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Eine Szene aus dem Comic „Myre – Im Schatten der Wanderer“, Buch 1.

© Splitter

Fantasy-Zeichnerin Claudya Schmidt: „Comics eröffnen völlig neue Möglichkeiten, Geschichten zu erleben“

Claudya Schmidt hat gerade ein neues Album ihrer Fantasy-Reihe „Myre“ veröffentlicht. Im Tagesspiegel-Fragebogen gibt die Berliner Zeichnerin Einblicke in ihre Arbeit.

Stand:

Wer hat Sie künstlerisch geprägt? Welche Werke von Kolleginnen und Kollegen gefallen Ihnen besonders? Was empfehlen Sie Comic-Einsteigern? Im Tagesspiegel-Fragebogen geben Zeichnerinnen und Zeichner Einblicke in ihre Arbeit und in ihre Leidenschaft für die Kunstform. Heute: die Berliner Comiczeichnerin Claudya Schmidt, die gerade im Splitter-Verlag einen neuen Band ihrer Fantasy-Reihe „Myre“ veröffentlicht hat.

1. Was kommt bei Ihrer Arbeit zuerst: Worte oder Bilder?
Bilder! Definitiv immer als allererstes, denn die bilden für mich das Gerüst für Wörter. Durch Bilder kann ich viel tiefgründiger ausdrücken, was mit Worten oft nur schwer zu beschreiben ist. Und die Vorstellung gibt mir auch den nötigen Impuls, eine Story tiefgründiger auszubauen.

2. Hören Sie beim Zeichnen Musik und wie beeinflusst Sie das?
Generell höre ich bei den ersten Schritten des kreativen Schaffens Musik. Sie spielt eine wichtige Rolle für mich, besonders wenn Klänge bestimmte Narrative entstehen lassen, die sich später zu einer ausgefeilten Idee entwickeln. Der Rhythmus gibt mir Fokus und Energie und beeinflusst gleichzeitig die Emotionen, die für viele meiner Bilder essenziell sind. Durch Musik kann ich mir Ideen besser vorstellen... fast wie einen „Film“ im Kopf, den ich dann auf die Leinwand übertrage. Erst später, wenn es an die Ausarbeitung der Bilder geht, höre ich meistens Hörbücher oder Podcasts, um meinen Kopf bei komplexen Werken zu beschäftigen.

3. Was essen oder trinken Sie am liebsten, während Sie arbeiten?
An langen Arbeitstagen faste ich meist bis zur Mittagszeit, um einen klaren Kopf zu bewahren und meine Energie voll in meine Werke einfließen zu lassen. Ich esse eher leicht, viel Gemüse, Obst, Nüsse und proteinreiche Snacks. Kaffee und Wasser sind dabei ständige Begleiter. Klingt vielleicht langweilig, ich weiß, aber die Arbeit macht mir mehr Spaß als das Essen. Größere Mahlzeiten gönne ich mir erst nach der Arbeit. Eine Routine, die sich durch meine Arbeit an Comics entwickelt hat. So kann ich meinen Energiehaushalt gut steuern, ohne tagsüber müde zu werden. 

4. Angenommen, Ihre Wohnung brennt: Welche Comics würden Sie auf jeden Fall aus Ihrem Regal retten?
Darüber habe ich noch nie nachgedacht – aber es lohnt sich, das mal zu tun! Als erstes würde ich definitiv nach meiner Festplatte greifen, danach Kunst-Kollektionen, insbesondere nach Artbooks wie dem von „Oddworld Inhabitants“ oder limitierten Fotoalben wie „Encyclopedia of Flowers“ und Biografien wie „Ich bin’s!“, welche mir Hella von Sinnen mit einer schönen Widmung versehen hat. Bei Comics wäre es „The Last Unicorn“, das mir persönlich von Sir Peter S. Beagle signiert wurde. All diese Bücher sind auf dem Markt nicht mehr erhältlich und haben für mich einen enorm hohen persönlichen Wert.

