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Muriel (Daisy Edgar-Jones) lebt in einer erdrückenden Ehe mit Lee (Will Poulter) in dem queeren Drama „On Swift Horses“.

© LEONINE

Das queere Liebesdrama „On Swift Horses“: Ein bisschen Freiheit riskieren

„On Swift Horses“ mit Daisy Edgar-Jones und Jacob Elordi ist ein überwältigend schönes Porträt über die 1950er Jahre in Amerika – solange die Gefühle gesellschaftlichen Normen entsprechen.

Stand:

Die unbegrenzten Möglichkeiten, die Amerika seinen Zugewanderten verspricht – wohlgemerkt: nicht den Ureinwohnern des Kontinents –, waren immer mit der impliziten Forderung verbunden, dass es in der Neuen Welt jeder zu etwas bringen könne, der nur hart genug dafür arbeitet.

Das war das Wohlstandsversprechen der Eisenhower-Jahre, in denen der Aufschwung einer neuen Mittelklasse nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem restaurativen Geist eines Norman-Rockwell-Gemäldes zusammenfiel. Ausgenommen von diesem gesellschaftlichen Aufbruch waren diejenigen, die nicht in die puritanischen Vorstellungen dieses neuen Amerikas passten.

In Daniel Minahans Romanverfilmung „On Swift Horses“ bilden drei Menschen, die sich auf Umwegen ihren Platz in diesem Amerika erstreiten müssen – ein homosexueller Mann, eine junge Frau, die sich in ihrer Ehe erdrückt fühlt, und ein junger Mexikaner – eine Schicksalsgemeinschaft.

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Sie wollen sich den gesellschaftlichen Anforderungen nicht beugen und gehen daher auf eigenen Wegen dem amerikanischen Glücksversprechen nach: im Glücksspiel.

Das Ziel dieser Suche findet sich naturgemäß im bereits zivilisierten, aber noch nicht vollkommen erschlossenen Westen. Hierhin zieht es Lee (Will Poulter) und seine junge Frau Muriel (Daisy Edgar-Jones), die auf der Farm ihrer Eltern in Kansas leben, aber mit den Gedanken schon in Kalifornien sind.

Selbst die überschaubaren Träume sind zu groß

Lee und sein Bruder Julius (Jacob Elordi), beide Veteranen des Koreakriegs, planen, ihren Sold in eines der pittoresken kleinen Eigenheime zu investieren, die in der bewässerten Wüste vor San Diego wie Pilze aus dem Boden sprießen.

Muriel ist auch Teil dieses Plans, aber als der ruhelose Julius schließlich in Kansas auftaucht – mit nacktem Oberkörper hübsch auf der Motorhaube drapiert –, hat dieser sich schon wieder zerschlagen.

Selbst die überschaubaren Träume, denen die Menschen in „On Swift Horses“ nachhängen, sind gemessen an den Umständen immer noch eine Spur zu groß – auch weil die Begehren, die diese Träume nähren, nicht mit den gesellschaftlichen Konventionen vereinbar sind.

Als Muriel Julius zum ersten Mal sieht (auf der Motorhaube), ist da etwas in ihrem Blick zu spüren, das sich bis zum Schluss nicht artikulieren lässt.

Die Geschichte von „On Swift Horses“ entspinnt sich über mehrere Jahre in Form eines Briefwechselns zwischen Muriel und Julius. Lee bleibt in jeder Hinsicht außen vor, auch bei den gelegentlichen Besuchen seines Bruders in Kalifornien, wo sich das Ehepaar von seinen Ersparnissen schließlich ein Häuschen kauft.

Den Drifter Julius zieht es nach Las Vegas

Was er nicht weiß: Das Geld stammt nicht aus dem Verkauf von Muriels Elternhaus, sondern aus Wetten auf der Rennbahn, wo das amerikanische Glücksversprechen buchstäblich auf dem Rücken der Pferde liegt.

Den Drifter Julius wiederum zieht es ins Spielerparadies Las Vegas, wo er zusammen mit Henry (Diego Calva) ein vermeintlich sicheres System entwickelt, um die Casinos um ihr Geld zu erleichtern.

Muriel (Daisy Edgar-Jones) will aus ihrer kleinbürgerlichen Welt ausbrechen.

© LEONINE

Henry ist der Realist in diesem Trio von Träumern, ein junger Mexikaner, der sich keine Illusionen über seinen Platz in Amerika macht. Er weiß, dass er sein Glück erzwingen muss – auch in dem Wissen, dass er damit die kleine Utopie riskiert, die er heimlich mit Julius lebt.

Historische Dramen über die moralische Verstocktheit im Nachkriegs-Amerika umgibt fast zwangsläufig ein klassizistisches Dekorum – von „Brokeback Mountain“ über die Yates-Verfilmung „Zeiten des Aufruhrs“ mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio bis zu Todd Haynes’ modernem Klassiker des Queer Cinema „Carol“.

Auch „On Swift Horses“ wirkt in seinem melodramatischen Gestus ästhetisch aus der Zeit gefallen, so aufreizend leidend bewegen sich unglaublich attraktive junge Menschen (Edgar-Jones, Elordi, Calva und Poulter, die nächste Star-Generation Hollywoods) durch exquisit gefilmte Zeitbilder.

Ersticken am kalifornischen Freiheitsgefühl

Schon der Roman von Shannon Pufahl beschreibt Möglichkeiten eines „anderen“ Lebens in Amerika, unter den taxierenden Blicken einer puritanischen Gesellschaft. „Julius ist nicht wie wir“, erklärt Lee in Minahans Verfilmung einmal seiner Frau, nichtsahnend, dass auch Muriel schon lange an ihrer Rolle zweifelt.

Während Las Vegas, der Architektur gewordene amerikanische Traum, Henry und Julius tatsächlich träumen lässt, zeigt sich das kalifornische Freiheitsgefühl unter anderem darin, dass die neue Nachbarin Sandra (Sasha Calle) mit ihren „Freundinnen“ klandestine Soirées veranstaltet.

Muriel fühlt sich zu der jungen Frau hingezogen, die sich nicht um Konventionen schert. Aber sie kann sich aus den gesellschaftlichen Zwängen nicht befreien. „Du würdest hier ersticken“, schreibt sie einmal Julius, kurz bevor sie Lee verlässt.

Die Tragik von „On Swift Horses“ besteht darin, dass Muriel, Julius und Henry ihre Leben aneinander vorbeiführen; wobei der Film offen lässt, ob allein die gesellschaftliche Mentalität der Grund dafür ist. Das Glücksspiel ist eine einleuchtende Metapher für das Risiko, das sie mit ihren nonkonformen Lebensentwürfen eingehen.

Ihre angedeutete Ménage-à-trois bleibt in den Träumen und Briefen eine unerfüllte Sehnsucht, versinnbildlicht in einer Bar in der Stadt, dem heimlichen Treffpunkt der queeren Community, geschützt vor der Polizei und abschätzigen Blicken. Im Eingangsbereich befindet sich eine Wand mit verzweifelten Nachrichten von Männern und Frauen an ihre verschwundenen Liebenden. Das „Chester“ ist nur eine Busfahrt von der bedrückenden Suburbia entfernt, der Muriel zu fliehen versucht. Das Versprechen eines offenen, freien Amerikas. Hier kreuzen sich die Wege von Muriel, Julius und Henry für einen hoffnungsvollen Augenblick.

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