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Austellung: Himmelskörper und Seelenspiegel

Wem gehört der Mond? Eine Kölner Ausstellung zeigt den Streit zwischen Kunst und Wissenschaft.

Er ist der Inbegriff des Uneigentlichen, Vermittelten. Holt sich das Licht von anderem Licht, reflektiert nur, wo andere brennen, tritt erst auf, wenn der Tag vergeht. Wo die Sonne das Leben, das Licht verkörpert, ist der Mond: Sehnsucht. Rätsel. Und Gefahr. Unbeständig und doch verzaubernd, verführerisch schön. Kein Wunder, dass er seit jeher mit dem Weiblichen assoziiert wird, mit Mondphasen, Menstruationszyklen, Träumerei. Sei es die Mondgöttin Selene oder die Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“, die Jungfrau Maria, die auf einer Mondsichel steht, oder die Liebende, die bei Nacht auf den Geliebten wartet und dabei den Mond anschmachtet – immer wieder sind weibliche Mythenbilder auf den Mond gekommen.

Den Mond in der Kunst untersucht nun eine Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum – und fördert dabei so reiches Material zutage, dass man sich wundert, warum bislang noch niemand auf die Idee gekommen ist. Denn gerade die Kunst spielt begeistert mit den Möglichkeiten des Themas, schafft Nachtbilder, die raffiniert mit Lichtquellen spielen, wählt das silbrig-weiße Mondlicht als Gegensatz zum Tageslicht. Nachts sind alle Katzen grau? Von wegen. Erst im Vollmond entfalten Landschaften ihre Eigenarten, bekommt die Seele Flügel. Auch die Fantasie von Dichtern hat der Mond von jeher befeuert.

Denn der Mond ist immer auch Symbol – eines, das in spannungsvollem Wechselverhältnis zu den Erkenntnissen der Wissenschaft steht. Die mittelalterliche Kunst, die die Jungfrau Maria mit dem Mond gleichsetzt, der das Licht Gottvaters wie ein Spiegel reflektiert, kommt bald in Erklärungsschwierigkeiten, als Wissenschaftler wie Galileo Galilei mit dem Teleskop beobachten, dass der Mond keineswegs rein ist, sondern von Kratern, Bergen und Tälern durchzogen. Dabei muss man vielleicht nicht so weit gehen wie die Kölner Kuratoren, die das schöne, runde, bleiche Gesicht von Stefan Lochners „Muttergottes in der Rosenlaube“ zum Mondgesicht erklären – die kleinen Monde und Mondzyklen, die den Heiligenschein der Madonna bilden, beweisen die enge Verbindung zwischen Kalenderwissenschaft und Kirche.

Es sind, seit der Erfindung des Teleskops 1608, zunächst oft Theologen, die sich nebenbei als Astronomen betätigen und damit Erkenntnisse befördern, die die Kirche selbst lange Zeit verbannte. Die Künstler hingegen zeigen sich früh inspiriert: So malt sich Peter Paul Rubens 1605 in seinem „Selbstbildnis im Kreise der Mantuaner Freunde“ selbstbewusst auf Augenhöhe mit Galilei. Und angesichts von Adam Elsheimers spektakulärer „Flucht nach Ägypten“ wurde schon früh spekuliert, ob der Künstler für seine exakte Darstellung der Milchstraße etwa ein Teleskop benutzt habe – ein Jahr vor der Publikation von Galileos wegweisendem „Sternenboten“.

Die Faszination, die der Himmelskörper im 18. Jahrhundert ausübt, belegt die Ausstellung mit einer Vielzahl von Mondkarten, Mondgloben, Mondmodellen. Ein kostbarer Mondglobus von John Russell lagerte zwei Jahrhunderts original in Schafwolle verpackt auf dem Dachboden von Burghley House, bis er 1985 entdeckt wurde. Aber auch die pädagogische Vermittlung der Himmelswelt blüht auf. So spekuliert Christian Ernst Wünsch in seinen „Kosmologischen Unterhaltungen für die Jugend“ 1778 über ein Leben auf dem Mond: „Wenn sie Erde oder Steine essen können und wenig Luft bedürfen, so seh ich nicht, warum keine lebendigen Geschöpfe da selbst zu finden seyn sollten“. Literarische Träume von Reisen zum Mond, die vor allem im England des 17. Jahrhunderts sehr beliebt sind, tragen Titel wie „The Discovery of a World in the Moon“ oder „A Discourse Concerning a New World and Another Planet“ und lesen sich wie frühe Science Fiction. Noch Georges Méliès’ „Reise zum Mond“ oder Fritz Langs „Frau auf dem Mond“ sind späte Echos der aufklärerischen Mondbegeisterung.

Die Kunst jedoch geht bald andere Wege. Nicht der Mondkörper an sich, seine Beschaffenheit, seine Topographie, steht im Zentrum des Interesses, sondern das Licht des Mondes, seine Aura, sein Effekt. Die romantischen Landschaften etwa eines Joseph Wright of Derby spielen mit dem dramatischen Helldunkel einer Vollmondnacht, und die Romantiker rund um Caspar David Friedrich lösen eine wahre „Mondschwemme“ aus: Der Mond im Gebirge, der Mond in der Stadt, der Mond über dem Meer, der Mond im Wald, das ganze Mond-Repertoire wird durchgespielt. Doch nicht nur Nacht-Romantik ist hier das Motiv – die religiöse Symbolik, die seit den Erkenntnissen der Astronomie aus den Mondbildern gewichen war, kehrt mit Macht zurück. Gerade bei Caspar David Friedrich, darauf hat Helmut Börsch-Supan hingewiesen, hat alles religiöse Bedeutung, der aus der Nacht aufsteigende Mond steht für den auferstehenden Christus. Was, etwa beim Berliner „Kreuz in der Ostsee“, das in Köln in einer Kopie gezeigt wird, noch dadurch betont wird, dass der Mond, nebel- und wolkenverhangen, hinter einem finster ragenden Kreuz aufgeht.

Mit den verhangenen Mondbildern, die eher auf Lichteffekte als auf genaue Erfassung der Mondoberfläche setzen, behauptet sich, so die These der Ausstellung, die Kunst gegenüber der übermächtig werdenden Wissenschaft. So betont Carl Gustav Carus in einem Brief. dass er die von der Wissenschaft aufgebaute Hierarchie – die Sonne gibt das Licht, der Mond reflektiert es nur – nicht gelten lassen wolle, sondern eine „liebende Wechselwirkung“ zwischen beiden Gestirnen sehe. Was der Kopf trennt, führt das Gefühl wieder zusammen.

Hier hätte die Ausstellung getrost aus dem Vollen schöpfen können, um das ganze Spektrum künstlerischer Mondbegeisterung zu analysieren. Stattdessen ergreifen wieder die Wissenschaftler das Wort, weisen auf die Stunde genau nach, wann Caspar David Friedrichs „Einsames Haus am Kieferwald“, Carl Julius von Leypolds „Bäume im Mondschein“ oder Edvard Munchs „Vier Mädchen auf der Brücke“ gemalt worden sind – um sich dann ganz der Science-Fiction-Begeisterung von Mondmission und Mondlandung hinzugeben. Dabei hat der Mond, dieses unbewohnte Stück Stein, für Wissenschaftler wie Fantasten längst gegenüber dem Mars verloren. Nur die Kunst, sie träumt weiter.

Der Mond, Wallraf-Richartz-Museum Köln, bis 16. August. Katalog (Hatje Cantz) im Museum 30 Euro, im Buchhandel 39,80 Euro.

Christina Tilmann

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