
© dpa/Uwe Zucchi
Christusmörder, Raffzahn, Weltverschwörer: Was tun mit antisemitischen Bildern in der Kunst?
Ein Symposium an der TU Berlin beschäftigt sich mit antisemitischer Symbolik in der Kunst: vom Altarbild bis zum Documenta-Banner. Um den Umgang damit wird gerungen.
Stand:
Manches ist plakativ, anderes subtil. Ein zweitägiges Symposium an der TU Berlin versammelte Wissenschaftler, Kuratorinnen, Künstler und Pädagoginnen, um über Antisemitismus in Bildform zu sprechen. Wo in der Kunst kommen stereotype judenfeindliche Motive vor? Wie sind sie dort gelandet? Und: Wie kann man heute mit diesen Bildern und Symbolen umgehen?
Die Veranstaltung wurde hybrid abgehalten, war öffentlich. Wer nicht selbst Expertin oder Wissenschaftler ist, wunderte sich darüber, wie jung die Forschung zum Umgang mit antisemitischen Bildern in manchen Bereichen ist.
Der große Vorteil: Im wissenschaftlichen Kontext lässt sich in Ruhe und mit der notwendigen Nüchternheit sprechen. Es gibt Raum für differenzierte Bildbetrachtungen, die im tagesaktuellen Geschehen nicht möglich sind. Wenn, wie bei der Documenta 15 oder im Rahmen der Debatten um den Nahostkonflikt Kunst mit antisemitischer Symbolik plötzlich an die Oberfläche gespült wird, braucht es schnelle und möglichst eindeutige Reaktionen. Lernen kann man dabei wenig.
Antisemitische Symbolik ist in der Kunst weit verbreitet
Bilder, die Juden und Jüdinnen ausgrenzen, sie als unterlegen, als schwach, als bedrohlich und ausbeuterisch darstellen, sind in der Kunst weit verbreitet. Je nachdem wer schaut, wird sie im Alltag wahrnehmen oder nicht. Die Vorträge sensibilisieren für die typischen Kontexte: antijüdische Motive in der christlichen Ikonografie vom Altarbild bis zum Kirchenfenster; antijüdische Codes in der Malerei vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, etwa in Form einer idealisierten Agrarromantik, wie die Berliner Wissenschaftlerin Ines Gerber zeigt.
Genrebilder von Pieter Bruegel d. Älteren oder des französischen Realismus-Malers Jean-François Millet dienen Gerber als Exempel, um darzulegen, wie etwa die romantische Darstellung der Feldarbeiter bei Millet dazu diente, die Abgrenzung gegenüber den angeblich faulen, nicht zur Arbeit fähigen Juden, visuell zu untermauern; Juden erlaubte Tätigkeiten waren im Mittelalter und der Neuzeit Handel und Geldverleih, Land durften sie vielerorts weder langfristig pachten noch besitzen. Folglich blieb ihnen der Zugang zur Landwirtschaft verwehrt.

© dpa-Zentralbild/Hendrik Schmidt
Die Beispiele reichen von Bauskulpturen aus dem 13. Jahrhundert bis zur Schweinenase im Bild „People’s Justice“ der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi, das bei der Documenta 2022 für einen Eklat sorgte.
Veranstalter des Symposiums war das Forum Kunst und Markt, das von Dorothee Wimmer, Bénédicte Savoy und Johannes Nathan 2012 im Bereich Kunstgeschichte an der TU Berlin gegründet wurde und im Spannungsfeld zwischen Kunsthandel und Kunstpolitik forscht. Das Symposium wurde in Kooperation mit dem Fachgebiet für Digitale Provenienzforschung der TU Berlin und der Professur für Kunstpädagogik der HFBK Hamburg konzipiert.
Als die Swastika zum antijüdischen Symbol wurde
Die Wissenschaftlerinnen Nora Sternfeld und Julia Stolba von der HFBK Hamburg berichten in ihrem Impulsvortrag über das Swastika-Ornament in der europäischen Kunst Ende des 19. Jahrhunderts. Die arische Auslegung des Hakenkreuz-Zeichens beginnt laut ihrer Forschung mit dem Archäologen Heinrich Schliemann. Der stieß bei seinen Troja-Ausgrabungen 1886 auf Vasen mit eingravierten Hakenkreuzen und gab ihnen eine deutsch-nationalistische und antisemitische Bedeutung – die Juden hätten das Zeichen abgelehnt.
Diese Lesart diffundiert in akademische Kreise und in die europäische Kunst, stößt auf völkische Diskurse, Antikensehnsucht und eine neue Welle von Antisemitismus im Zuge eines politischen Machtvakuums in der Weimarer Republik. Das Symbol findet sich in Bodenmosaiken, als Jugendstil-Ornament, in Bilderrahmen, an Brückengeländern. Unpolitisch sei es nicht, so die Forscherinnen, auch wenn seine Bedeutung erst unter den Nationalsozialisten vereindeutigt worden sei.
