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Der Hansestadt Buxtehude im Landkreis Stade geht es gut.

© imago images/Eckhard Stengel

Berliner Verkehrspolitik: Buxtehude statt Bullerbü

Oh, du liebe Autostadt. Nikolaus Bernau bereitet Berliner Urbaniten auf neue Schocks vor. Zone 30, langsam fahren – Buxtehude hat damit gute Erfahrungen gemacht.

Nikolaus Bernau
Ein Kommentar von Nikolaus Bernau

Stand:

Eine der fiesesten Vorwürfe, die im Wahlkampf an den Grünen kleben blieb, war der, dass sie Berlin wie das Dreihäuserdorf Bullerbü regieren wollten. Sie erinnern sich: das nette Kinderbuch von Astrid Lindgren.

Und die Berliner Grünen kuschten, statt auch nur einmal zu fragen: Was haben SPD, CDU, FDP und AFD eigentlich gegen eine solidarische, Natur und Tiere freundlich behandelnde Stadtgesellschaft hat, in der die Kinder ohne Lebensgefahr auf der Straße spielen, Alte ins Alltagsleben integriert sind, Fremde keine Angst, sondern Neugier auslösen und die Lehrerin respektiert wird?

Erste Tempo-30-Zone in Buxtehude

Lassen wir die nachgeholte Wahlkampfkritik und wenden uns dem nächsten Schocker für Berlins Autofans zu: Nicht Bullerbü, nein, das ähnlich nette Buxtehude ist aktuelles Vorbild innerstädtischer Verkehrspolitik. Ja, die Stadt des fiesen Zauberers Petrosilius Zwackelmann aus „Der Räuber Hotzenplotz“ (sorry, schon wieder ein Kinderbuch …).

Dort also wurde 1983 die erste bundesdeutsche Tempo-30-Zone eingerichtet, selbstverständlich gegen massiven Widerstand der Autolobby: Die Stadt werde veröden, der Straßenlärm steigen, die Unfallzahlen soundso.

Nichts davon bestätigte sich. Ganz im Gegenteil. Buxtehude blieb eine lebendige Kleinstadt neben dem großen Hamburg, mit guten Geschäften und netten Gassen und bemerkenswert niedrigen Unfall-, Verletzten- und Totenzahlen durch Autoverkehr – der zudem, weil alle gleich langsam fahren, oft schneller ist als dieso kerndeutsche Überholkultur.

Die wird seit Jahrzehnten eisern von der Autolobby und dem Bundesverkehrsministerium verteidigt, trotz endlos vieler Studien, die den Segen von Tempolimits für Ökologie und Verkehrsfluss, Energieverbrauch und Lärmminderung, städtischen Kommerz, Gesundheit und Klimaschutz beweisen.

Die Folgen dieser Freie-Fahrt-bis-ins-Grab-Politik sind katastrophal: Städte veröden, die Deutsche Bahn ist ruiniert, der öffentliche Nahverkehr weithin ausgetrocknet, Kinder haben Angst, Erwachsene fahren nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit, weil das zu gefährlich ist. Was kümmert die deutsche Politik, dass etwa in skandinavischen Metropolen Tempo 30 oft schon seit Jahrzehnten die Norm ist?

Aber da ist eben auch Buxtehude. Die Stadt, die lebt, weil sie die Autos behindert hat. Wie jetzt in einer umfangreichen Studie auch die Initiative „Lebenswerte Stadt“ lobt. Seit vierzig Jahren Tempo 30, wenigstens in Teilen der Innenstadt: Glückwunsch an die Stadt an der Este, dem Vorbild wahrer Urbanität. Ob der Bundesverkehrsminister jemals in Buxtehude war oder gar ein Berliner Verkehrsplaner?

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