
© Marco Krüger/Schramm Film
Berlinale-Film „Roter Himmel“: Wie spielt man eine Frau mit Aura?
Regisseur Christian Petzold und Schauspielerin Paula Beer über Frauenbilder, Männerblicke und ihre Zusammenarbeit beim Sommerfilm „Roter Himmel“.
Stand:
Frau Beer, Herr Petzold, in „Undine“, Ihrem zweiten gemeinsamen Film, ging es um die bedingungslose, mythische Liebe. Welche Art Liebe verhandelt „Roter Himmel“?
PAULA BEER: Bei „Undine“ ging es um die Kraft, die die Liebe hat, und dass das Loslassen vielleicht der größte Liebesbeweis ist. Bei „Roter Himmel“ kommt die Liebe unverhofft. Die Figuren suchen nicht danach, sie suchen vielleicht Entspannung, und dann passiert ihnen die Liebe. Eine Liebe ohne Erwartung, fünf Leute im Sommer an der Ostsee, man ist nicht zu Hause, kann sich neu erfinden. Diese Liebe hat nichts Schweres, sie ist ein Geschenk, eine cherry on top.
CHRISTIAN PETZOLD: Es gibt eine Vorgeschichte dazu. Paula und ich waren mit „Undine“ in Paris. Es war der 15. März 2020, wir saßen im Restaurant, plötzlich wurde die Musik leise und der Fernseher laut gestellt, weil Macron den ersten Lockdown ankündigte und sagte „Wir sind im Krieg“. Wir haben uns dann beide mit Corona infiziert. Als das Schlimmste vorbei war, trafen wir uns am Kreuzberger Engelbecken zum Boulespielen, Matthias Brandt war auch dabei. Wir spielten sechs Minuten, dann kam die Polizei. Der öffentliche Raum, der Park, das Spielen, das Spaßhaben, plötzlich war alles verboten. Das war der Anfang dieses Films, meine Wut darüber, dass alles, was Jugend, Verschwendung und Sommer ist, von der Politik immer weiter eingeschränkt wird: das Leben ohne Eltern, ohne Lehrer.
Die Einschränkungen fingen schon vor Corona an?
PETZOLD: Die Schulzeit verkürzt, Bachelor, Bologna, Jugend soll immer profitabler gemacht werden. Jetzt hieß es auch noch: Club zu, Sporthalle zu, Kino zu. Die französische „Undine“-Koproduzentin Margaret Ménégoz hatte uns das Gesamtwerk von Eric Rohmer geschenkt, in dessen Filmen kann man sehen, dass der Sommer in Frankreich etwas ganz anderes bedeutet als in Deutschland. Zwei Monate Ferien: Da passieren Verletzungen, Kränkungen, Liebesverrat, aber sie sind eben auch für die Flaubertsche „Education sentimentale“ da. Man wird zum Menschen in dieser Zeit. Es sind übrigens immer Erinnerungsfilme, nie Gegenwartsfilme, sie erzählen, woran man sich einmal erinnern wird. In deutschen Sommerfilmen fahren Studenten nach Hause, um ihrer Familie zu eröffnen, dass sie homosexuell sind. Oder sie wollen mit 35 nochmal mit dem Mofa an die Ostsee.
BEER: Der Unterschied fängt schon bei der Sprache an, bei der Beweglichkeit des Klangs und dem größeren Spielraum der Stimme. Das Deutsche ist viel gerader. Vor allem erlaubt das Französische das Plaudern, es klingt nicht blöd, wenn man einfach nur quatscht. Wie geht’s? Super. Und selber? Ja, toll. Ich hab ja eine Zeitlang in Paris gelebt, viele Franzosen reden einfach nur miteinander, um Kontakt zu haben, nicht wegen des intellektuellen Austauschs.
PETZOLD: Nadja, Paulas Figur, ist da sehr ähnlich. Sie freut sich, wenn alle am Tisch sitzen und durcheinanderreden oder sie nachts mit fluoreszierenden Schlägern Badminton spielen. Es geht um eine Art kollektiver Liebe, um die Freude an der Gruppe.
Auch ein Filmteam ist eine Gemeinschaft auf Zeit. Wie arbeiten Sie zusammen?
BEER: Christian ist ein bisschen wie Nadja, er will immer alle zusammenbringen. Deshalb empfiehlt er Bücher, lädt uns ein, Filme zu gucken.

