau des Sozialismus sollten, so die gängelnde Staatsmacht, von den Künstlern verherrlicht werden.

Dass Russland alles andere als eine Demokratie ist, haben die Duma-Wahlen gerade wieder gezeigt. Doch nun kommen aus der Politik ganz andere Töne. Moskaus Stadtregierung leistet sogar Hilfestellung bei der Kunstproduktion, stellt Atelierräume zur Verfügung und übernimmt Teile der Organisation.

„Kunst wird in diesem Jahr erstmals als Kreativwirtschaft gefördert, vom Moskauer Bürgermeister. Und erstmals präsentieren sich junge Künstler voller Stolz unter der Marke Made by Moscow“, sagt Margerita Pushkina, die Gründerin und Leiterin der Messe Cosmoscow, einem hübschen Wortspiel übrigens aus Comos und Moscow, einer kleinen russischen Art Basel.

Dabei hätte die kleine, blonde und stets gut gelaunte Ehefrau eines Industriemagnaten um ein Haar gerade ihr Waterloo erlebt. Noch Tage vor Beginn der Cosmoscow sah es nach einer Absage aus – wegen Covid. Der geplante Veranstaltungsort Gostinij Dwor, eine aus Glas nachgebaute ehemalige Reiterhalle, der wohl prestigeträchtigste Ausstellungsort Russlands, war für die Kunst plötzlich tabu, weil dort ein Impfzentrum aufgebaut worden war. Dann aber ließ sich, zweifellos mit Hilfe von ganz oben, in Windeseile Ersatz finden, in der „Manege“, unmittelbar am Roten Platz.

Es gibt gewaltsame Übergriffe durch rechte Gruppen

Von Zensur ist auf der Cosmoscow nichts zu spüren. Sie zielt in Russland wohl eher auf das gesprochene Wort, eine Kontrolle der Medien. Seit Jahren setzen sie sich offen für den Regisseur Kirill Serebrennikow ein, der unter Hausarrest steht, auch mit weithin sichtbaren Plakaten auf der letzten Cosmoscow wie „Free Serebrennikow“.

Das heißt allerdings nicht, dass man sich als Galerist keinen Ärger einfangen kann. Gewaltsame Übergriffe durch rechte politische Gruppen, die alles Kurz und Klein schlugen, hat etwa die für ihre kritische Konzeptkunst bekannte Galerie 11.12 schon viermal erlebt. Auf die Frage, ob er Angst habe, lacht der Besitzer Alexandr Sharov und sagt: „Ich war Fallschirmjäger in der sowjetischen Armee. Angst kenne ich nicht.“

Die Galerie Syntax, an der reichsten und elegantesten Straße Moskaus gelegen, gibt erstaunlicherweise belarussischen Künslern eine neue Heimat, die vor Lukaschenkos Terrormaschine geflohen sind. Ausgerechnet in Russland, das mit Belarus in einem Staatenbund verbrüdert ist. Vor sechs Monaten hat einer der Künstler die Mona Lisa aktualisiert – mit den Gesichtszügen Wladimir Putins. „Es gab ein paar Reaktionen“, sagt die Galeristin Elvira Tarnogradskaya, aber uns ist nichts passiert.“ Nur mit dem Server gibt es wohl gerade Probleme.

Viel zu entdecken

Nicht Angst ist die dominierende Stimmung unter Moskaus Kreativen, sondern Mut, Engagement und sogar Enthusiasmus. Nach dem alten russischen Sprichwort: Wo nichts sicher ist, ist alles möglich. Trotz des, wie im Fall Nawalny, eisigen Zugriffs des Systems: In der Kunst wird ein Stück Pluralismus, Meinungsfreudigkeit und Freiheit sichtbar, die man in Russland nicht überall erleben kann.

Erstmals konnten sich auf der parallel stattfinden Messe Blazar die einzelnen Regionen vorstellen, zum Beispiel Jakutien, der kälteste Ort der Erde. Man sollte Jakutien besuchen, bevor der Permafrost schmilzt, was die Künstlerinnen und Künstler schon jetzt extrem beunruhigt.

Der Westen könnte, ja müsste geradezu an die neue Moskauer Aufbruchstimmung andocken – und dabei das eine oder andere Russland-Klischee über Bord werfen. Russlands Kunst sehnt sich Austausch, nach Dialog – doch der findet leider nicht statt. Russland und den „Westen“ trennt eine politische Mauer, die jeden Tag höher zu werden scheint. Weltenwanderer gibt es kaum, sieht man etwa von der Berliner Galerie Diehl in Berlin ab.

Volker Diehl gehörte vor über zehn Jahren sogar einmal zu den Mitbegründern der Cosmoscow. Nach Moskau kommt er jedes Jahr aufs Neue: „Man kann unheimlich viel entdecken in Russland. Da gibt es nicht nur Russland, sondern auch die ehemaligen Sowjetstaaten. Wir reden von über 250 Millionen Menschen. Da gibt es Dinge zu entdecken, die es wert sind, dass man genauer hinschaut.“

Werner Bloch

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