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Maya Shenfeld

© Tobias Zielony

Avantgardepop von Maya Shenfeld: Avantgarde für Lady-Gaga-Fans

Die Saitenwechslerin: Die in Berlin lebende Israelin Maya Shenfeld hat Gitarre und Komposition studiert – jetzt veröffentlicht sie ihr Pop-Debütalbum.

Ein an- und wieder abschwellender Trompetenton, verwaschene Synthesizerkaskaden, mehr gibt es eigentlich nicht zu hören in „Cataphora“, dem Einstieg in Maya Shenfelds Debütalbum „In Free Fall“. Und doch entfaltet das Stück eine Dramatik, die sich ganz langsam entwickelt, bis sie einen dann wirklich packt.

Vorausgesetzt, man lässt sich ein auf diese Art von Minimal Music. Sicherlich eignet die sich auch hervorragend dazu, nebenbei Wäsche aufzuhängen, man kann sie im Sinne der gängigen Ambientformel als Klangtapete verwenden. Aber sinnvoller ist es, sich wirklich Zeit zu nehmen, das Licht zu dimmen und einfach nur zuzuhören, wie meisterhaft und mit welch zarter Hand auf diesem Album Soundtexturen verwebt werden und wenige musikalische Mittel eine maximale Wirkung erzeugen.

Konzept des "Deep Listening"

Maya Shenfeld sagt dann auch, sie sei ein großer Fan der amerikanischen Minimal-Music-Pionierin Pauline Oliveros und deren Konzept des „Deep Listening“. Gemäß diesem ist, grob gesagt, Hören etwas anderes als Zuhören. Und die Fähigkeit für letzteres kann man sich durchaus antrainieren. Doch der Reiz an Maya Shenfelds Musik ist, dass sie dem fortgeschrittenen Hörer genauso etwas anbietet, wie jemandem, der sich dieser eher unmittelbar nähert.

Wenn sie sagt, das zweite Stück auf ihrem Album, „Body, Electric“, sei eine polyphone Sonate, die sie am Klavier komponiert habe, dann hört sich das ein wenig so an, als sollte man sich vor dem Hören wenigstens ein wenig Harmonielehre draufschaufeln, um sie verstehen zu können. Aber eigentlich erschließt sich die Schönheit der Synthesizerfiguren, die hier gezeichnet werden, auch Menschen, die es sonst lieber mit den wenig subtilen Rammstein halten.

Man trifft Maya Shenfeld in einer Kreuzberger Teestube. Eine Zeit lang hat sie ganz in der Nähe gewohnt, inzwischen lebt sie in Schöneberg. Vor zwölf Jahren ist sie nach Berlin gezogen, man unterhält sich auf Deutsch. „Die meisten Israelis fliegen nach dem Militärdienst nach Indien“, erzählt sie, „mich hat es eben nach Berlin verschlagen.“ 20 Jahre alt war sie damals und hatte ihr erstes Studium – klassische Gitarre in Jerusalem, wo sie geboren und aufgewachsen ist – bereits hinter sich. In Berlin studierte sie an der UDK dann noch elektroakustische Komposition. Ihr gefalle es gut in Berlin, sagt sie, aber ob sie dauerhaft hier bleiben möchte, könne sie nicht sagen. Ihre Eltern hätten sie gerne wieder zurück in Israel. „Aber mir fällt es schwer, mir ein Leben als Künstlerin in Israel vorzustellen. Es ist ein wunderbares Land, das Essen ist super, es scheint oft die Sonne. Aber die politische Lage ist schwierig. Und eine Stadt wie Tel Aviv ist viel zu teuer und es gibt zu wenig Unterstützung für Kunst und Kultur.“

Ausbruch aus der Neuen Musik

Eigentlich kommt sie aus einer anderen musikalischen Welt als der, in der sie nun gelandet ist. Nämlich aus der akademischen Neue-Musik-Szene. Doch dieser Rahmen wurde ihr zu eng. „Zeitgenössisch ist auch Lady Gaga für mich“, sagt sie, was man bei den Donaueschingener Musiktagen, dem Mekka der Szene, wohl anders sehen würde. Und so hat sie damit begonnen, mit ihrem akademischen Hintergrund, als studierte Klassikgitarristin und ausgebildete Komponistin, eine Form von elektronischer Musik zu kreieren, der man durchaus anhört, woher sie kommt, mit der unter Umständen aber auch Lady-Gaga-Fans etwas anfangen können. „Mich interessiert, wie man die unterschiedlichen Produktionsweisen aus der akademischen und der nichtakademischen Musik zusammenbringen kann“, sagt sie.