© Christian Schulz/Schramm Film
PETZOLD: Zum Beispiel „Some Came Running“ von Vincente Minelli, wegen der Szene, in der Frank Sinatra der Lehrerin seinen Roman gibt. Sie liest ihn, er läuft nervös rauchend draußen herum. Leon, der miesepetrige Schriftsteller in „Roter Himmel“, hat gerade seinen zweiten Roman geschrieben, eigentlich „spielt“ er nur einen Schriftsteller. Nadja liest Leons Roman, im Drehbuch erklärte sie ihm dann was über Erzählpositionen. Die Szene hat Paula komplett geändert, sie meinte, das ist nicht Nadja, das bist du, der Germanist Petzold. Sie sagt dann nur: Du weißt doch selbst, dass das Bullshit ist. Ich war begeistert, schon wegen der Brutalität. Dass ich mit mündigen Schauspielern arbeite, führt eben auch dazu, dass sie den Mund aufmachen.
BEER: Eine Filmfigur wird mit jeder Szene in der filmischen Realität überprüft. Je weiter der Dreh voranschreitet, desto genauer merke ich, wenn etwas nicht stimmt. Inzwischen bin ich bei Christians Filmen früh involviert, schon kurz nach dem Boulespiel hat er uns den Plot als Kurzgeschichte erzählt. Wir sind dann erstmal ohne die Crew an die Ostsee gefahren, um den Ort ohne Filmset zu erleben. Wir waren auf dieser verrückten Halbinsel Wustrow vor Rerik. An den Stränden ist niemand, und die Laubwälder reichen bis direkt ans Meer.
PETZOLD: Die Nazis hatten dort Kasernen gebaut, heute sind es Ruinen. Ein Unternehmer wollte ein Resort daraus machen, aber die Bewohner haben sich erfolgreich dagegen gewehrt.
Der Titel „Roter Himmel“ verrät es: Die Figuren werden von Waldbränden heimgesucht.
BEER: Es gab sie zu der Zeit tatsächlich, bei Zossen, wo wir das Waldhaus gedreht haben. Ich habe es selbst erlebt, war in der Nähe bei Freunden und es brannte um uns herum. Ziemlich beängstigend.
PETZOLD: Treuenbrietzen war nicht weit weg, die Sirenen im Film sind „echt“. Die Jugend, der Sommer, die Freiheit ist gefährdet, das Feuer unterbricht die Verschwendung. Die Waldbrände sind ja keine Naturkatastrophe, sondern das Ergebnis des Neoliberalismus. Wobei wir keinen Ökothriller gedreht haben, die jungen Leute im Film sind nicht „Die letzte Generation“.
Das zweite Buch, das nichts taugt, die Angst vor der Bewertung der anderen, wie viel Christian Petzold steckt im Schriftsteller Leon?
PETZOLD: Mein zweiter Film war „Cuba libre“. Ich hatte damals das Gefühl, ich führe nicht Regie, sondern spiele einen Regisseur, der schlau daherredet. Ich habe mich dafür gehasst. Leons Roman heißt „Club Sandwich“. Cuba libre, Club Sandwich, da hat mir mein Unbewusstes wohl einen Streich gespielt. Aber ich bin gnädig mit meinem Alter Ego und habe mir eine Eisverkäuferin ins Drehbuch geschrieben, die sich um mich bemüht.
Eine Frau mit Aura. Alle drei Figuren, die Sie seit „Transit“ unter Petzolds Regie verkörpern, sind auratisch, mysteriös. Wie spielen Sie das?
BEER: Das habe ich mich auch gefragt, vor allem bei Marie in „Transit“. Was ist mit dieser Frau, warum rennt sie immer durch die Gegend? Ich bin wochenlang selber wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend gerannt. Bei Undine und dem Mythos der Meerjungfrau war es spielerischer. Mich hat die Herkunft interessiert: Wie ist es, unter Wasser zu leben? Inzwischen vertraue ich den Figuren mehr, muss sie nicht analytisch herleiten. Aber Aura? Ich weiß nicht. Menschen sind, was sie tun. Wenn sie etwas gerne machen, schaut man ihnen auch gerne dabei zu. Vielleicht ist es das: die Präsenz, einfach da sein.
PETZOLD: Ich bin ein männlicher Regisseur, Paula ist eine fantastische junge Schauspielerin. Aura-Herstellung in dieser Konstellation wollte ich unbedingt vermeiden.
Weil es schnell sexistisch wird?
