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Himmlischer Disput. Gott und Mephisto im typischen Flix-Look.

© Illustration: Flix/Carlsen

Modernisierter Klassiker: Teuflische Komödie

Bestseller-Zeichner Flix hat sich den „Faust“ vorgenommen und den Klassiker der deutschen Literatur als Comic ins 21. Jahrhundert übertragen. Mit Erfolg? Darüber gehen die Meinungen auseinander – ein Pro und Contra

CONTRA: Felix Görmanns Urfaust hat mittlerweile mehr als zwölf Jahre auf dem Buckel. Denn bevor er sich unter dem Pseudonym Flix eine internationale Reputation erzeichnen sollte – den Startschuss dazu bot seine 2003 veröffentlichte Diplomabschlussarbeit und Autobiographie in spe mit dem Titel „Held“ -, versuchte er sich bereits 1998 mit seinem Debüt „who the fuck is Faust“ an einer Bearbeitung des Goethe-Stoffes. Das vorliegende Buch hat damit allerdings nichts mehr zu tun, ihm ging eine erste Publikation in der F.A.Z. im vergangenen Jahr voraus.

Faust, das ist, wahlweise, das Sinnbild der bürgerlichen Suche nach Glück und Erkenntnis und Ausdruck der bürgerlichen Identitätsdiffusion, die mit dem Anbruch der französischen Revolution manifest wurde oder, rezeptionsgeschichtlich betrachtet und ideologisch instrumentalisiert, so etwas wie der nationale Urstoff, mit dessen Hilfe die kulturelle Legitimation des Deutschen Reichs unterfüttert und der nicht zuletzt durch den tatkräftigen Einsatz Oswald Spenglers zu einem nationalistisch raunenden Getöse destilliert wurde, zu einem deutschen Singsang, an dessen Wesen die Welt genesen sollte. Es muss ja nicht gleich als grobes Spielverderben ausgelegt werden, wenn man kurz an diese Implikationen und mit ihnen auch an all das, was der Stoff zu bieten hat, erinnert.

Alles geht sauber und glimpflich aus - wie bieder!

Flix hingegen ist eine Marke, ein Garant für handwerklich unbestechliche Erzählungen, für pointierte Dialoge und exzellentes Timing in der Anwendung cartoonesker Mittel, ein Könner, der die Formsprache des Comics präzise und erschöpfend zu nutzen weiß. Unbenommen. Und er folgt mit Vorliebe einem Sujet, für das sein knuddeliger Stil wie geschaffen scheint: Besonders gerne stimmt er das hohe Lied der Liebe an. Die kommt mitunter zwar ganz schön schröpfend, manchmal regelrecht gefährlich daher, entwächst aber nie zur existenziellen Not, als dass sie deswegen irgendwann als utopisches Ziel von den Figuren verworfen oder wenigstens in ihrem Idealtypus angekratzt wäre. In den Storys geht es sauber zu und glimpflich aus, und das macht sie in ihrer ausgestellten Harmlosigkeit langsam trostlos bieder. Bei dieser Faustreformulierung setzt sich das Schema fort.

Schlafwandlerisches Gespür für Timing: Eine Seite aus dem besprochenen Buch.

© Illustration: Flix/Carlsen

Angesiedelt im Berlin der Gegenwart wird aus Faust ein erfolgloser Student, auf den Mephisto aufgrund einer Wette mit Gott angesetzt wird. Der sitzt mit den restlichen Göttern in seiner himmlischen Schaltzentrale und erschafft die Welten via Myspace. Nach einem Disput mit Mephisto über die sinkende Zahl seiner Anhängerschaft ist der Deal perfekt und Mephisto hat nun fünf Tage Zeit, um Faust von seiner Treue abzubringen. Dank seines forschen Auftritts als Businesspunk mit New-Economy-Appeal drängt er Faust spielerisch zur Vertragsunterzeichnung und in Gestalt des türkischen Mädchens aus dem Bioladen ist auch bald die zeitgenössische Margarethe ausfindig gemacht. Nun kann der Eroberungsreigen beginnen und der einzige Unterschied zu den vorherigen Flix-Werken besteht wohl darin, dass er dieses Mal mit metaphysischen Mitteln gefördert bzw. torpediert wird.

