Kultur: Denken im Quadrat
Mekka und Guantanamo: der Installationskünstler Gregor Schneider in Hamburg und Düsseldorf
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Endlich steht er leibhaftig da, der quadratische Koloss in Schwarz. Auf diversen Computeranimationen hat man ihn bereits gesehen, in Venedig auf dem Markusplatz oder in Berlin vor dem Hamburger Bahnhof. Jedes Mal blieb der Kubus des Künstlers Gregor Schneider ein Wunschgebilde: Auf der Biennale in Venedig fürchteten die Stadtvertreter 2005 vonseiten radikaler Islamisten Ungemach, da das Zusammenspiel mit den Kolonnaden rund um den Markusplatz an Mekka und die Kaaba erinnerte. Da konnten Religionsvertreter noch so sehr bescheinigen, dass es für das Heiligtum weder ein Abbildungs- noch ein Reproduktionsverbot gibt: Schneiders Würfel wurde nicht gebaut.
In Berlin kam es im Herbst 2005 zur kurzfristigen Absage durch den Generaldirektor der Staatlichen Museen, nachdem die Planung eigentlich schon stand. Seitdem schien es fast schon egal, wohin Schneiders überdimensionaler Würfel nun rollte, Hauptsache, er würde endlich realisiert. Die ursprüngliche Idee, die Einbeziehung des anspielungsreichen Ambientes auf dem Markusplatz, hatte sich da bereits verwässert.
Nach Jahren des Kampfes um die Realisierung hat Gregor Schneider nun also in Hamburg seinen 13 Quadratmeter großen Würfel auf dem Plateau zwischen der Alten und der Neuen Kunsthalle gebaut. Für den Künstler scheint es ein mindestens so großer Triumph zu sein wie die Verleihung des Goldenen Löwen 2001 auf der Biennale von Venedig für sein „Haus u r“. Plötzlich wird der ansonsten eher verschlossene Schneider mitteilsam. Seine gestanzten Sätze, die er wie ein Guru auf der Pressekonferenz vorträgt, gipfeln in der Sentenz: „Der Hamburger Kubus hat die Kraft zum universellen Zeichen.“ Da hat der Künstler im Eifer allerdings sein Vorbild, die Kaaba, vergessen, der weit mehr Potenzial innewohnt als seinem Remake.
So steht man vor der mit schwarzem Trevirastoff verhängten Würfelkonstruktion und verspürt – nichts. Wie in den Computersimulationen tut sich Leere auf, diesmal nur in der Dreidimensionalität. Hier glüht nichts und niemand, schon gar nicht „wie ein Stück Kohle“ (Schneider). Als gebaute Wirklichkeit wirkt der Kubus nur noch wie eine Formalität: sehr schön in Anspielung auf die quadratischen Exerzitien in Oswald Mathias Ungers’ Kunsthallen-Neubau und perfekt als Werbeträger für die Ausstellung „Das schwarze Quadrat – Hommage an Malewitsch“.
Eigentlich hatte der vom Essener Folkwang-Museum zur Hamburger Kunsthalle übergewechselte Museumsdirektor Hubertus Gassner vor Jahresfrist mit dieser Ausstellung seinen Einstand geben wollen. Doch dann kamen ihm die wichtigsten Leihgaben abhanden: Das Stedelijk-Museum in Amsterdam, das den bedeutendsten Bestand an Arbeiten Malewitschs besitzt, kämpft mit Restitutionsansprüchen und gibt deshalb kaum noch Werke her. Die russischen Museen dagegen verlangen horrende Leihgebühren. Im zweiten Anlauf hat der Suprematismus-Experte ein großartiges Kabinett mit Werken Malewitschs zusammengetragen, im Mittelpunkt die zweite der insgesamt vier Versionen vom „Schwarzen Quadrat“. Das um 1923 entstandene Werk stammt aus dem Russischen Museum in St. Petersburg, das auch noch ein Selbstbildnis des Künstlers mit dem Titel „Aviator“ hinzugab. Es zeigt Malewitsch mit schwarzem Zylinder, darauf die Zahl Null. Für ihn war das „Schwarze Quadrat“ der Nullpunkt, der Durchbruch in die neue Dimension der abstrakten Kunst.
