Kultur: Berlin trägt Krinoline
Das Kunstgewerbemuseum präsentiert die atemberaubende Modesammlung Kamer/Ruf
Wie die Zeit vergeht: Charles Frederick Worth, der erste Pariser Couturier, der sich als Erfinder der Mode sah, entwarf 1882 ein Nachmittagskleid aus schwerem Samt mit einem Zierrock aus goldfarbener Seide darunter. Hinten ist der Stoff mit Hilfe eines ausladenden Gestells aus Stahlringen zum so genannten „Cul de Paris“ aufgebauscht. An den vorderen Kanten zieren Spitzenvolants und Kaskaden langer Satinbänder das Kleid, mit 16 Knöpfen wird das Oberteil geschlossen.
Nur vierzig Jahre später dann das kleine Schwarze von Gabriele „Coco“ Chanel: Das Material fließende Seide, die Form gerade, der Schlitz im Rock erlaubt größtmögliche Bewegungsfreiheit, die Schultern werden von dünnen Trägern kaum bedeckt. Die Erfinderin der modernen Frauengarderobe war im Waisenhaus aufgewachsen, mit der Exzentrik ihrer Kleiderentwürfe schaffte sie den Aufstieg in die höchsten Kreise der französischen Bohème. Nebenher vollbrachte Chanel noch das Kunststück, mit ihren sachlichen, kastenförmig geschnittenen Kostümen die Mode zu demokratisieren.
Das Nachmittagskleid von Worth, die Kostüme von Coco Chanel: wie die Zeit alles verändert, wiederbringt und für immer verschwinden lässt. Die Kleider, die ab heute im Berliner Kunstgewerbemuseum zu sehen sind, öffnen dem Betrachter auch die Augen für die politischen und sozialen Dimensionen der Mode. Die 50 Exponate stammen aus der spektakulären, 1572 Stücke umfassenden Modesammlung Kamer/Ruf, die das Haus vor zwei Jahren erworben hat. Das älteste Kleid ist eine Robe aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, das jüngste ein mehr aus Schlitzen als aus Stoff bestehendes Abendkleid des 1997 in Miami ermordeten Designers Gianni Versace. Jenes Schneidermeisters, den der braun gebrannte Jetset der Achtziger- und Neunzigerjahre so geliebt hat.
Weil die Mode atemberaubend genug ist, kann die Präsentation im Kunstgewerbemuseum sich zurückhalten. Akkurat sind die am besten erhaltenen Stücke auf kopf- und gliederlose Puppen gezogen und auf einen sich in den Raum schwingenden Laufsteg gestellt. Viele der HauteCouture-Modelle des 20. Jahrhunderts hat man irgendwo schon einmal gesehen; es sind Kleinodien der Modegeschichte. Wie das „Delphos“, ein fein plissiertes Seidenkleid, das an einen Chiton erinnert, ein altgriechisches Faltengewand. Sein Schöpfer Mariano Fortuny verkaufte es überaus erfolgreich bis in die Mitte der Zwanzigerjahre an Damen von Welt, heute fehlt es in keiner bedeutenden Modesammlung. Gleiches gilt für die Entwürfe des „New Look“ mit ihren verschwenderisch weiten Röcken und schmalen Wespentaillen, mit denen Christian Dior die Entbehrungen des Zweiten Weltkriegs vergessen machen wollte und die Frauen wieder ins Korsett steckte.
Die Zusammenstellung folgt nicht der Chronologie. Wie Puzzleteile gruppierte die Kuratorin Christine Waidenschlager die Kleidungsstücke nach Schlagworten wie Opulenz, Sachlichkeit, Geometrie oder Metall. Da glänzen Hot Pants von Paco Rabanne, zusammengesetzt aus Aluminiumplättchen und -ösen, neben einer über und über mit gold-, silber-, und kupferfarbenen Metallfäden bestickten Rokokorobe. Die Konfrontation von Altem und Modernem ist keine neue, aber überaus wirkungsvolle Idee, um mit einem Bruchteil des Gesamtbestands der weltweit bedeutendsten privaten Modesammlung deren Vielfalt aufzuzeigen.
Museumsdirektorin Angela Schönberg lässt keinen Zweifel daran, wie wichtig die für sechs Millionen Euro erworbene Sammlung für ihr Haus ist, von der sie sich eine „Neuausrichtung“ verspricht. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, spricht gar von einer Metamorphose des Kulturforums zum „Modeforum“. Mehr als 30 Jahre hatte der Schweizer Kostüm- und Bühnenbildner Martin Kamer, der von 1974 bis 1986 mit dem Tänzer Rudolf Nurejew zusammenarbeitete, erst auf Flohmärkten und in Trödelläden, später auf Auktionen mit einer unglaublichen Sammelwut alles gekauft, womit sich Menschen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert einkleideten: Mäntel, Kleider, Strümpfe, Krinolinen, Hüte, Schuhe, selbst Nachthemden. Sechzig Preziosen steuerte der Luzerner Textilhändler Wolfgang Ruf zur Kollektion bei.
Gerade die Objekte, die vor der Industrierevolution entstanden, gelten als rar, der Markt dafür ist inzwischen leer gefegt. Die meisten Stücke befinden sich längst in Museumsbesitz. Das Berliner Haus will weitersammeln, wird sich dabei aber notgedrungen auf zeitgenössische Mode konzentrieren, die gerade noch in Paris und Mailand gezeigt wurde.
Schönberger und Lehmann schwärmen von Berlin als neu erwachender Modemetropole mit mehreren Modemessen und unzähligen jungen Designern. Das klingt nach den Marketingverlautbarungen, die Modefirmen bemühen, wenn sie Berlin als Wirtschaftsstandort beschwören. Aber mit der Mode kann eine neue, jüngere Zielgruppe ins Museum gelockt werden, auch wenn das Haus dafür erst einmal umgebaut werden muss. Nach Plänen des Architektenbüros Kühn Malazzi soll im offenen Zwischengeschoss „eine Spur der Couturiers des 20. Jahrhunderts gelegt werden“, wie es Schönberger formuliert. Mit etwa 100 Modellen wird die Dauerausstellung bestückt, noch einmal so viele werden in den Epochenräumen zu sehen sein.
Dass das Kunstgewerbemuseum sich der Mode mit solcher Ernsthaftigkeit annimmt, ist mutig. Denn das Berliner Haus stellt sich so dem internationalen Vergleich mit Institutionen wie dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Londoner Victoria and Albert Museum oder dem japanischen Kyoto Costume Institute, die mit intelligenten Mode-Inszenierungen Publikumserfolge feiern und signalisieren: Mode kann Hochkunst sein. Erst einmal bleibt genug Zeit, Strategien zu erfinden, um mit diesen Häusern mithalten zu können und einen dringend benötigten Sponsor zu finden.
Die nächste große Modeausstellung wird gleichwohl nichts mit der Sammlung Kamer/Ruf zu tun haben: Für 2007 ist eine Retrospektive des Berliner Modeschöpfers Uli Richter geplant. Dessen Nachlass befindet sich seit diesem Sommer in den Archiven des Kulturforums. Seine Präsentation ist ein weiterer Schritt auf dem langen Weg zum Modemuseum.
Kunstgewerbemuseum im Kulturforum, bis 5. Februar, Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Der Katalog kostet 19,50 €