Vor Verpilcherung ist keine Vorlage gefeit

Aus der Tragödie wird eine leichtfüßige Komödie. Wieso nicht? Falsche Scheu vor gewaltigen Klassikern war noch nie bekömmlich. Allein, die Wahl des Stoffes scheint jedoch so willkürlich und funktionslos (von respektvoller Respektlosigkeit vielleicht abgesehen), dass diese zuckersüße Apotheose der Suche zweier einsamer Herzen gleichfalls als Houellebecq- oder Bret-Easton-Ellis-Adaption ebenso aufgegangen wäre. Vor Verpilcherung ist jedenfalls keine Vorlage gefeit. An einer zentralen Stelle, wenn sich Faust und Margarethe das erste Mal in die Augen blicken, scheint dann auch die atavistische Sehnsucht hindurch, die hinter den Liebesnöten der urbanen Hipster verborgen liegt: Die Panels werden wie an einem Fadenkreuz angeordnet, dessen Zentrum das Universum bildet und in einem Zeitflash blicken beide vom Taumel der ersten Begegnung regelrecht betäubt, vor allem aber völlig ironiefrei in ihre gemeinsame Zukunft: Da wirft man zusammen glückselig Flaschen in den Altglascontainer, kauft in Erwartung eines Kindes eine neue Palme bei Ikea für die gemeinsame Wohnung und schläft schließlich im hohen Alter gemütlich im Ehebett, die jeweiligen Gebisse harmonisch links und rechts auf den Nachttischchen drapiert. Dass das Diesseits diese Vision nicht bereit hält, weil Gott in seiner letzten Not das Paar mit Hilfe eines Blitzes erschlägt, ist nicht wirklich tragisch, denn die Zweisamkeit wird sich endlich ungestört im Jenseits fortsetzen.

Nebenbei: „Deus ex machina“ ruft Mephisto aufgrund dieses unvorhergesehenen Blitzeinsatzes erbost, schlechter Stil sei das und wedelt erregt mit Syd Fields berühmten Drehbuchratgeber umher, und diese Selbstironie ist erzählerisch schon sehr kokett, wenn man zuvor glauben sollte, dass sich Margarethes Mutter von einem, natürlich, schwarzen Schnurrbart von Fausts türkischer Herkunft überzeugen lässt, mehr aber noch, dass sie, die aus ihrer Abscheu gegenüber Deutschen und Deutschland keinen Hehl macht, dennoch deutsch mit ihm kommuniziert, nachdem sie ihn freudig als einen Landsmann begrüßt – mit Verständnisproblemen würde der Kulturkonflikt wohl an Wortwitz vermissen lassen.

Der Rückzug in die Zweisamkeit und die Idylle des Familienglücks, das ist hier der Motor des Konflikts: Es ist schleierhaft, warum diese Reinstallation der Tugend des aseptischen Lebensentwürfeplanens einen faustischen Überbau samt eines Gottes in Web-2.0-Gewand benötigt, wenn sie sich auch ohne diesen ganzen Ballast bereits vorzüglich besingen ließ. Nun hat sie also auch das Jenseits erreicht. Ob dies nun zu Tränen rührt oder erst für sie sorgt, liegt wohl im Auge des favorisierten Lebensmodells. Schade, dass es nicht der Widerspruch hierin ist, der öfters Mal zum Lobgesang anregt.

Sven Jachmann

PRO: Wilder Slapstick und hoher erzählerischer Anspruch, banale Alltagserlebnisse und sensible Lebensklugheit,  stereotype Klischees und bemerkenswert originelle Einfälle - bei Flix liegen die erzählerischen Extreme oft nur ein paar Striche auseinander. Das hat der Zeichner und Autor in autobiographisch inspirierten Werken wie „Held“ oder „Sag was“ vorgeführt, in denen er seine quadernasigen Figuren in einem Moment über existenzielle Lebensfragen sinnieren lässt, um sie im nächsten Moment durch überdrehte Screwball-Comedy-Situationen zu jagen oder in romantische Abenteuer zu stürzen, die man je nach Perspektive als kitschig oder ironisch empfinden kann. Auf jeden Fall sind sie unterhaltsam. Und seine vergangenes Jahr sehr erfolgreich als Buch veröffentlichte Reihe von deutsch-deutschen „Da war mal was…“-Strips aus dem Tagesspiegel lebt davon, dass der Wahlberliner gewichtige Fragen von Politik und Moral mit leichtem Entertainment und Klamauk so elegant zu verbinden weiß wie nur wenige andere deutsche Autoren oder Zeichner.

