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Nah an der Sowjet-Ästhetik: Das Werk „Leonardo di Socialismo“ (2021) von Filip Markiewicz.

© Filip Markiewicz

Ausstellung „Ultrasocial Pop“ von Filip Markiewicz: Neuer heißer Scheiß

Zwischen Kapitalismus und Utopie: Ein Treffen mit Künstler Filip Markiewicz in seiner Ausstellung „Ultrasocial Pop“ im Berliner Haus am Lützowplatz.

Die Ausstellung „Ultrasocial Pop“ ist bis 12. Juni, Di. bis So., 11 - 18 Uhr im Haus am Lützowplatz (Lützowplatz 9) zu sehen. Am Sonntag, 24. April, 15 Uhr, ist Markiewicz dort im Künstlergespräch, am 30. April um 17 Uhr als Musiker „Raftside" in einer Performance zu erleben. Weitere Informationen auf hal-berlin.de

Wenn ein Filmposter Leonardo DiCaprio und Kate Winslet zeigt, Arm in Arm, irgendwo in die Ferne starrend, dann verweist das nicht bloß auf den darauf beworbenen Film. In James Camerons Kassenschlager „Titanic“ stirbt Jack Dawson bekanntlich, von DiCaprio gemimt, einen elffach oscargekrönten Tod. In der Geschichte kristallisiert sich der Glamour dieses Protagonisten posthum in einem Diamanten, den seine Geliebte, Rose, von Winslet gespielt, fortan bei sich trägt. Und keine Besprechung des Films wäre vollständig ohne die Erwähnung von Celine Dions Song „My Heart Will Go On“.

Titanic, der bei seinem Erscheinen 1997 teuerste Film aller Zeiten, ist ein Glamour-Spektakel, das weit über die Leinwand hinaus reicht: Es ist der Beginn der weltweiten Klatschspalten-Aufmerksamkeit für DiCaprio, Zentrum einer gigantischen Merchandise-Maschinerie und Anker eines Musikkosmos, der die Jugendzimmer abertausender Jugendlicher der späten Neunziger eben mit Celine Dions Versprechen tränkte, die Liebe werde, egal was in der Welt geschehe, immer bestehen bleiben. „Titanic“ war von Anfang an totaler Pop, weil es nie nur ein Film war, sondern ein Marken-Universum.

Filip Markiewicz hat das Poster paraphrasiert, Öl auf Leinwand: Der junge DiCaprio schaut zuversichtlich oder verängstigt, wer weiß das schon, aber durchaus heldenwürdig in irgendeine Ferne. Kate Winslet als nicht ganz ebenbürtige Partnerin an seiner Seite. Mehr noch als die originale Fotografie erinnert das Ölbild an Poster aus dem sowjetischen Konstruktivismus des letzten Jahrhunderts und macht sichtbar, wie nahe auch das Originalbild schon an der Sowjet-Ästhetik war. Und vielleicht, weil es Öl auf Leinwand ist, und man weiß, dass Öl auf Leinwand Zeit braucht, Schicht um Schicht aufgetragen wird, immer wieder zwischentrocknen muss – vielleicht also, schaut man deshalb etwas aufmerksamer und langsamer auf die Bildkomposition, die Körpersprache und den Ausdruck in der beiden Gesichter.

Verklärte Sicht auf den Sozialismus

Unten rechts in der Bildecke steht die Antwort: EGAL. Vier Großbuchstaben im Stil des schwedischen Spielzeugherstellers LEGO. EGAL, wie Gleichheit, Gleichgültigkeit und gleichschwebende Aufmerksamkeit, Kampfbegriffe der markiewiczschen Pop-Revolution. Auf die Gleichheit pocht auch der Titel: „Leonardo di Socialismo“.

Der Künstler Filip Markiewicz.
Der Künstler Filip Markiewicz.

© Raftside/Markiewicz

Markiewicz, muss man wissen, kennt mehrere Perspektiven auf die Popwelt. Zum einen ist er als Sohn polnischer Auswanderer in Luxemburg zur Welt gekommen. Und zwar 1982, als in Polen die Solidarnosc-Bewegung gerade verboten und das Kriegsrecht verhängt worden war. Westlicher Pop und Kapitalismus waren Systemfeinde, zugleich von vielen herbeigeträumte Utopie. Dann die luxemburgische Perspektive: Pop als Lebenswelt, von der man sich eigentlich schon wieder distanzierte.

„In den Neunzigern waren es die polnischen Kinder, die sich für Coca Cola begeisterten, für Shopping-Malls und den totalen Konsum“, sagt er, „während wir uns schon langsam mit einer Gegenkultur auf den Weg machten, Fair-Trade und Bio-Etiketten zu fordern“. Im Studium in Frankreich habe ihn dann die romantisch verklärte Sicht auf den Sozialismus verwirrt, die kaum etwas mit dem gemein hatte, was er durch seine Familie mitbekommen hatte. Sozialismus als Lifestyle-Marke.

Kapitalismus, Pop und Populismus

Dass man anders auf Pop schaut, wenn man ihn von außen gesehen hat, mutmaßt er. Dass einem das Inszenierte und Absurde daran stärker auffällt. Dass Kapitalismus, Pop und Populismus grundsätzlich auf das Engste verwoben erscheinen. Und dass man genau das, was der aufgeklärte Popdiskurs am Pop selbst kritisiert, seine Oberflächlichkeit, Kurzweiligkeit und Leere, schön und anziehend findet. Abstoßend schön vielleicht.

„Dabei existiert eine echte Popkultur eigentlich gar nicht mehr“, sagt er. Die Naivität, mit der er selbst zum ersten Mal staunend eines seiner eigenen Bilder beäugte, „Oh, so bunt, toll!“, diese Naivität aufzubringen, schaffe er nicht mehr. Es sei immer schon eine Metaebene eingewoben. Der Pop habe sein Novum verbraucht, sei heute kaum mehr als die Nostalgie einer vergangenen Aufbruchstimmung. Museal gewordene Geschichte, die sich selbst unentwegt wiederverwerten und neu referenzieren muss, um noch zu funktionieren. Und die sich zugleich immer noch als neuer, heißer Scheiß inszenieren muss, weil es schon immer ihre Domäne war, sich als neu und heiß zu inszenieren.

Die Ausstellung „Ultrasocial Pop“ spiegelt das wieder: Ein Universum voller großer Namen, von Nietzsche zu Hamlet, von Gerhard zu Daniel Richter, von Jack Nicholson zu Wladimir Putin, von DiCaprio zu Antigone, allesamt als mehr oder weniger leere Marken inszeniert. Ein Universum autonom gewordener Zeichen, manifestiert in Ölgemälden, Zeichnungen, Film und Skulpturen. Und, weil es ein Pop-Universum ist, liegt allem ein Soundtrack von Raftside zugrunde, dem Popstar-Alter-Ego Markiewiczs.

„It's the end of the road“ lautet die erste Zeile des Albums, weil im kurzweiligen Pop jedem Anfang schon ein Ende innewohnt. Und weil die Zeile selbst eine Referenz an zahlreiche Popsongs bildet. Und es endet mit einem „Manifesto“, das gebetsmühlenartig soziale und politische Ideale einer aufgeklärten, „woken“ Generation aufzählt. Je wahrer, größer und bedeutender die Zeile, desto mehr schwingt auch schon ihre Verwertbarkeit als Slogan und Kaufkraft-Booster mit.

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