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Die besten Comics des Jahres: Schweizer Künstler räumen bei Max-und-Moritz-Preisen ab
Die drei wichtigsten Auszeichnungen für deutschsprachige Comics gehen in diesem Jahr in die Alpenrepublik. Und auch bei zwei weiteren Branchen-Preisen wurden jetzt die Gewinner verkündet.
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Beim Internationalen Comic-Salon Erlangen sind am Freitagabend die Max-und-Moritz-Preise verliehen worden, die als die bedeutendste Auszeichnung der Branche im deutschsprachigen Raum gelten. Dabei gab es eine Premiere: Zum ersten Mal in der 40-jährigen Geschichte des Comic-Salons gingen die drei wichtigsten Preise für deutschsprachige Arbeiten an Comicschaffende aus der Schweiz.
Die in Zürich lebende Künstlerin Anna Sommer wurde als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin ausgezeichnet. Der ebenfalls in Zürich lebende Künstler Nando von Arb bekam für sein autobiografisches Buch „Fürchten lernen“ den Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic. Und die Tragikomödie „Der Letzte löscht das Licht“ des in Biel im Kanton Bern lebenden Zeichners Tobias Aeschbacher wurde als bestes deutschsprachiges Comicdebüt ausgezeichnet.

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Als bester internationaler Comic wurde das Drama „Hör nur, schöne Márcia“ des Brasilianers Marcello Quintanilha gekürt. Der Preis für den besten Sachcomic ging an die Britin Kate Charlesworth für ihren autobiografisch grundierten Sachcomic “United Queerdom”. Als bester Comic für Kinder wurde „Boris, Babette und lauter Skelette“ der Hamburger Zeichnerin Tanja Esch ausgezeichnet.

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Der Publikumspreis des Festivals, der in den vergangenen Wochen auf Basis von Leser-Vorschlägen über die Social-Media-Seiten des Comic-Salons ermittelt worden war, geht in diesem Jahr an den in Frankfurt am Main lebenden Cartoonisten Joscha Sauer für seinen Sammelband „Nichtlustig – Cartoons 2022-2024“.

© Joann Sfar / avant
Zwei weitere Preise hatte die Max-und-Moritz-Jury, der bis 2018 auch der Autor dieses Artikels angehörte, bereits im Vorfeld des Festivals verkündet, sie wurden am Freitagabend ebenfalls verliehen: Der französische Comicautor Joann Sfar, der durch seine auch als Kinofilm erfolgreiche Erzählung „Die Katze des Rabbiners“ international bekannt geworden ist, bekam den Max-und-Moritz-Preis für ein herausragendes Lebenswerk.
Die in München lebende Zeichnerin Barbara Yelin, die sich in ihren Arbeiten viel mit den Folgen der NS-Zeit, dem Schicksal von Geflüchteten und anderen aktuellen und historischen Ereignissen und ihren Auswirkungen auf das Leben der Menschen beschäftigt hat, wurde für ihr Werk mit einem Spezialpreis ausgezeichnet. Mehr zu den Begründungen für diese beiden Ehrungen hier.
Anna Sommer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen als meisterhafte Illustratorin gemacht, die mit ungewöhnlichen Techniken arbeitet, darunter dem Papierschnitt, Federzeichnungen und Radierungen. Mit aus Papier geschnittenen Bildern hat sie auch ihre aktuelle Bilderzählung „Tinte“ geschaffen, die ganz ohne Worte auskommt und von der japanischen Glücksbringerfigur Daruma inspiriert wurde.
„In Anna Sommers Arbeiten ist nichts ganz so, wie es zu sein scheint“, heißt es in der Begründung der Jury. „Durch ihre Arbeit ziehen sich subtile Risse. Inhaltlich sucht sie gerne die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge, Schein und Sein auf. Formal arbeitet sie mit vielen, sehr unterschiedlichen Techniken. Diese ästhetische Vielfalt und inhaltlichen Ambivalenzen machen ihre Arbeit überraschend, reich und spannungsvoll.“

© Edition Moderne
Seit 30 Jahren unterlaufe Sommer alle Zuweisungen und Einschränkungen und spiele mit den Erwartungen des Publikums. „Die Spannung zwischen den verschiedenen Ebenen ihrer Geschichten, zwischen Erzählweisen, Stilen und Techniken ist gleichbedeutend mit künstlerischer Meisterschaft und raffinierter Unterhaltung.“
Nando Arb erzählt in „Fürchten lernen“ auf grafisch innovative Weise von seinen Ängsten, Angststörungen und Panikattacken, die ihn seit seiner Kindheit begleiten. „Zeichnerisch ist „Fürchten lernen“ schlicht spektakulär“, heißt es in der Jurybegründung. Das Buch sei „eine schwindelerregende Geisterbahn durch einen Irrgarten der Ängste“ und besteche zudem auch durch „eine fröhliche und skurrile Seite“.
Tobias Aeschbachers unter anderem von den Filmen Quentin Tarantinos inspiriertes Buch „Der letzte löscht das Licht“ beginnt als Gaunerklamotte um einen Einbruch, bei dem einiges schiefläuft und „entwickelt sich zur irrwitzigen, raffiniert erzählten Tragikomödie um ein Dutzend mehr und vor allem weniger cooler und souveräner Ganoven, die alle auf kuriose Weise ins Gras beißen“, wie es in der Jurybegründung heißt. Gelobt werden unter anderem „die großartigen Charaktere, die verzwickte Handlung, die Oscar-würdigen Dialoge und Running Gags und die schmissigen Zeichnungen“.

