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Comicpreis „Peng!“ verliehen: Münchener Trophäen gehen nach Berlin, Paris und Chicago
Beim Comicfestival München wurde zum elften Mal der Comicpreis „Peng!“ vergeben. Die Ausgezeichneten im Überblick.
Stand:
Das Buch „Der verkehrte Himmel“ des Berliner Zeichners Mikael Ross ist am Wochenende auf dem Comicfestival München mit dem Preis für den besten deutschsprachigen Comic ausgezeichnet worden.
Mikael Ross („Goldjunge“, „Der Umfall“) verknüpft in seiner 2024 beim Berliner Avant-Verlag veröffentlichten Graphic Novel unterschiedliche zeichnerische Einflüsse und Genres zu einem hybriden Meisterwerk, das Manga-Elemente und europäische Comictradition zusammenbringt.
Das Buch war Ende vergangenen Jahres auch von einer Jury aus 30 deutschsprachigen Journalistinnen und Journalisten zum besten Comic des Jahres gewählt worden.
„Der verkehrte Himmel“ ist eine fiktive Geschichte in einem realistischen Setting und spielt unter anderem in der vietnamesischen Community Berlins. Dafür hat der preisgekrönte Comicautor Ross akribisch recherchiert und eigene Erfahrungen verarbeitet: Er arbeitet seit 2015 als Aushilfslehrer in Berlin-Lichtenberg, dadurch lernte er Schülerinnen und Schüler mit vietnamesischem Familienhintergrund kennen, was für ihn der Auslöser des Projekts war.

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Die Story beginnt mit einem Unfall und einer Zufallsbegegnung auf einem polnischen Parkplatz. Die Geschwister Tâm und Dennis, deren Eltern einst als DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam nach Berlin kamen, treffen auf eine in einem Wagen eingesperrte junge Frau, die ebenfalls aus Vietnam kommt. Ein Beil tauscht den Besitzer, später begegnen sich alle drei in Berlin wieder.

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Die düstere Krimihandlung, die der weitgehend in Schwarz, Weiß und Grautönen gezeichneten Geschichte ihre Struktur gibt, ist jedoch nur eine von mehreren Ebenen – mehr dazu in der Tagesspiegel-Rezension des Buches.
Bester europäischer Comic
Der Preis für den besten europäischen Comic geht nach Paris: Ausgezeichnet wurde der französische Zeichner Rénald Luzier alias Luz für sein Buch „Zwei weibliche Halbakte“, dessen deutsche Ausgabe im Berliner Reprodukt-Verlag erschienen ist.
Der frühere Chefredakteur der religionskritischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ erzählt darin anhand eines Gemäldes vom Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland. Das Besondere dabei: Die gesamte Handlung wird aus Sicht von Otto Muellers expressionistischem Bild „Zwei weibliche Halbakte“ erzählt, das so zur Hauptfigur der Geschichte wird.

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„Zwei weibliche Halbakte“ war 1919 entstanden und war nach der Machtübernahme Hitlers eines der Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten als „kulturbolschewistische Darstellung pornographischen Charakters“ diffamiert und 1937 in der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt wurden.
Neben der Zeit des Nationalsozialismus geht es in „Zwei weibliche Halbakte“ auch um den zähen Prozess der Restitution, mit dem in den vergangenen Jahren zumindest teilweise versucht wurde, Nachfahren der einst von den Nazis enteigneten ursprünglichen Besitzer der Kunst finanziell zu entschädigen. Mehr zu seinem Buch erzählte Luz dem Tagesspiegel kürzlich bei einem Berlin-Besuch.

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Bester Comic aus dem englischsprachigen Raum
Als bester Comic aus dem englischsprachigen Raum wurde der zweite Band von „Am liebsten mag ich Monster“ ausgezeichnet. Das Buch der in Chicago lebenden Zeichnerin Emil Ferris ist auf Deutsch beim Stuttgarter Panini-Verlag erschienen.
Die mit dem Kugelschreiber gezeichnete Erzählung, deren erster Band 2018 von der Tagesspiegel-Jury zum besten Comic des Jahres gewählt wurde und zahlreiche weitere Branchenpreise bekam, ist eine Hommage an die US-Horrorcomics und Trash-Filme der 1950er- und 60er-Jahre. Vor allem aber ist die als Tagebuch eines jungen Mädchens angelegte Erzählung ein kunstvoller, komplexer psychologischer Thriller.

© Foto: Marcus Antritter
Im Zentrum steht die eigenbrötlerische, von Gleichaltrigen gemobbte Ich-Erzählerin Karen, eine zu Beginn der Geschichte zehnjährige Schülerin mit einer ausufernden Fantasie, einem morbiden Humor und einer von ihrem älteren Bruder Dee befeuerten Liebe zur bildenden Kunst, die ihr bei der Alltagsbewältigung hilft.

© Panini
In handwerklich raffinierten Bildern, die neben Popkultur-Zitaten auch kunstgeschichtliche Einflüsse von Goya, Daumier und Klassikern der Illustrationskunst erkennen lassen, erzählt die 62-jährige Ferris mehrere miteinander verschränkte Geschichten.
Auf einer Ebene ist es ein Entwicklungsroman mit der offensichtlich autobiografisch inspirierten Karen als Hauptfigur, die im Chicago der 1960er-Jahre aufwächst, sich selbst halb als Werwolf und halb als Privatdetektiv im Bogart-Look sieht. So wird sie von Ferris auch gezeichnet.