5. Welche Zeichner/innen und Autor/innen waren für Ihre eigene Entwicklung die prägendsten?
Die allerersten Einflüsse, die mich zur Kunst bewegt haben, waren Salvador Dalí, H.R. Giger, Katsuhiro Otomo („Akira“), Albert Uderzo („Asterix“), CLAMP, Naoko Takeuchi („Sailor Moon“) und Akira Toriyama („Dragon Ball“). Später kamen Raymond Swanland („Oddworld“) und John Howe („Herr der Ringe“) als prägende Inspirationen hinzu, besonders als ich mich intensiver mit Character Design und Worldbuilding beschäftigte.
Durch das Internet und die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern ist mein Spektrum an Einflüssen enorm gewachsen. Sie alle aufzuzählen, wäre fast unmöglich, aber die ersten, die mir in den Sinn kommen, sind Sandara Tang, Chengwei Pan, Ilse Gort und Jonas Jödicke.

6. Welchen Comic würden Sie jemandem empfehlen, der sonst eigentlich keine Comics liest?
Heutzutage funktionieren Online-Comics sehr gut. Es gibt viele kurze Comic-Strips oder Serien, die einen schnell fesseln und in ihren Bann ziehen. Welche Comics ich empfehlen würde, hängt stark von den Interessen der Person ab. Deshalb kann ich keine pauschale Antwort geben, da das Spektrum einfach riesig ist. Der Griff nach dem gedruckten Buch ist dann nicht weit entfernt, wenn die Lust auf weitere Comics aufflammt.
Was mich aber besonders freut und stolz macht, ist, dass viele meiner Leser durch meine Comics zum ersten Mal mit dem Medium in Berührung gekommen sind und sich danach weiter für Comics begeistert haben. Das erlebe ich vor allem bei vielen jungen Leserinnen und Lesern.

7. Glauben Sie, dass die Kunstform Comic derzeit die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient?
Je mehr Aufmerksamkeit, desto besser, und davon kann es nie genug geben! Dabei geht es nicht nur um die Erfolge einzelner Künstler, sondern um die Magie, die Comics in sich tragen. Sie vereinen Elemente aus Film und Literatur und eröffnen völlig neue Möglichkeiten, Geschichten zu erleben.
Kaum jemand pausiert eine Filmszene, um jedes Detail genau zu betrachten. Bei Comics hingegen kann jeder und jede das Tempo selbst bestimmen, verweilen, Details entdecken und die Geschichte auf eine ganz eigene Weise erleben.
Also ja, immer her mit mehr Aufmerksamkeit! Je mehr Leser es gibt, desto mehr Künstler*innen werden den Mut finden, sich auf solch große Projekte einzulassen.

Eine Szene aus „Myre“ mit der Hauptfigur, nach der die Reihe benannt ist.

© Splitter

8. Welche zeitgenössischen Comic-Künstler/innen verdienen mehr Aufmerksamkeit als sie derzeit bekommen?
Ich bin ja hauptsächlich im Social-Media-Bereich tätig, und das ist verzwickt. Viele Follower heißt nicht automatisch viele Leser, und kleine Accounts können hinter den Kulissen trotzdem richtig erfolgreich sein. Sichtbarkeit ist harte Arbeit, erst recht jetzt, wo KI-Content alles überflutet.
Nach vier Jahren Funkstille wegen meines Comic-Projekts und Burnout baue ich mir meine Präsenz gerade mühsam wieder auf, und so geht’s vielen. Deshalb bin ich sehr dankbar für jede Unterstützung und unterstütze auch selbst andere Künstler.
Wenn ihr talentierte Leute entdecken wollt, schaut in die Follow-Listen von mir oder meinen Kolleg*innen. Ein Teilen oder Kommentar hilft mehr, als man denkt!
Aber vielleicht sollten wir den Blick auch mal auf die Tierwelt und Natur richten... dort, wo das eigentliche Spektakel stattfindet. Ohne sie würde eine riesige Inspirationsquelle für Kreative wegbrechen. Genau deshalb verdienen sie unsere besondere Aufmerksamkeit und Schutz.

