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Berlins Kultur, immer in Bewegung: Hier die Baustelle der Staatsoper Unter den Linden.

© dpa

Berlin-Wahl: Berlins Kulturschaffende zum Wahlausgang

Bloß keine Nationalkultur und gerne ein flotter Dreier: Wie Berlins Kulturszene auf die Wahlergebnisse reagiert, von Jürgen Flimm bis Pieke Biermann.

Berlins Kulturschaffende reagieren mit gemischten Gefühlen auf die Berliner Wahlergebnisse. Viele sorgen sich wegen des Ergebnisses für die AfD und sehen einer rot-rot-grünen Regierung gelassen entgegen. Am zufriedensten zeigt sich Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm: „Michael Müller ist ein guter Bürgermeister, der für die Kultur immer ein offenes Ohr hatte.“ Seine Doppelfunktion als Regierender Bürgermeister und Kultursenator könne Müller gerne behalten. Rot-Rot-Grün fände Flimm okay, „da auch die Grünen und die Linken kulturfreundlich geworden sind“. In Sachen AfD zeigt sich der 75-Jährige entspannt: „Über 85 Prozent der Berliner haben sie nicht gewählt! Die AfD ist eine popelige Partei mit unhaltbarem Geschwätz.“

Thomas Oberender, Leiter der Berliner Festspiele, ist vom Zuwachs der Linken überrascht. Offenbar wollten die Menschen „ein Zeichen gegen die Abschaffung der Erinnerung an die DDR setzen, das finde ich interessant“. Dass die AfD nicht noch mehr Stimmen habe, erleichtere ihn, auch wenn es eine „fast perverse Freude“ sei. Die Diagnose, Berlin drifte an die rechten und linken Ränder, teilt der 50-Jährige nicht. „Die AfD, auch die Linke werden nicht nur von Randgruppen gewählt, sondern ebenso von Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum.“

Der Dramaturg beobachtet ohnehin eine Tendenz zur Diversifizierung. Dass die Volksparteien den Ton angeben, sei auf lange Sicht vorbei. „Unsere Gesellschaft zerlegt sich zunehmend in Mikrogesellschaften, die sich immer neu zusammensetzen.“ Auch kulturpolitische Klischees veränderten sich, so seien etwa die Grünen längst nicht mehr nur für die Freie Szene, sondern auch für die klassischen Institutionen ein starker Partner. „Ich fürchte mich nicht vor einer neuen Unübersichtlichkeit“, so Oberender.

Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters.

© picture alliance / dpa

Shermin Langhoff, Chefin des Maxim-Gorki-Theaters, würde eine rot-rot-grüne Koalition begrüßen. Von ihr erhofft sie sich, „dass die Vielfalt der Berliner Kulturlandschaft und die künstlerischen Freiräume weiter ausgebaut werden“. Berlin könnte ein Beispiel dafür sein, „wie ein Zusammenleben in Diversität und Differenz beschaffen sein könnte – dass nicht nur jeder nach seiner Fasson lebt, in seinem Kiez oder Milieu, sondern große Durchlässigkeit und Offenheit herrscht“, so Shermin Langhoff. Besonders erhofft sich die 47-Jährige, die 2013 vom Ballhaus Naunynstraße ans Gorki wechselte, „dass die drängenden sozialen Fragen in Berlin von der zukünftigen Regierung wirklich angepackt werden, denn wir sind die Stadt der Kinderarmut“. Und: „Ick hatte ’ne Pulle Sekt drauf gewettet, dass die AfD nicht über zehn Prozent kommt. Ick hab se fast jewonnen...“

Bernd Scherer, Intendant im Haus der Kulturen der Welt, gibt hinsichtlich der AfD zu bedenken, dass „immerhin über 85 Prozent der Wähler sich gegen eine Partei aussprechen, die unsere seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gültige humanistische Grundlage infrage stellt“. Der 61-jährige Philosoph sieht das Wahlergebnis im Zusammenhang mit einem aufgekündigten Koordinaten- und Wertesystem in einer Gesellschaft, „die immer mehr auf Ökonomisierung ausgerichtet ist, bis hin zur Eventkultur“. In dieser Situation „eines Ökonomieüberschusses bei gleichzeitigem Sinndefizit“ könne die AfD mit ihrer Nationalkultur gut Fuß fassen. Sollten sich die großen Parteien davon beeinflussen lassen, bedeute dies auch für die Kultur eine Gefahr. Die Volksparteien müssten sich auf den eigentlichen Wert der Kultur besinnen.