© Helvetiq
Marcello Quintanilhas Graphic Novel „Hör nur, schöne Márcia“ erzählt von der konfliktreichen Beziehung einer Mutter und ihrer Tocher in einer Favela in Rio de Janeiro vor dem Hintergrund eines Drogenkrieges. „Es ist atemberaubend, wie geschickt der Brasilianer Marcello Quintanilha das Mutter-Tochter-Drama mit dem Gesellschafts-Thriller verknüpft und damit einen packenden Einblick in die Schattenseiten des heutigen Brasilien vermittelt“, urteilt die Jury. Quintanilhas Zeichnungen seien immer in Bewegung und die Farben expressiv.

© Carlsen/Kate Charlesworth
In „United Queerdom“ verbindet die 1950 geborene Kate Charlesworth ihre eigene Biografie und ihre lesbische Coming-Out-Geschichte mit einem historischen Überblick über den Kampf um queere Gleichberechtigung in Großbritannien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Jury lobt den „eigensinnigen, bunten und persönlichen“ Zugang zum Thema. Charlesworth sei es gelungen, die Geschichten ihrer queeren Vorbilder mit ihrem eigenen Leben und der Geschichte der Kämpfer:innen für Gleichberechtigung „zu einem Feuerwerk der Popkultur des 20. Jahrhunderts“ zu machen.
In dem jetzt ausgezeichneten Kindercomic „Boris, Babette und lauter Skelette“ nähert sich Tanja Esch „auf amüsante und ganz selbstverständliche Weise dem Thema der Identitätssuche und des „Andersseins““, lobt die Jury. Hauptfiguren sind der Junge Boris, sein sprechendes und auch in anderer Hinsicht unkonventionelles Haustier Babette, das sich zu gruseligen Dingen und Skeletten hingezogen fühlt, sowie Boris Opa, der mit ausgestopften Tieren zusammenlebt und ganz eigene Erfahrungen mit Ausgrenzung gemacht hat. Das Buch war im vergangenen Herbst bereits mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis als bestes Kinderbuch ausgezeichnet worden.
Am Abend zuvor waren auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen bereits die Gewinnerinnen und Gewinner des ICOM-Independent-Comic-Preises verkündet worden, der vom vom Interessenverband Comic e. V. vergeben wird. Ausgezeichnet wurden: „Digger“ von von Ralf Marczinczik (Bester Independent Comic, Selbstveröffentlichung), „Viktoria Aal“ von Wiebke Bolduan (Bester Independent Comic, Verlagsveröffentlichung), „Salon Journal“ von Jel&Rie, Naqshband Haidary, Heiko Vogel, Robert Posselt, Benjamin Caillari-Herzberg, Katrin Langhauser, Milivoj Kostic, Sascha Dörp, Falko Kutz, Frauke Berger, Annelie Wagner, Frank Cmuchal, Heimat- und Kulturverein Gönnheim (Sonderpreis für eine besondere Leistung oder Publikation), „Schattenspiel“ von Luise Mirdita (Bester Kinder- oder Jugendcomic), „Der unsichtbare Freund“ von Steff Murschetz und „Somnium“ von Berrin Jost (XPPen-Preis für herausragende digitale Comics).
Am Samstagabend wurde dann ein weiterer Preis in mehreren Kategorien vergeben, der Ginco, der sich als der inklusive Comicpreis der deutschen Independent-Szene versteht. In der Kategorie Kurzcomic wurde „OK.“ von Hannes Stummvoll
ausgezeichnet (Riso-Zine im Selbstverlag). Der Preis für die beste fortlaufende Serie ging an Anna Backhausen für „Heimlich, still und leise“ (veröffentlicht auf Animexx und Webtoon). Bester Langcomic / Einzelband wurde der Kindercomic „Weltraumpolizistin Oma Gurke“ von Patrick Wirbeleit und Stephan Lomp. In der Kategorie „Manga Spotlight“ wurde ausgezeichnet „Incidents“ von Meitei Miu (Animexx / Eigenverlag). Zudem wurden vier Veröffentlichungen als „Herzenscomic“ ausgezeichnet: „Blood, Flesh and Bone“ von Naki, „Drifting“ von Madita Schwenke, „Kennen wir uns“ von Matthias Lehmann und „Schattenspiel“ von Luise Mirdita.
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