PETZOLD: Ja, wobei das toll gemacht sein kann. Wenn Rita Hayworth langsam ihren Handschuh auszieht, singt sie dabei. Sie arbeitet, das ändert das Bild. Mir geht es ohnehin immer um die Beziehung im Ensemble. Der Ensemblegedanke war auch für unsere Casting-Agentin Simone Bär zentral, die leider gestorben ist. Sie hat niemals einzelne Schauspieler besetzt, weil die gerade „im Kommen“ sind. Sie setzte immer Gruppen zusammen, deshalb gab es nie ein klassisches Casting. Vor „Transit“ zeigte sie mir Filmausschnitte mit Paula und andere mit Franz Rogowski, sie meinte: Guck mal, die reden doch schon miteinander.
Totzdem heißt es dann in den Medien, Paula Beer sei die neue Muse von Christian Petzold. Wie geht es Ihnen damit?
BEER: Es hat wenig mit mir zu tun, sondern zeigt, dass sich unsere Gesellschaft nur sehr langsam ändert. Es ist immer noch so, dass ein Mann, der sich im Ton vergreift, als impulsiv gilt, während eine Frau dann als überheblich bezeichnet wird oder als Diva. Wenn ein Mann nichts auf die Kette kriegt, ist er verträumt oder ein Künstler, wenn eine Frau etwas doof findet, gilt sie als schwierig. Ich kann mich darüber aufregen, oder schauen, dass ich Dinge anders mache. Was manchmal Kraft kostet.
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Was zum Beispiel machen Sie anders?
BEER: Ich begegne den Leuten beim Casting auf Augenhöhe und schaue mir auch an, ob ich mit ihnen arbeiten möchte. In Christians Filmen fühle ich mich ohnehin nicht wie eine Projektionsfigur für den männlichen Blick. Wenn in „Roter Himmel“ vier Männer und eine Frau am Tisch sitzen, sind das erstmal fünf Menschen, von denen sich jeder etwas über die anderen denkt. Und dann geschieht etwas, was sie sich nicht gedacht hätten, auch unter den Männern.
Dass ich mit mündigen Schauspielern arbeite, führt dazu, dass sie den Mund aufmachen.
Christian Petzold
PETZOLD: Nadjas Aura liegt nicht im männlichen Blick, sondern in der Frage: Wieso kommt die so gut klar und hat so verdammt gute Laune? Ununterbrochen tut sie etwas, ohne jede Mühe. Kocht, wäscht ab, verkauft Eis, wirft sich aufs Bett, liest Leons Manuskript. Das kann man mit typisch männlichem Blick filmen, nackte Beine übereinandergeschlagen, versunken in der Literatur, ein Playmate-Bild für Intellektuelle. Die Editorin Bettina Böhler und ich haben es so geschnitten, dass es einfach nur eine lesende Frau ist. Ich hasse die penetrierende Kamera, es gibt sie genügend in der Geschichte des Kinos. Dass ich nicht in diese Falle gerate, liegt auch daran, dass ich von Paula Blicke zurückgeworfen bekomme. Im Drehbuch stand, sie bricht zusammen, als die furchtbare Nachricht von den Folgen des Waldbrands überbracht wird. Das fand Paula falsch. Jetzt knickt sie nur kurz ein.
Kochen, abwaschen: Man könnte auch sagen, sie macht weibliche Care-Arbeit, kümmert sich ständig um die anderen.
BEER: Eigentlich schreibt Nadja ja ihre Doktorarbeit, macht aber keinerlei Aufhebens davon. Sie lebt halt, profiliert sich nicht über Leistung, sondern identifiziert sich über ihr achtsames, pragmatisches Handeln. In der Filmwelt ist das anders. Ständig heißt es, ich drehe gerade mit dem, habe dieses Projekt, komme gerade von jenem Set.
PETZOLD: Leons Verleger will mehr über die Doktorarbeit über Heinrich Heine wissen. Solche Fragen markieren gewöhnlich das Ende des Sommers: Was machst du eigentlich, was ist gerade mit deinem Job? Nadja will den Sommer nicht beenden, sie will nicht antworten. Aber dann trägt sie Heines Gedicht „Der Asra“ vor.
BEER: Sogar zwei Mal hintereinander. Ewas Besonderes erzählen wir doch alle gern zwei Mal. Die Wiederholung folgt dem Wunsch, etwas wirklich zu teilen. Bitte nochmal: Dadurch entsteht Gemeinschaft.
PETZOLD: Gedichte sind ja eigentlich Songs. Songs, die wir mögen, hören wir gerne mehrmals hintereinander. Nur wenn ich eine Anekdote zu oft erzähle, macht Paula mir Zeichen hinter dem Rücken, mit der Anzahl der Wiederholungen. Einmal, ich fing gerade an, zeigte sie mir eine Fünf. Brutal.
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