Große Kunst und schneller Witz liegen dicht beieinander

Auch bei seiner erst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Strip und nun als Buch veröffentlichten Annäherung an den „Faust“, deren Reclam-Retro-Look schon äußerlich Erinnerungen an lang vergangene Schulzeiten auslöst, liegen das Heilige und das Profane, die große Kunst und der schnelle Witz so nah beieinander, dass sie manchmal schwer zu trennen sind. Das beginnt schon damit, dass er am Anfang das Wunder der göttlichen Schöpfung durch eine versehentliche Intervention des Teufels eben mal abstürzen lässt – handelt es sich doch bei der Schöpfung um ein Computerprogramm, das der grauhaarige Meister über Leben und Tod in der universalen Schaltzentrale mühevoll auf seinem PC bedient.

So geht es munter weiter: Vertraute Grundelemente und Zitate aus dem Goethe’schen Vorbild werden mit modernen Referenzen und spielerischen Einfällen gemischt, aus denen heraus Flix eine Handlung entwickelt, die in ihren Grundzügen dem Klassiker treu bleibt, in der konkreten Umsetzung aber eine moderne, vielschichtige und höchst amüsante Geschichte erzählt.

Von der Tragödie zur leichtfüßigen Komödie: Eine Seite aus Flix' „Faust“.

© Illustration: Flix/Carlsen

Mit über die Jahre zunehmend perfektioniertem Strich, souveränem Witz und einem fast schlafwandlerisch wirkenden Gespür für das richtige Erzähltempo hat Flix die Figuren der klassischen Tragödie ins Hier und Jetzt transformiert: Der Gelehrte Heinrich Faust ist ein Studienabbrecher, der sich sein Geld als Taxifahrer verdient; sein Famulus Wagner sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl und hadert mit dem Leben;  Fausts Geliebte Margarete, genannt Gretchen, ist die Tochter einer türkischen Gemüsehändlerfamilie, deren Oberhaupt einst Schreinemaker verehrte - und der Herrgott und sein Gegenspieler Mephistopheles lenken mehr schlecht als recht das Weltgeschehen von ihrem himmlischen  Aussichtsposten aus und erinnern mit ihren sarkastischen Bemerkungen an die Muppets-Rentner Statler und Waldorf.

„Auch Comics können wahr, schön und gut sein“

Treibende Kraft ist, wie in dem 200 Jahre alten Vorbild, natürlich der Teufel, der frech und charmant Gott zu einer Wette um die Seele eines Erdenmenschen herausfordert. Beide haben es faustdick hinter den Ohren, sodass ein rasanter Wettkampf entbrennt, den Flix mit gutem Gespür für Pointen, aber auch viel Einfühlungsvermögen in die Schwächen des menschlichen Charakters zu einer epischen Geschichte ausbaut. Es geht um die Suche nach Glück, um das nicht einfache Zusammenleben der Kulturen in einer Einwanderungsstadt wie Berlin und um die strukturelle Sprachlosigkeit zwischen Männern und Frauen (Flix’ Lieblingsthema, das er derzeit auch in seiner aktuellen Tagesspiegel-Comicreihe aufbereitet – mehr dazu unter diesem Link).

All dies serviert Flix mit großer Ernsthaftigkeit gegenüber seinen Figuren, die doch immer wieder durch offensichtliche Selbstironie des Zeichners gebrochen wird. Zum Beispiel, wenn er in romantischen Situationen, die allzu sehr ins Niedliche abzudriften drohen, Faust und Gretchen in liebestolle Kaninchen verwandelt und dadurch auch den eigenen Hang zur idealisierten Romantik spielerisch unterläuft und hinterfragt. Ein Buch, das beweist, „dass auch Comics wahr, schön und gut sein können“, wie F.A.Z.-Redakteur Andreas Platthaus im Vorwort schreibt. Recht hat er.

Lars von Törne

Flix: Faust. Der Tragödie erster Teil. Carlsen, 96 Seiten, 14,90 Euro. Mehr unter diesem Link.

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