Die in Berlin lebende Künstlerin Birgit Brenner nennt die vielen Stimmen für die AfD desaströs. "Das ist nicht das Berlin, das ich kenne – aber es ist eben doch vorhanden," meinte die 52-Jährige, die an der Kunstakademie Stuttgart lehrt. "Mich schockiert, dass man mit so populistischen Mitteln erfolgreich sein kann. Zum ersten Mal kommt wieder Kritik von rechts."

Auch Anetta Kahane, die Leiterin der Amadeu Antonio Stiftung, sieht ihre Hoffnung, die Rechtspopulisten blieben unter fünf Prozent, enttäuscht. Das hohe Ergebnis für die AfD beschäftigt die Menschenrechtsaktivistin "mehr als die Frage, ob wir künftig von einer rot-rot-grünen Koalition regiert werden". Berlin, so die Leiterin der Stiftung gegen Rassismus und Gewalt,  "ist eine liberale Großstadt, ich dachte sie wäre resistent gegen die Rechtspopulisten." Kahane betonte auch: "Zu viele Berliner haben nicht wählen dürfen", teilweise Menschen, die seit Jahrzehnten hier lebten. "Die Diversity der Stadt spiegelt sich in den Wahlisten nicht wider."

Ingo Schulze, Schriftsteller aus Berlin, findet drei Gründe, sich über den Wahlausgang zu freuen.

© Mike Wolff.

Der Schriftsteller Ingo Schulze nennt drei Gründe, sich zu freuen: „die gestiegene Wahlbeteiligung, das Ende der großen Koalition (die ist sowohl im Bund wie in Berlin der entscheidende Grund für den Aufstieg der Rechtsextremen) und die Möglichkeit eines rot-rot-grünen Bündnisses, in dem keine der drei Parteien die Nase hoch tragen kann“, so der 53-Jährige.

Die Autorin Kathrin Röggla findet das Abschneiden der AfD bedenklich, freut sich aber ebenfalls über die Absage an die große Koalition und über die hohe Wahlbeteiligung. Die lasse auf eine Repolitisierung der Berliner schließen, „typisch für die postdemokratischen Veränderungen, die sich in den letzten Jahren im Engagement der Bevölkerung schon gezeigt haben“. Die 45-jährige Schriftstellerin und Vize-Präsidentin der Akademie der Künste glaubt, dass die Frage der sozialen Gerechtigkeit wahlentscheidend war. Die nächste Regierung solle dies ernst nehmen. Für die Kultur wünscht sie sich mehr Nachhaltigkeit: Nicht nur Einzelkämpfer, auch Institutionen bräuchten Unterstützung, sagte Röggla, von der in diesem Herbst das Buch "Nachtsendung.Unheimliche Geschichten" erscheint.

Peter Schneider wiederum zeigt sich erfreut darüber, dass die FDP wieder dabei ist und staunt über die Auftritte Michael Müllers. „Befremdlich, wie ein verbissener Regierender in Berlin einen Verlust von sechs Prozent als Sieg gefeiert hat. Also weiter so?“, fragt der 76-jährige Autor.

Und die Schriftstellerin Pieke Biermann reagiert mit Berliner Schnauze und gemischtem Humor: „Gott sein Ding, wie mein Frollein Mutter sagen würde“, so Biermann, die sich auch mit Berlin-Krimis einen Namen gemacht hat. Ihre Bilanz: „Nicht mal ein Drittel für Parteien, die auf Herausforderungen mit xeno- und homophobem Kleingeist reagieren. Drei Parteien, die hoffentlich vernünftig und sexy genug sind für einen flotten Dreier!“

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