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Rassistische Figuren aus der alten Ausstellung, jetzt versammelt in einem Extraraum.

©  RMCA Tervuren/Jo Van de Vijver

Belgiens Afrika-Museum im Fokus: Wie europäische Museen mit ihrem kolonialen Erbe ringen

Das Afrika-Museum bei Brüssel wurde umgestaltet. Der Fall zeigt, wie schwer Umgang mit dem Kolonialerbe ist. Auch im Hinblick auf das Berliner Humboldt Forum.

Ein Elefantenbulle überragt die Menagerie der ausgestopften Wildtiere. Für das Schaustück, präsentiert 1958 bei der Weltausstellung in Brüssel unter dem futuristischen Wahrzeichen des Atomiums, wurden in Afrika tatsächlich zwei Elefanten getötet. Aus den Kadavern setzten Präparatoren den tristen Koloss zusammen. Er hat auch im renovierten und überarbeiteten Afrika-Museum Tervuren, das am vergangenen Wochenende seine Wiedereröffnung feierte, seinen prominenten Platz.

Leopold II. dagegen ist aus dem Mittelpunkt des kolonialen Museumsbaus, der großen Rotunde, in eine Vitrine am Rand verbannt worden. Die Büste ist aus afrikanischem Elfenbein gefertigt, und daneben liegen Stoßzähne und ein paar Schriftstücke, die sich mit dem Elfenbeinhandel befassen. König Leopold II. gehört zu den Monstern der westlichen Welt. Bis 1908 konnte er den Kongo-Freistaat als sein persönliches Eigentum ausbeuten, die riesige Landmasse war ihm 1885 auf der Berliner Konferenz von den europäischen Mächten zugesprochen worden. Reichskanzler Bismarck hatte zur Aufteilung Afrikas geladen.

Aus dem Kongo wurde Elfenbein und vor allem Kautschuk herausgeholt, ohne Rücksicht auf die Menschen. Millionen Afrikaner sollen durch Leopolds Freistaatpolitik gestorben sein, man weiß es nicht genau, es waren ja nur Sklavenmenschen. Dagegen: 1508 Belgier ließen im Kongo in jenen Jahren ihr Leben. Ihre Namen finden sich im Museum von Tervuren, auf dem Gelände von Leopolds Landsitz nahe der belgischen Hauptstadt, fein säuberlich auf einer Wand dokumentiert.

Keine Frage, dieser Ort ist kontaminiert

Die rassistische Praxis hatte in Tervuren ein geistiges Zentrum. Und immer auch dabei das Element des Sensationellen, Exotischen: 1897 lebten einige hundert Menschen aus dem Kongo hier in einem jener zoos humains, wie sie damals in Europa noch bis weit ins 20. Jahrhundert üblich waren. Es war der Ausgangspunkt des Kolonialmuseums. Keine Frage, der Ort ist kontaminiert. Fünf Jahre dauerten die Umbauarbeiten, 70 Millionen Euro hat der belgische Staat ausgegeben, um eine Form zu finden, wie mit dem kolonialen Erbe im 21. Jahrhundert umgegangen werden kann. Der Kongo war noch bis 1958 belgische Kolonie.

Über einen eleganten gläsernen Pavillon betritt man jetzt das Museum, geht unter der Erde durch eine Art historischer Schleuse und liest die Schrift an der Wand – dass alles vergeht, nur nicht die Vergangenheit. In ein Gruselkabinett wurden die rassistischen Propagandastatuen gesteckt; Bilder von mörderischen Wilden, übelste Klischees. Im strahlend hellen Eingangsbereich wird neben dieser Asservatenkammer die Geschichte des Museums aufgezeigt, sehr knapp allerdings.

