
© Pater Gabriel Bretocq/Villa Oppenheim
Ausstellung über die armenische Diaspora: Spuren des Erinnerns
Das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf widmet sich der Geschichte und Kultur der armenischen Diaspora. Fünf Berliner und Berlinerinnen geben in der Ausstellung Einblicke in bewegende Familiengeschichten.
Stand:
In einer Vitrine des hell ausgeleuchteten Raumes in der Villa Oppenheim liegt eine braune, hölzerne Violine. Rundherum sind Schwarz-Weiß-Fotografien ausgebreitet. Sie zeigen Porträts, ein junges Paar, Männer in Uniform. Schon auf den ersten Blick wird deutlich: Diese Aufnahmen stammen aus einer anderen Zeit.
Die Geige gehörte Ganan, dem Großvater von Tamar Gürciyan. In den 1940er Jahren hatte er sie gekauft, ohne je gelernt zu haben, darauf zu spielen. Warum Ganan das Instrument trotzdem erwarb? Seine Enkelin vermutet, dass ihn das Instrument an die vielen musikalischen Abende erinnerte, die sein Vater bei sich zuhause im ostanatolischen Malatya veranstaltet hatte.
Alltagsobjekte als Zeitzeugen der armenischen Diaspora
Neben der Geige befinden sich noch weitere Alltagsgegenstände in der ersten Etage der Villa Oppenheim. Ein weißes Brautkleid hängt in der Mitte des kleinen Raumes, ein orientalischer Teppich ziert die rechte Wand, ein Service aus vergoldeten Kaffeetassen liegt sorgfältig arrangiert in einer weiteren Vitrine. Es sind Alltagsobjekte – und zugleich stille Zeugen von Biografien, geprägt von Vertreibung, Verlust und Zerrissenheit.
Die Objekte sind Teil der Sonderausstellung „Re-Membering: Spuren armenischen Lebens in der Diaspora”, aktuell zu sehen im Museum Charlottenburg-Wilmersdorf. Fünf Berliner*innen mit armenischen Wurzeln teilen darin ihre persönlichen Familiengeschichten und machen diese durch persönliche Erinnerungsstücke anschaubar. Sie alle eint eine Vergangenheit, die bis in die Gegenwart Spuren hinterlässt.
Den Spuren der Vergangenheit nachgehen, hinterfragen, wie wir aus dem Heute erinnern, dieses Ziel verfolgt die Ausstellung. Im Fokus stehen dabei die Perspektiven der armenischen Diaspora in Berlin. „Re-Membering” gewährt Einblicke in den Umgang von Angehörigen und Betroffenen mit dem Leid, ausgelöst durch den Genozid an den Armenier*innen durch das Osmanische Reich vor 110 Jahren.
Erfahrungen von Flucht und Vertreibung über Generationen
Mit Schätzungen von sieben bis zehn Millionen im Ausland lebenden Armenier*innen ist die Diaspora heute größer als die Bevölkerung Armeniens selbst. Allein in Deutschland leben schätzungsweise 50.000 bis 60.000 Menschen mit armenischen Wurzeln.

© Armenika Houshamadyan e.V.
Die Ausstellung macht die Geschichte und die Kultur der armenischen Diaspora in Berlin in drei thematisch gegliederten Kapiteln für Besucher*innen sichtbar. Herzstück sind private Objekte – etwa der Geige von Gürciyans Großvater –, anhand derer persönliche Schicksale geprägt von den Erfahrungen des Völkermordes erzählt werden. Sie berichten von Flucht und Vertreibung, aber auch von der Bewahrung von Identität über Generationen hinweg.
Ein weiterer Schwerpunkt erschließt den Berliner Stadtraum als Erinnerungslandschaft. Auf einer großformatigen Karte Berlins, erstellt von Tamar Sarkissian, sind historische Orte in und um Charlottenburg markiert, die mit der Geschichte des Völkermordes verbunden sind. Das Begleitheft der Ausstellung beleuchtet die Bedeutung dieser Orte im Kontext einer osmanisch-deutschen Verflechtungsgeschichte. Zusätzlich angebotene Stadtrundgänge laden dazu ein, die historischen Spuren selbst zu begehen.
Der dritte Ausstellungsteil widmet sich der kulturellen Vielfalt der armenischen Diaspora. Hier steht Kultur nicht nur zur Bewahrung von Identitäten im Mittelpunkt, sondern auch als Brücke zwischen Generationen und Gesellschaften. Sie wird zum Medium des Erinnerns und des Austauschs darüber. Besucher*innen können an diesem Austausch teilnehmen, indem sie in die Welt der Musik und des Tanzes Armeniens eintauchen.
Die Ausstellung „Re-Membering“ verankert Geschichte und Kultur nicht im Abstrakten, sondern in persönlichen Narrativen. So entsteht ein vielstimmiges und eindrucksvolles Bild des Erinnerungsprozesses in der armenischen Diaspora – voller Brüche, aber auch voller Kontinuitäten.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: