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Babka schmatzen und „Luzi, die Laus“ lesen: Eine warme Erinnerung an meine jüdische Kindheit
Nostalgie als Pflaster: Unsere Schlamasseltov-Kolumnistin erinnert sich an ihre Besuche in einer jüdischen Buchhandlung und die Bücher, die sie dort als Kind las.

Stand:
Ich liege mit starken Schmerzen im Bett. Nur noch ein bisschen durchhalten bis zur OP. Bis dahin versuche ich mir mit kleinen Freuden den schmerzerfüllten Alltag etwas zu versüßen. Die wundervollste Lebensgefährtin von allen bringt mir Babka und Rugelach mit. Das hilft.
Sie setzt sich zu mir ins Bett und fragt, ob wir einen Film schauen wollen, um mich abzulenken. Dafür reicht meine Konzentration allerdings nicht. Weil sie die wundervollste Lebensgefährtin von allen ist, hat sie eine Idee: Sie holt „Luzie, die Laus“ von Meir Shalev aus dem Bücherregal.
Ich habe einige wenige Kinderbuchschätze aus meiner Kindheit aufgehoben. Das Buch mit der winkenden Laus unter einer Lupe ruft die Erinnerungen an die großen Fenster der Literaturhandlung Berlin wach, einer auf jüdische Literatur spezialisierte Buchhandlung. Die wundervollste Lebensgefährtin von allen klappt das Buch auf und beginnt vorzulesen.
Wie es sich mit einem Kinderbuch gehört, schauen wir uns gemeinsam die Bilder an und lachen. Ich muss nicht funktionieren und darf einfach leidend im Bett liegen. Manchmal kann Nostalgie ein Pflaster auf meinem schmerzenden Körper sein. Nach jeder Seite unterbreche ich sie und erzähle.
Ich erinnere mich, wie ich jedes Mal sehr aufgeregt war, wenn meine Mutter verkündete, dass ich mir in Berlin wieder ein Buch aussuchen darf. Wir waren auch in Karlsruhe in Buchläden, aber das war anders. Die Literaturhandlung war besonders. Der Deal war, dass ich mir ein Kinderbuch aussuchen darf – egal welches – und eins sucht meine Mutter für uns aus.
Ein wichtiger Teil meiner Kindheit waren jüdische Kinderbücher. „Luzie, die Laus“, „Der Seelenvogel“ und „Kishon’s schönste Geschichten für Kinder“ waren dabei ganz oben in meiner Lieblingsbücher-Hit-Liste.
Die wundervollste Lebensgefährtin von allen hat es geschafft: Ich bin abgelenkt. Statt vor Schmerzen zu weinen, schwelge ich in der jüdischen Geborgenheit meiner jüdischen Kindheit mit meiner jüdischen Mutter. Babka schmatzend googeln wir die Buchhandlung. Sie hat 2024 nach 33 Jahren geschlossen. Ach verdammt!
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