Dabei geht es um europäische Fragen. Um Grundsätzliches in der Museumspolitik. Um Raubkunst: Rückgabeforderungen aus Afrika liegen in Tervuren im Moment nicht vor. Das hat seinen Grund auch darin, dass dieses Museum – kaum sichtbar für das Publikum – eine Forschungseinrichtung ist und seit Jahren schon mit afrikanischen Museen und Universitäten assoziiert ist. 85 Wissenschaftler arbeiten hier, Historiker, Ethnologen, Biologen, Linguisten, ein kleiner Teil aber nur mit afrikanischem Hintergrund.

Die Archive von Tervuren besitzen enorme Ausmaße, sie sind ein Teil der Geschichte Zentralafrikas. In den Sammlungen befinden sich über 12 0000 Artefakte, und nur ein Prozent ist in der neu präsentierten Ausstellung zu sehen, Masken vor allem und Statuen von außergewöhnlicher Qualität. Restitution sollte also kein Problem sein. In Kinshasa steht ein neues Nationalmuseum vor der Fertigstellung. Über 80 Prozent des afrikanischen Kulturguts liegt in Museen und Sammlungen außerhalb des Kontinents. Das ist die Richtgröße in dieser Jahrhundertdiskussion.

Nicht alles ist falsch, aber belastet

Rassistische Figuren aus der alten Ausstellung, jetzt versammelt in einem Extraraum.
Rassistische Figuren aus der alten Ausstellung, jetzt versammelt in einem Extraraum.

©  RMCA Tervuren/Jo Van de Vijver

Die radikalen Empfehlungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, formuliert von der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und dem senegalesischen Schriftsteller Elwine Sarr, betreffen aber auch die Museumsdarbietung. Man kann Raubkunst ja nicht ohne Weiteres als solche erkennen.

Und da sitzt Tervuren in der Falle. Es wurde einiges unternommen. Belgische Staatsbürger mit afrikanischem Hintergrund erzählen auf Videos von ihrem kulturellen Erbe. In einem anderen Raum werden Probleme nachhaltiger Landwirtschaft und Energiegewinnung angesprochen, drückende Zukunftsfragen. Die belgische Kolonialgeschichte wird nicht unterschlagen, auch nicht das Horrorregime Leopolds II.

Doch das Grauen wirkt einsortiert in Schubladen, angerissen auf Schrifttafeln, repräsentiert durch dieses und jenes Museumsstück. In den alten Räumen, die weitgehend im ursprünglichen Zustand belassen sind, reihen sich Kolonialpolitik und Kriege ein: in die Naturgeschichte. Herrlich die Mineraliensammlung in den alten Vitrinen, die ausgestopften Krokodile, Affen, Zebras, Schmetterlinge, die unzähligen Präparate in den Glaskolben. So sieht ein Naturkundemuseum vor der Renovierung aus. Alles old school. Nicht alles falsch, aber belastet. Auch das Berliner Museum für Naturkunde wartet auf seine gründliche Überholung. Tervuren ist ein Beispiel dafür, was man machen kann in einem alten Gemäuer: oder auch nicht.

Afrika kann nicht auf die Kolonialgeschichte reduziert werden

Der alte Geist lässt sich auf diese behutsame Art nicht austreiben. Worum handelt es sich denn? Um ein Afrika-Museum, eigentlich ein Kongo-Museum in Mitteleuropa – wozu? Von Bestattungsriten und dem Sprachenreichtum dieser Weltgegend geht es über afrikanische Urgeschichte ins Reich der Tiere und Gesteine. Eine Ecke gibt es auch für Patrice Lumumba und die Unabhängigkeitsbewegung.

Andererseits: Belgier mit afrikanischen Wurzeln fühlen sich in Tervuren endlich repräsentiert, an der Neuordnung des Museums haben afrikanische Kuratoren mitgewirkt. Man kann das nicht wegwischen. Und ein Kontinent, der als Wiege der Menschheit gilt, kann nicht auf die Kolonialgeschichte reduziert werden. Die Menschen dieses Kontinents und ihre Nachfahren können nicht auf alle Zeit ausschließlich in der Opferrolle gefangen bleiben.

