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Uli Richter

© F. C. Gundlach

Modegeschichte: Im Daiquiri-Kleid zur Cocktailparty

Couturier der BRD: Das Kunstgewerbemuseum ehrt den legendären Berliner Modeschöpfer Uli Richter, der die Mode der BRD seit fast einem halben Jahrhundert prägte.

Uli Richter sieht alles. Die Pumps, die für das braun-grüne Kleid einen Hauch zu hell sind und dringend ausgetauscht werden müssen. Den Gürtel, der vor 30 Jahren ganz bestimmt nicht zu diesem roséfarbenen Kleid getragen wurde. Und ob sich der Techniker wirklich sicher sei, dass die weiße Schrift auf dem dunkelbraunen Untergrund lesbar sein wird? Das Kunstgewerbemuseum zeigt ab morgen eine Retrospektive des Berliner Designers – aber genau genommen zeigt Uli Richter seine eigene Retrospektive. Denn die Museumsschau soll genau so perfekt werden wie die Modenschauen, die er von 1960 bis 1982 in seinem Atelier am Kurfürstendamm organisierte.

Als Richter 1959 beschloss, sich zusammen mit seiner Kollegin Dorothea Köhlich-Naville selbstständig zu machen, hatte er schon mehr als zehn Jahre in den besten Modehäusern Berlins gearbeitet. Zuletzt als Chefstilist bei Schröder-Eggeringhaus als Nachfolger von Heinz Oestergaard, einem weiteren großen Berliner Couturier. Richters erster Chef Rolf Horn nahm ihn schon in den frühen fünfziger Jahren mit nach Paris zu den Schauen von Cristobal Balenciaga und Christian Dior. Die Mode in Paris war unbestrittenes Leitbild – aber für Deutschland wurden andere Kleider gebraucht. Welche, mit denen man zwar schick aussah, aber nicht zu sehr auffiel, und die auch für den Alltag taugen sollten. Richter orientierte sich mit seinen klaren Schnitten am amerikanischen College-Look: Seine Mode sollte – passend zu seinem Ruf als Benjamin der Berliner Mode – sportlich und jugendlich sein.

Dass diese Begriffe seinerzeit anders verwendet wurden als heute, zeigt die Ausstellung eindrucksvoll. In zwei Hallen stehen auf Laufstegen mehr als 130 Puppen, die elegante Kostüme, Ledermäntel mit zotteligem Tibetfell und orientalisch anmutende Hosenanzüge aus Brokatstoff tragen. Der Besucher fühlt sich wie in einer versunkenen Welt, umgeben von bundesrepublikanischer Damigkeit. Auf vier Laufstegen sind die Kleider und Kostüme wichtiger Kundinnen und Damen der westdeutschen Gesellschaft ausgestellt: Von Ignes Ponto, der Gattin des 1977 von der RAF ermordeten Bundesbankchefs, von der Kanzlergattin Rut Brandt, von Ebelin Bucerius, der Frau des Zeit-Herausgebers Gerd Bucerius. Und natürlich Kleider der Verlegerin Aenne Burda, die Uli Richter von Anfang an förderte. Sie trug nicht nur selbst Richter, immer wieder zierten seine Modelle auch die Titelseiten der Burda-Moden-Hefte. So trug Burda dazu bei, dass Uli Richter bald zur Spitze der deutschen Modebranche gehörte. Und mit seinen Erfolgen in den USA stimulierte Richter seinerseits das „Wir-sind-wieder-Wer-Gefühl“ der jungen Bundesrepublik.

Das ging einher mit durchgearbeiteten Nächten, die Richters Atelier den Spitznamen „Ewige Lampe“ eintrugen. Das Skizzieren lag ihm nicht, Richter begann immer gleich mit dem Material, mit Mustern und Farben. Er kombinierte Pythonleder mit derbem Tweed, benutzte Baumwollstoff für Abendkleider, das waren seine eigentlichen Wagnisse: Pinke Rosen auf Baumwollstoffen, die ursprünglich als Dekomaterial gedacht waren. Die Farben der Saison hießen in den siebziger Jahren Daiquiri, Honig, Orange-Bitter, Negro-Cola und Agavengrün – die passende Mode für eine Gesellschaft, die sich mit einem Glas Campari-Orange in der Hand schon besonders weltläufig vorkam.

Wichtig auch die Behauptung von Internationalität: Bei einem USA-Besuch wurde Richter 1975 vom „San Francisco Chronicle“ gefragt, was deutsche Mode sei. Die Antwort: „So etwas gibt es nicht. Mode muss international sein.“ Im gleichen Jahr fuhr er nach Monaco, wo Gracia Patricia bei ihm Kleider bestellte und für ihre Tochter Caroline ein Cape. Bei einem Galadinner hatten sie sich über Kreuzstickerei unterhalten – beide mussten als Kinder Stunden damit verbringen. Uli Richter erzählt gern solche Geschichten, viele von ihnen sind in Fotos festgehalten, die in seinem Arbeitszimmer hängen. Auch Stühle, die der Architekt Frei Otto für das Atelier entworfen hat, stapeln sich hier. Auch wenn das Mobiliar im Kunstgewerbemuseum nicht zu sehen ist, ein wenig lebt die Uli-Richter-Welt in den zwei Ausstellungshallen wieder auf. Die Wände sind in Mokkabraun gestrichen – einer von Richters bevorzugten Farbtönen. Auch eine aufgezeichnete Modenschau kann man sich ansehen – „mit der Originalmusik von Lord Knut vom Rias, mit den damaligen Hits“, wie Richter betont.

Als der Modeschöpfer vor gut zwei Jahren sein Archiv mit mehr als 650 Outfits, ebenso vielen Accessoires, 3000 Modefotos und 11 000 Entwurfsskizzen dem Kunstgewerbemuseum überließ, war klar, dass er hier noch mal eine ganz große Schau bekommen würde, zum 80. Geburtstag, den Richter im Dezember feierte. An den Wänden hängen zeitgenössische Fotografien, die zeigen, wie seine Cocktailkleider, Ballroben und Hosenanzüge einst getragen wurden. Die Frisuren, die Körperhaltung, all das scheint unendlich weit weg. Abstrahiert man allerdings den zeitlichen Kontext, ergibt sich ein anderes Bild: Ohne Inhalt wirkt das schwarze Cocktailkleid aus steifem Organza von 1970 mit der schmalen Taille und dem grafisch geschnitten Rock perfekt für das heutige Berlin – mit dem Unterschied, dass es sich in unseren anlasslosen Tagen fast immer tragen ließe, nicht mehr nur zwischen 18 und 20 Uhr auf den Cocktailpartys, auf denen sich Rut Brandt vergnügte.

„Uli Richter – eine Modegeschichte“, bis 6. Januar im Kunstgewerbemuseum, Tiergartenstr. 6. Katalog (Dumont), 35 Euro.

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