© Panini
Als weitere Erzählebenen gibt es eine Art Krimi-Plot, denn Karen hat sich zum Ziel gesetzt, den mysteriösen Tod ihrer Nachbarin aufzuklären, der im ersten Band ein zentrales Ereignis war. Dazu kommen weitere Nebenhandlungen.
Beste Edition eines Klassikers
Als beste Edition eines Klassikers wurde die Neuausgabe von André Franquins Comic-Album „Bravo Brothers“ ausgezeichnet, die bereits Ende 2023 beim Hamburger Carlsen-Verlag auf Deutsch erschienen war. Dabei handelt es sich um eine Geschichte, in der sich einige der bekanntesten Figuren des belgischen Comicautors begegnen: Spirou und Fantasio treffen hier auf den chaotischen Büroboten Gaston.

© Carlsen
Neben der 22-seitigen humorvollen Comicgeschichte, die für diese Ausgabe neu koloriert wurde, umfasst die Neuauflage unveröffentlichte Zeichnungen, Faksimiles der Originalseiten und weitere Hintergrundinformationen zu dem Werk und seinem Zeichner.
Bester Comic für Kinder
Als bester Kindercomic wurde ein weiteres Werk aus dem Carlsen-Verlag ausgezeichnet: „Kleine Hexe Nebel 1: Das Erwachen des Drachen“ von Jérôme Pélissier (Szenario) und Carine Hinder (Illustrationen).
Die auch in ihrem Herkunftsland Frankreich viel gelobte Trilogie, von der inzwischen alle drei Bände auch auf Deutsch erschienen sind, handelt von einem selbstbewussten Mädchen, das unbedingt eine Hexe werden will und sich dabei gegen viele Widerstände durchsetzt.

© Carlsen
Ermittelt wurde dieser Preisträger, der vom Verlag für Kinder ab acht Jahren empfohlen wird, unter anderem durch eine Umfrage unter Kindern und Jugendlichen in einem Pop-up-Kindercomicladen in der Münchener Innenstadt und auf dem Festival.
Beste Sekundärliteratur
Den Preis für die beste Sekundärliteratur hatte bereits im Vorfeld des Festivals Alexander Braun bekommen. Der Künstler und promovierte Kunsthistoriker hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht als einer der versiertesten deutschen Kenner und Ausstellungsmacher zur Geschichte des Comics und verwandter Kunstformen.

© dpa/Andreas Arnold
Zuletzt hat er unter anderem im Schauraum Dortmund die Ausstellungen „Black Comics: Vom Kolonialismus zum Black Panther“ und „Gelber wird’s nicht“ über die „Simpsons“ und ihre Macher gestaltet. Zu beiden hat er opulent gestaltete Kataloge mit fundierten Texten veröffentlicht. „Gelber wird’s nicht“ ist im Sommer 2026 auch auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen zu sehen.
Ausgezeichnetes Lebenswerk
Den „Peng!“-Preis für sein Lebenswerk bekam in München der Österreicher Chris Scheuer. Er veröffentlicht seit mehr als 40 Jahren Comics in unterschiedlichen Genres und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Seine ersten Arbeiten erschienen unter anderem im Magazin „Schwermetall“, das auf Science-Fiction- und Fantasy-Comics für Erwachsene spezialisiert war. Bekannte Titel von ihm waren unter anderem „Marie Jade“ oder „Sir Ballantime“.

© Edition Aleph
Zuletzt sind nach einer längeren Schaffenspause von ihm 2019 bei Panini die zusammen mit dem Schriftsteller Matthias Bauer geschaffene Horrorgeschichte „Reiche Ernte“ und 2023 die ebenfalls von Bauer geschriebene Vampirgeschichte „Vollmond Legenden“ (G&G Verlag) erschienen.
In der Edition Aleph ist kürzlich der erste Band von Scheuers autobiografischer Graphic Novel „Sch“ erschienen. Für die gibt es allerdings noch keinen offiziellen Vertrieb, sie kann bislang nur beim Herausgeber direkt bestellt werden: achim@achim-schnurrer.de. Sobald das zweite Buch fertiggestellt ist, soll das Werk auch über die regulären Vertriebswege erhältlich sein.
Einen „Peng!“-Sonderpreis gab es für Steffen Haas und Gunther Hansen für ihre Serie „Das Küken, die Maus und das Bier“, die über 25 Jahre im Magazin „In München“ veröffentlicht wurde.
Neben dem „Peng!“ wurden auf dem Comicfestival München auch die Independent-Comic-Preise des Interessenverbands Comic (Icom) verliehen. Ausgezeichnet wurden in diesem Jahr folgende Titel:
- Bester Independent Comic (Selbstveröffentlichung): „Es geht auch ohne Ehrgeiz“ von Max Julian Otto
- Bester Independent Comic (Verlagsveröffentlichung): „Zeter + Mordio“ von Jens Cornils (Avant-Verlag)
- Bester Independent Comic (Sonderpreis): Marcus Behrendt (EMBE)
- Preise für herausragende digitale Comics: „Hirncomic“ von Sarah-Lyn Weitnauer und Lea Hümbs (Selbstveröffentlichung) sowie „Max & Luzie in der Antike“ von Federico Frizzanti und Jan Suski (Kult Comics)
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