Worüber niemand gern spricht: Bei der Restitution gibt es das Risiko, dass kostbare Werke auf dem Kunstmarkt landen. Nur, wer will den Afrikanern vorschreiben, wie sie mit ihrem einst geraubten Eigentum umgehen? Wer entscheidet und wacht darüber, was das „Gesamtkulturerbe der Menschheit“ ist? Tervuren versteht sich als Teil davon, als „dynamische Plattform für Austausch und Dialog zwischen den Kulturen und Generationen“. Wer regelt den Austausch der Artefakte, kontrolliert womöglich die Sicherheit und Qualität der Museen am jeweiligen Ort?

Der Altbau des Afrika-Museums Tervuren bei Brüssel, gesehen vom Neubau aus.
Der Altbau des Afrika-Museums Tervuren bei Brüssel, gesehen vom Neubau aus.

©  RMCA Tervuren/Jo Van de Vijver

Seine Sammlungen und Archive werden digitalisiert und allen Interessierten zugänglich gemacht. Das ist heute Standard, auch wenn es oft nach Ausrede klingt, ebenso wie die unumstößliche Tatsache, dass die afrikanischen Objekte in den europäischen Museen in der Regel über all die Zeiten gut erhalten blieben. Die Kolonialherren haben Kunst und Werkstücke besser behandelt als die Menschen, denen man sie wegnahm oder abkaufte. Im Grunde sollte man Tervuren nicht betreten, ohne das monumentale Buch „Kongo“ von David van Reybrouck zu kennen. Im Jahr 2010 erschienen, hat es nicht nur die Sicht auf die belgische Kolonialzeit verändert.

Tervuren gleicht einem Versuchsfeld. Wie man es anders machen, ohne die Geschichte und ihre Zeugnisse einfach abzuräumen? In der Grande Rotonde, die auf den Park blickt, sind die berüchtigten Statuen von Matton und Daupagne stehengeblieben, Allegorien von der Überlegenheit der weißen Kultur. Das Ensemble steht unter Denkmalschutz, durfte nicht angetastet werden. Das erklärt viel. Hinzugekommen ist eine Skulptur von Aimé Mpané. Der Künstler lebt in Kinshasa und Brüssel und hat sein Werk, einen Kopf aus Holz auf Bronzefuß, „Neuer Atem – Aufblühender Kongo“ genannt. Eine Auftragsarbeit des Museums, das mit der eigenen Geschichte noch lange nicht fertig ist.

Vergangenheit vergeht nicht

Im Berliner Humboldt Forum liegen die Probleme etwas anders; es steht in der Raubkunstproblematik im Austausch mit Tervuren. Das Humboldt Forum ist ein Nagelneubau, eine Schlossfiktion. Tervuren wirkt dagegen noch sehr real, als royale Machtdemonstration des späten 19. Jahrhunderts. Das Berliner Schloss entsteht als Gebäude des 21. Jahrhunderts, wenn auch in seiner Architektur massiv dem Alten verhaftet, mit Putten und Portalen und Kuppelkreuz.

Und dann schließt sich der Kreis: Der von dem größenwahnsinnigen Leopold II. und später vom belgischen Staat beherrsche Kongo grenzte, wie auf den Kartenwandgemälden in Tervuren zus sehen, an deutsches Kolonialgebiet.

Die Vergangenheit vergeht nicht. Belgien hat in den Achtzigern Kunstwerke an den Kongo restituiert. Aus dem Pariser Musée du Quai Branly gibt Frankreich nun die ersten Statuen nach Benin zurück. Die Nationalen Museen Angolas, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Goethe-Instituts haben diese Woche in Luanda eine umfassende Zusammenarbeit vereinbart. In Berlin befindet sich eine der bedeutendsten Sammlungen angolanischer Kunst und Objekte. Vielleicht beginnt die Vergangenheit erst jetzt.

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