
© Gunter Lepkowski
Aus der Bildermaschine: Eine Soloschau von Leyla Yenirce
Die Künstlerin aus Hamburg schreibt Musicals, macht Filme und hat Kunst studiert. Ihre Gemälde stellt sie nun in der Galerie Capitain Petzel aus.
Stand:
Aus dem Off der Lautsprecher singt eine fremdartige Stimme ein durch elektronische und andere Laute, Lachen, Weinen und Rauschen verfremdetes Volkslied. Man müsste Kurmandschi sprechen, um die Variation auf das Lied „Peşiya Malê“ zu verstehen. Im Original flieht eine Frau der Liebe wegen in die Berge – hier zieht sie in den Krieg, so sind die Zeiten.
Ihre Herkunft ist im Werk der Urheberin dieser Interpretation, der 1992 als jesidische Kurdin in der Türkei geborenen und im Alter von drei Jahren nach Oldenburg gekommenen Leyla Yenirce omnipräsent. Die Künstlerin als multidisziplinär zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Gibt es eigentlich kein weibliches Pendant für den Hansdampf in allen Gassen? Leyla Yenirce wäre ein guter Grund, mal danach zu suchen.
Yenirce schreibt Musicals und rezensiert Filme
Von der volksmusikbasierten Soundinstallation über ein Musical in Hamburg, ihrem Wohnort, bis zur Performance in den Berliner Sophiensälen (am 15./16.12.: „Code. Noise-Performance mit Stimme“), in der Elbphilharmonie (2024) und darüber hinaus reicht ihr musikalisches Schaffen. Dem „Missy Magazine“ zufolge, das sie als Autorin listet, arbeitet sie an einem Film über die jesidische Diaspora in Deutschland, während sie für den Tagesspiegel auch schon einmal einen Film („Haus ohne Dach“) zu eben diesem Thema rezensiert hat.
Insofern bietet sich der Vergleich mit Jutta Koether an, deren Werk auch eine Vielzahl von Aktivitäten umfasst, Journalismus inklusive, die man zu allererst aber wohl als Malerin begreift, und bei der Leyla Yenirce eben das an der HFBK Hamburg studiert hat: Malerei.
„Ich krieg Geschwindigkeit“ heißt eine Installation
Und so ist die aus den Lautsprechern tönende zwanzigminütige Soundinstallation „Ich krieg Geschwindigkeit“ („price upon request“) zwar – titelgebender – Teil von Leyla Yenirces erster Einzelausstellung in der Berliner Galerie Capitain Petzel (nachdem sie eben dort im vergangenen Jahr bereits an der Gruppenausstellung „the state I am in“ teilgenommen und bei Schiefe Zähne im Frühjahr die Video- und Sound-Arbeit „SPLITTER“ installiert hat), die allerdings sonst ausschließlich Malerei in Gestalt von zwölf großformatigen (200 x 230 cm bis 300 x 200 cm) Gemälden zeigt.
Es wundert nicht, vielmehr versteht es sich gewissermaßen von selbst, dass die Künstlerin der vielen Disziplinen sich auch auf dem Leinwand-Rechteck nicht auf eine Technik beschränkt. Sie kombiniert Ölfarbe und gesprühte Acrylfarbe mit Siebdruck, der immer wieder ein dem Internet entnommenes Motiv zeigt: eine Gruppe mit Kalaschnikows bewaffneter Frauen einer sogenannten Frauenverteidigungseinheit der kurdisch-syrischen Miliz YPG. Auch die Konstruktionszeichnung für so ein Sturmgewehr findet sich auf einem der Bilder. Die auf der Hand liegende Frage nach der Politisierung der Künstlerin vermag man in der Galerie nicht zu beantworten.
Aber wie geht das zusammen? Die gedruckte, also sorgfältig vorbereitete Gegenständlichkeit mit maximal zeitgeschichtlichem (wenn nicht autobiografischem) Bezug auf der einen Seite – und der mutmaßlich mit großer Geschwindigkeit im Stile der gestischen Malerei des abstrakten Expressionismus vollzogene Farbauftrag auf der anderen Seite? Das heißt: eben nicht auf der einen und der anderen Seite, sondern aufeinander, übereinander, sich in mehreren Schichten überlagernd, überflutend. In Grün und in Grau und in Blau, aber auch in Rosa und in Rot. Bildtitel wie „PlayStation“, „Polterabend“ oder „Pink“ helfen auch nicht unbedingt weiter.
Ein Symbol für den feministischen Kampf?
„Ich krieg Geschwindigkeit, der Titel von Leyla Yenirces Ausstellung, hallt imaginär durch den Galerieraum wie eine Parole, bei der visuelle Energien nicht nur freigesetzt werden, sondern in einer Architektur der Montage weiter gedeihen“, schwelgt Elisa R. Linn, die Kuratorin der Schau, in ihrem diese begleitenden Text in typisch übersteuerter Kuratorenprosa. Sie interpretiert die wilden Farbschichten über den kurdischen Kämpferinnen gar als „affektgesteuerte Schmierattacke gegen bildliche Deutungshoheit“. Die ständige Reproduktion per Siebdruck à la Warhol verleihe dem Motiv der Kämpferinnen, die in den globalen Netzmedien weltweit zum Symbol für den feministischen Kampf „matrifiziert“ würden, Geschwindigkeit in einer „Bildmaschine“, werde die Ästhetisierung ihrer Widerständigkeit verhandelt. Aha.
Leyla Yenirces Bilder kosten bei Capitain Petzel zwischen 23.500 und 27.500 Euro. Die Mehrzahl ist bereits „in amerikanische und europäische Sammlungen“ verkauft.
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