Bis heute hat diese radikale Geste nichts von ihrer Faszination verloren, bis heute arbeiten sich die Künstler ab am schlichtem Geviert auf weißem Grund, das wie ein Energiestrahl vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart schießt. Die Hamburger Ausstellung interessiert sich deshalb weniger für das Zitat dieser markigen Form, sondern sie untersucht das „Schwarze Quadrat“ als ein virulentes Kraftfeld der Kunst. Immer wieder haben sich Künstler darauf bezogen – und sei es in Übersteigerung wie etwa Yves Klein, der 1960 unter körperlichem Einsatz den „Sprung ins Leere“ wagte, und sich mit ausgebreiteten Armen aus dem zweiten Stock eines Wohnhauses stürzte. „Malewitsch hatte tatsächlich das Unendliche ,vor’ sich – ich bin ,im’ Unendlichen“, erklärte er. „Man stellt es nicht dar, man produziert es nicht, man ist es.“
Den Geist des Gelebten, Erfahrenen aus dem „Schwarzen Quadrat“ verströmt auch noch jener vier mal vier Meter große, schwarze Baumwollstoff, der ausgebreitet auf dem Galerieboden liegt. Gemäß der Devise „Der Handelnde wird selbst zum Werk“ animierte Franz Erhard Walther 1966 Freunde, sich auf dieses Stoffquadrat zu setzen, stellen, legen. Diese Mitmachkunst ist fern jener fast aseptischen Hommagen der Minimalisten an das perfekte Format. Natürlich dürfen in einer solchen Ausstellung Carl Andre, Donald Judd, Ad Reinhardt, Robert Ryman, Richard Serra, Sol LeWitt nicht fehlen. In dieser größten Abteilung läuft die Ausstellung Gefahr, den Besucher mit einer Anhäufung von Quadraten überzustrapazieren. Hier erscheint es in Schwarz, in Weiß, mal aus Aluminium, mal aus Eisen, auf dem Boden liegend oder an der Wand hoch gestemmt. Auch hier punktet die Ausstellung mit großartigen Leihgaben, doch eröffnet sich kein neuer Horizont.
Die bis heute anhaltende Wirkmächtigkeit des „Schwarzen Quadrats“ lässt sich wohl am besten an den Versuchen erschließen, ihm mit Ironie zu begegnen. So klettert der portugiesische Künstler Jorge Polder in einer Performance durch ein schwarzes Quadrat an der Decke und plumpst auf den Boden, Rosemarie Trockel integrierte in ihr Strickbild mit schwarzem Quadrat in der rechten Ecke den Satz „Cogito ergo sum“, und Sigmar Polke malt und schreibt: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“
Die ein wenig lehrbuchhafte Ausstellung endet mit einem überraschenden Schwung. Die slowenische Künstlergruppe IRWIN zelebriert eine makabre Wiederauferstehung Malewitschs und der Gegenständlichkeit, indem sie die 1935 entstandenen Aufnahmen des Künstlers auf seinem Totenbett mit einer wächsernen Puppe reinszeniert. Der Maler selbst hatte verfügt, in einem suprematistisch gestalteten Sarg aufgebahrt zu werden; über dem Leichnam hing das „Schwarze Quadrat“, an seinem Kopfende stand ein Strauß weißer Lilien. IRWIN baut diesen Raum in einer schockierenden Perfektion nach. Es ist gleichsam eine Warnung vor den hegemonialen Tendenzen des Suprematismus, der schließlich das Wort „suprematia“ – Herrschaft, Überlegenheit – im Namen führt. Umso willkommener ist das laue Lüftchen, wenn der Besucher wieder draußen vor dem Kubus von Gregor Schneider steht. Es hat zur Folge, dass die perfekte Form ganz unplanmäßig in Bewegung gerät.
Kunsthalle Hamburg, bis 10. Juni; Katalog (Hatje Cantz) 39,80 €.
Schwer fällt die Eisentür ins Schloss, schnell geht die Orientierung verloren. Linoleumboden und Schaumstoffnoppen an der Decke schlucken den Schall der Schritte, spurenlos sind die Oberflächen, als sei hier noch nie ein Mensch gewesen. Nur einzeln darf man eintreten, im Abstand von fünf Minuten, der Vorgänger ist längst verschwunden. Man sieht Gänge, rote Schiebetüren, die sich geräuschlos schließen oder gar nicht erst öffnen. Dahinter: Zellen, gleißend hell, ein Bett mit grüner Gummimatratze, ein blitzblank geputzter Toilettentisch, ein Pfeil auf dem Boden. Stahltüren öffnen nur von einer Seite, verwehren die Rückkehr, ein Gang, der keiner ist, eine Falle, eine Sackgasse. Man ist allein.