So hat sie Gustav Mahler im Kopf, wenn es darum geht, den Klang eines Blechblasinstruments in ihre elektronischen Schlieren zu verweben. Aber auch die Drones des Gitarristen und Lautenspielers Jozef van Wissem und die Scores des großen Filmkomponisten Bernard Herrmann haben sie bei der Arbeit an ihrem Album beeinflusst. Ihre Stücke würden nie beim Herumdaddeln auf ihren Instrumenten entstehen, sagt Shenfeld, sondern seien Kompositionen, teilweise gebe es sogar Noten. „Ich habe immer eine innere Vorstellung von der Musik, die ich machen möchte. Zuerst gibt es eine Idee, die ich dann weiter ausarbeite.“

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Beinahe vier Jahre lang hat sie an „In Free Fall“ herumgetüftelt. Eigentlich dachte sie, am Ende werde die Platte bloß als Eigenveröffentlichung bei Bandcamp erscheinen. Doch ein Mitarbeiter des renommierten US-amerikanischen Indielabels Thrill Jockey, das seit Kurzem auch ein Büro in Berlin unterhält, sah sie zufällig bei einem Liveauftritt, ihm gefiel, was er hörte, und so kam eins zum anderen.

Die Gitarre spielt so gut wie keine Rolle mehr auf ihrem Solo-Debüt. Dafür um so mehr bei einem ihrer vielen Nebenprojekte. Unter dem Namen Leoprrrds – mit drei R, wie in Riot Grrrls, wie sie betont – unterhält sie noch eine Punkband gemeinsam mit ihrer Yogalehrerin. Eine Kassette haben sie beim Berliner Mini-Label Späti Palace bereits veröffentlicht. Leoprrrds machen amtlichen Indierock und Maya Shenfeld lässt dabei ihre E-Gitarre aufjaulen. Auch sonst hält sie es durchaus weiterhin mit Saiteninstrumenten. Sie spielt noch Banjo und versucht sich neuerdings an der Sitar. In ihrem Elternhaus habe eine herumgestanden und nach ihrer letzten Reise habe sie diese einfach nach Berlin verfrachtet. Zu ihrem Corona-Hobby habe sich überdies das Cellospielen entwickelt, weil sie gerade dabei sei, eine Filmmusik für Streicher zu komponieren. Deshalb wollte sie ein Gefühl für dieses Instrument bekommen.

[Maya Shenfeld: „In Free Fall“ ist bei Thrill Jockey erschienen]

Schade ist nur, dass sie nun diese wunderbare Platte herausbringt, diese aber kaum vor Publikum präsentieren kann. Ein für den Februar im Kreuzberger Club Westgermany geplanter Gig wurde aufgrund der unsicheren Pandemielage abgesagt. Immerhin steht der Termin in München Anfang Februar noch und im März soll es dann nach London gehen. „Die Situation für Musikerinnen und generell für Leute aus der Musikindustrie ist gerade schwer “, sagt sie. Auch sie kenne so einige, die momentan nicht wissen, wie es weitergeht. Sie selbst habe immerhin noch einen Brotjob bei der Berliner Musiktools- und Software-Firma Ableton, für die sie Online-Tutorials erstellt.

Am wichtigsten ist ihr allerdings gerade ihre Platte. Diese sei „ein großer Schritt für mich. Aber auch erst der Beginn von etwas.“ Von was genau, das kann man dann hoffentlich auch bald in Berlin nicht bloß hören, sondern auch wieder sehen.

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