Wenig subtil sind herabwürdigende Darstellungen von Juden in Kombination mit Schweinen, wie sie sich in Kirchen finden. Über diese „Judensau“-Skulpturen aus dem 13. Jahrhundert wird heftig debattiert – allerdings auch erst seit etwa 25 Jahren, wie der Architekturkritiker und freie Tagesspiegel-Mitarbeiter Nikolaus Bernau in seinem Vortrag bemerkt. Der prominenteste Fall ist die Skulptur an der Außenwand der Stadtkirche Wittenberg, wo das Relief zur Zeit Luthers sogar neu montiert wurde.
Entfernen oder als Mahnmal bewahren?
Auch Gotteshäuser in Magdeburg, Regensburg, Köln oder Calbe sind damit bestückt, inzwischen haben viele ihren Umgang mit diesen Darstellungen gefunden. Entweder wandern sie ins Museum, oder sie wurden mit Tafeln kritisch kommentiert oder mit Stelen und Bodenplatten kontextualisiert. Als vorbildliches Beispiel nennt Bernau die Stadt Zerbst in Sachsen-Anhalt. Für die Sau-Plastik an der Ruine der St. Nicolai-Kirche hätten Gemeinde und Stadtgesellschaft ein Gegendenkmal entwickelt, „ohne Einmischung von außen“.
Doch so viel Einigkeit im Umgang mit Skulpturen dieser Art ist die Ausnahme, sie scheitert oft an einer zentralen Frage: Soll man judenfeindliche Spuren erhalten, sie als Sehschule benutzen, um die Ideengeschichte des Antijudaismus und die Abgrenzungsmechanismen im Antisemitismus bewusst zu machen?
Damit beschäftigt sich Elke Anna Werner, Professorin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie gab einen Einblick in den Antijudaismus in der Kunst der frühen Neuzeit und beleuchtet den kuratorischen Umgang in Museen. Der Jude als Christusmörder, als Dieb, als schlechter Mensch, mit rotem Gesicht und gelbem Gewand, der Farbe des Neides, wie im Wittenberger Reformationsaltar. Andere Motive zeigen Juden in edler Kleidung, um deren Raffgier zu suggerieren.
Auch Werner fragt nach dem richtigen Umgang mit Antijudaismus als kulturellem Erbe. Sie liefert Beispiele aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, das seine Dauerausstellung überarbeitet. Sammlungsobjekte mit judenfeindlichen Darstellungen werden dort mit frühneuzeitlichen Zeugnissen jüdischen Lebens kontextualisiert, anderes wird textlich kommentiert. Werners Vorschlag lautet: in der Museumsarbeit Verbindungen zwischen christlichen und jüdischen Lebenswelten aufzuzeigen - und idealerweise nicht nur historisch, sondern auch aktuell.
Protest gegen das Suharto-Regime
2022 wurde ein riesiges Bild der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi bei der Documenta 15 auf dem Kasseler Friedrichsplatz ausgestellt. Es zeigt in einem Gewühl von Personen unter anderem einen Soldaten mit Mossad-Helm, Schweinenase und Davidstern, auch einen Juden mit SS-Runen auf dem Helm. Das Bild wurde zunächst verdeckt, dann entfernt. Die Künstler argumentierten, sie hätten niemanden verletzen oder beleidigen wollen. Ihr Bild beziehe sich auf die Ereignisse in Indonesien während der Suharto-Diktatur, in der zigtausende ermordet wurden.
Auch dieses Bild ist Gegenstand des TU-Symposiums. Es diskutieren der Südostasienwissenschaftler Timo Duile von der Universität in Bonn, der Berliner Künstler Leon Kahane und Dorothee Wimmer, Direktorin des Forums Kunst und Markt. Sie sollen unter Moderation von Nora Sternfeld von der HFBK Hamburg das Bild zunächst nur beschreiben, dann analysieren und abschließend kommentieren. Ganz leicht fällt die reine Bildbetrachtung ohne Wertung selbst den Experten nicht.
Leon Kahane verweist in seiner Analyse auf Antisemitismus als Kulturtechnik des Sündenbocks, die in dem Bild manifest wird. Die Welt in hell und dunkel eingeteilt, die Juden als Drahtzieher kapitalistischer Ausbeutung. Dorothee Wimmer macht deutlich, dass bei der Documenta 15 die Chance vertan wurde, am Beispiel dieses Bildes mehr über den Systemkampf im Kontext des Kalten Krieges in Indonesien zu erfahren. Vielleicht auch über den postnazistischen Antisemitismus hier wie dort. In Indonesien begründete Diktator Suharto seinen Rücktritt 1998 nach langen blutigen Studentenprotesten mit einer jüdischen, finanzkapitalistischen Verschwörung. Diese Feindbilder landeten, vermischt mit Verweisen auf westliche Kollaborateure, im Bild von Taring Padi.
Taring Padi haben in diesem Jahr ein neues Bild auf Instagram veröffentlicht, Ines Gerber behandelte es in ihrem Vortrag über die Agrarromantik. Wieder ist es ein Protestbild mit eindeutiger Gut- und Böse-Logik. Dieses Mal geht es um Palästina und den Krieg in Gaza, dargestellt im Kontrast von ländlicher Idylle und einem kosmopolitischen Außen mit israelischen Panzern.
Zeigen, kommentieren, wegpacken? Es bleibt ein Dilemma. Aber nur, wenn man lernt, antijüdische und antisemitische Codes zu lesen und wahrzunehmen, kann man aufhören, sie zu reproduzieren.
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