Rational ist klar: Man ist im Untergeschoss des Museumsbaus K 21 in Düsseldorf. Ist die steile Treppe heruntergestiegen, und wird am Ende wieder heraufsteigen, eine Stahltür öffnen und vor dem Museum herauskommen. Und das, was man in einer beklemmenden halben Stunde durchlaufen hat, war eine Rauminstallation, die Gregor Schneider in den geräumigen Museumskeller gebaut hat.
Emotional ist das anders. Emotional zielt alles in dieser Installation auf Verunsicherung, Realitätsverlust, Orientierungslosigkeit. Milchglasscheiben statt Fenstern verwehren den Durchblick, lassen nur ein diffuses Licht ein. Ein schwarzer Spiegel wirft das eigene Bild zurück: Ist es ein Überwachungsfenster, einseitig verspiegelt? Im Zentrum des Labyrinths wartet ein lichtschluckender Kubus, schalldicht ausgepolstert, absolut dunkel. Wenige Minuten allein in diesem Raum, und man verliert Körpergefühl, Gleichgewicht, Orientierung, ja selbst Geschmack und Gehör. Ein toter Ort, ein Nichtort.
„Weiße Folter“ hat Gregor Schneider seine neue, für Düsseldorf entwickelte Arbeit genannt. Sie erinnert an Psychofolter, die zum Bestandteil moderner Kriegsführung geworden ist: Folter, die am Körper keine Spuren hinterlässt, aber die Psyche nachdrücklich zerrüttet. Es wird nicht mehr geschlagen oder körperlich gequält, kein Blut fließt, keine Verletzungen sind sichtbar, da macht sich keiner die Hände schmutzig. Schlaf- und Nahrungsentzug, Dunkelheit, Kälte, Isolation, 24 Stunden Lichtbestrahlung oder permanente Musikbeschallung haben die Funktion der Aussagenerpressung übernommen. „Manipulation des Verhörumfelds“ heißt der grausam euphemistische Begriff: Foltermethoden, die schwer nachweisbar, aber für den Betroffenen umso folgenreicher sind.
Es überrascht nicht: Das Vorbild für die in Düsseldorf nachgebauten Zellen, für Gänge, Gitter, Gummibett und gen Mekka gerichteten Pfeil am Boden sind Fotos von Guantanamos High-Tech-Strafblock „Camp V“, die Schneider vor zwei Jahren im Internet fand. Guantanamo, auch das ein Unort, ein toter Ort, gelegen auf der US-Jurisdiktion nicht unterworfenem Boden. Die Insassen sind einem totalen Ortsverlust ausgesetzt, wissen nicht, wo sie sind, und warum und wie lang.
Sinn für die ungute Aura von Räumen hat Schneider schon immer bewiesen. Legendär sein „Haus u r“2001 in Venedig. Auch das ein Raumlabyrinth, allerdings der vertrauteren Art. Das Grauen, das hinter vergammelten Tapeten, verrammelten Türen, in dunklen Ecken und Kellern lauert, war fast körperlich fühlbar, man meinte den Geruch von Dreck zu spüren. Kleinbürgerlichkeit, Verwahrlosung, Enge – vielleicht wirkte das „Haus u r“ auch deshalb so beklemmend, weil es die Urangst der Familienhölle beschwört.
Nun hat sich der eigenbrötlerische Künstler in Hamburg und Düsseldorf globaleren Themen zugewandt. Doch die wütende Anklage gegen die amerikanische Verhörpraxis in Guantanamo hat etwas Wohlfeiles, das gruselnde Nachempfinden in den weißen Räumen wirkt fast obszön. Ein Erlebnispark für Museumsbesucher – ist das Prinzip einmal durchschaut, streift man neugierig, aber längst nicht mehr betroffen durch die Gänge (ein Effekt, den auch das – ungleich vielschichtigere – Berliner Holocaust-Mahnmal kennt). „Merkt man es einem Raum an, wenn in ihm ein Mensch gelitten hat?“, hat sich Gregor Schneider gefragt, und versucht, die spurlose „Weiße Folter“ auf seine Art sichtbar zu machen. Doch für den Betrachter bleibt es bei der Rekonstruktion. Hier schreit kein Gefangener. Christina Tilmann
K21 Düsseldorf, bis 15. Juli. Katalog (Walther König), 25 €
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