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„Virtuose Verbindung von Bild und Wort“ : Comiczeichnerin Ulli Lust gewinnt Deutschen Sachbuchpreis
Am Dienstagabend hat der Börsenverein des Buchhandels den Deutschen Sachbuchpreis 2025 verliehen – zum ersten Mal an eine Comiczeichnerin.
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Die Berliner Comiczeichnerin Ulli Lust ist die Gewinnerin des Deutschen Sachbuchpreises 2025. Sie wurde am Dienstagabend in der Hamburger Elbphilharmonie für ihr Werk „Die Frau als Mensch. Am Anfang der Geschichte“ ausgezeichnet. Das gab der Börsenverein des Deutschen Buchhandels bekannt. Ulli Lust erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro.
Schon die Nominierung des Titels war eine Auszeichnung gewesen, für die Künstlerin wie auch für die Kunstform: Zum ersten Mal stand in diesem Jahr ein Comic auf der Shortlist für den Deutschen Sachbuchpreis. Acht Titel waren nominiert, darunter sieben Sachbücher im klassischen Sinne sowie Ulli Lusts Graphic Novel.
In diesem Sachcomic rekapituliert die international erfolgreiche Berliner Zeichnerin („Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“) neue Erkenntnisse zur menschlichen Frühgeschichte, in denen Frauen eine wichtigere Rolle als in der klassischen Ethnologie und Archäologie zukommt. Sie verbindet das mit persönlichen Anekdoten und humorvollen Beobachtungen zum Verhältnis der Geschlechter in der Gegenwart.
„In ihrem so kenntnisreichen wie fantasievollen Sachbuch zu den Anfängen der Menschheit zwischen Evolution und Kultur zeigt Ulli Lust, dass die Rolle von Frauen in der Menschheitsgeschichte weitgehend unsichtbar blieb“, heißt es in der Jurybegründung. „Der lange Zeit vorherrschende Blick auf den Menschen als Mann ist grundlegend revisionsbedürftig, und das zeigt dieses Buch anhand eines originellen Ineinandergreifens von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Archäologie, Anthropologie und Kunstgeschichte, immer wieder inspiriert von Alltagserfahrungen.“
Der Preis für das Sachbuch des Jahres wurde in diesem Jahr zum fünften Mal vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen. Stifter ist die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins.

© Promo/Alex Englert
Männliches Imponiergehabe ist Ulli Lust seit Kindertagen suspekt. Das vermittelt sie zu Beginn ihres Buches humorvoll mittels einer Szene aus ihrer Jugend. Da zeigt ein Cousin ihr stolz die Kunst des Stehpinkelns. Doch die sechsjährige Ulli empfindet nur „Penismitleid“.
Scham und Abwertung statt Selbstbewusstsein und Macht
Seitdem fragt sie sich immer wieder, wie es sein kann, dass männliche Körper oft mit Selbstbewusstsein und Macht verbunden sind, die weiblichen hingegen mit Scham und Abwertung. Ausgehend von dieser Verwunderung spürt die 57-Jährige der Frage nach, woher das kommt.
Bekannt wurde Lust mit autobiografischen Comics wie „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“, in denen sie sich schonungslos mit dem Geschlechterverhältnis auseinandergesetzt hat. Dieser persönliche Blick zeichnet auch die besten Passagen in „Die Frau als Mensch“ aus.

© Ulli Lust: „Die Frau als Mensch“ / Reprodukt
Zum größten Teil ist es allerdings eher ein Sachcomic, der neue Erkenntnisse zur menschlichen Frühgeschichte rekapituliert, die überlieferte Annahmen infrage stellen. Lust zeigt anschaulich, wie groß die Defizite nach wie vor sind – nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im Alltag des 21. Jahrhunderts. „Die Frau als Mensch“ ist als erster Teil eines zweibändigen Werks angelegt.
„Mit diesem vielschichtigen Zugang vermag Ulli Lust festgefahrene Vorstellungen aufzubrechen“, heißt es weiter in der Begründung zur Verleihung des Sachbuchpreises. „Das gilt auch für das Genre des Sachbuchs, das durch die virtuose Verbindung von Bild und Wort auf das Schönste erweitert wird.“
Die Visualisierung des Texts in Form der Graphic Novel verbindet sich auf diskursive Weise mit dem Text und stellt so eine weitere Ebene her.
Aus der Jurybegründung zur Nominierung von Ulli Lusts Comic „Die Frau als Mensch: Am Anfang der Geschichte“.
Die Visualisierung des Texts in Comicform gehe dabei „weit über die rein deskriptive illustrative Darstellung hinaus“, hatte die Jury bereits bei der Begründung zur Nominierung gelobt. „Sie verbindet sich auf diskursive Weise mit dem Text und stellt so eine weitere Ebene her“. Ulli Lusts Buch sei „quasi der Dokumentarfilm unter den Graphic Novels und daher ein Sachbuch im besten Sinne“.

© Reprodukt
Die anderen in diesem Jahr für den Sachbuchpreis Nominierten waren Ingo Dachwitz und Sven Hilbig mit „Digitaler Kolonialismus: Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen“, Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus Peter Strohmeier mit „Kinder – Minderheit ohne Schutz: Aufwachsen in der alternden Gesellschaft“, Franz-Stefan Gady mit „Die Rückkehr des Krieges: Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen“.
Zudem Ines Geipel mit „Fabelland: Der Osten, der Westen, der Zorn und das Glück“, Martina Heßler mit „Sisyphos im Maschinenraum: Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie“, Walburga Hülk mit „Victor Hugo: Jahrhundertmensch“ und Bernhard Kegel mit „Mit Pflanzen die Welt retten: Grüne Lösungen gegen den Klimawandel“.
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