9. Wenn Sie einen hoch dotierten Preis für das Lebenswerk im Bereich Comics vergeben müssten, wer würde ihn erhalten?
Wenn ich könnte, würde ich den Preis all denen geben, die trotz schwierigster Umstände ihr Projekt durchziehen oder andere dabei unterstützen, es zu vollenden. Mein Co-Autor Nico Janssen ist so jemand – er flog extra von Amsterdam nach Berlin, um mit mir das wichtigste Kapitel von „Myre“ zu schreiben, obwohl ich mental völlig am Limit war. Seine Energie hat mich da rausgezogen.
Solche Menschen sind selten. Und weil „Myre“ mein Lebenswerk ist, würde der Preis an ihn gehen – und an alle, die mit Leidenschaft und Durchhaltevermögen etwas Großes erschaffen, egal wie hart der Weg ist.

10. Wie würden Sie einem Blinden beschreiben, was das Besondere an Ihren Comics ist?
Ich würde zuerst fragen, wie es ist zu träumen, und ob das Kopfkino dann eher ein Hörspiel oder doch ein abstraktes Kunstwerk ist. Falls Bilder schwer vorstellbar sind, würde ich es wohl als eine Art Mini-Diashow beschreiben, kleine Szenen in Kästchen, die nacheinander abgespielt werden. Es gibt sogar einen „Asterix“-Comic in Brailleschrift, bei dem die Leser die Figuren und Panels ertasten können. Ich finde das großartig!

11. Woran arbeiten Sie derzeit, wenn Sie keine Fragebögen ausfüllen?
Ich hab das große Glück, an einem Projekt mit Ravensburger zu arbeiten und neue Konzepte für mein Worldbuilding zu entwickeln. Aber ganz ehrlich, am meisten arbeite ich gerade an mir selbst, um wieder volle Energie zu tanken, damit ich bald richtig durchstarten kann.

Eine weitere Seite aus „Myre – Im Schatten der Wanderer“.

© Splitter

12. Wieso würden Sie einem jungen Menschen raten, Comic-Autor/in zu werden - und wieso würden Sie ihm oder ihr davon abraten?
Ich sag immer: „Macht Comics und macht keine Comics“, weil der Aufwand und die Mühen einfach endlos sind. Der ganze Tagesrhythmus dreht sich nur darum, von einer Sequenz zur nächsten zu kommen, immer weiter, bis die Geschichte erzählt ist. Da fließen hunderte Stunden rein. Aber am Ende lohnt es sich, weil visuelles Storytelling unglaublich viel beim Leser bewirken kann und es einfach riesigen Spaß macht, Geschichten in diesem Format zu entwickeln.
Es ist eine echte Herausforderung. Und als Künstler, wenn du einmal die Idee für Comics im Kopf hast, kommst du sowieso nicht mehr davon los. Ist die Idee erstmal da, muss sie raus. Also eher: Macht Comics und lernt daraus! Es gibt so viel zu entdecken!

13. Wie fühlt es sich für Sie an, Ihre Zeichnungen als gedruckte Bücher in der Hand zu halten?Unfassbar, unglaublich und sehr erleichternd. Es fühlt sich sehr befreiend an. Ich habe irgendwie auch die Angewohnheit, nach einem Großprojekt erstmal für ein paar Momente Abstand zu nehmen und Freunden das Werk in die Hand zu geben, damit ich das ganze erstmal realisieren kann.

14. Welche Noten haben Sie im Kunstunterricht in der Schule bekommen?
Die waren ausreichend bis mangelhaft, aber hauptsächlich, weil der Unterricht trockener war als meine Pinsel! Ich wollte nie die Beste sein und habe die Aufgaben einfach so dargestellt, wie ich sie wollte und am besten für mich interpretieren konnte. Das hat dem Lehrer natürlich nicht immer gefallen, aber wer braucht schon Regeln, wenn man kreativ ist?

15. Was können Sie überhaupt nicht zeichnen?
Diese Frage stellt sich für mich nicht. Das würde mich nur aufhalten! Wenn ich etwas noch nicht kann, übe ich so lange, bis es mir liegt. Für mich ist alles eher eine Herausforderung als ein Hindernis. Ich liebe es, mich neuen Aufgaben zu stellen, und wenn etwas unmöglich erscheint, wird es durchgeboxt, bis es passt!

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