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Der Antisemitismus und die Documenta: Alles von der Kunstfreiheit gedeckt?
Nach dem Documenta-Skandal: Der Antisemitismus muss in Zukunft auch im Grundgesetz ausdrücklich geächtet werden.
Stand:
Die Autorin ist Geschäftsführerin der Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz in Potsdam
Bildgewordener Judenhass und Hass gegenüber Israel, Teufel mit Schläfenlocken, blutunterlaufenen Augen und Haifischzähnen auf der Documenta: „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“, singt Danger Dan und meint das satirisch. In Wirklichkeit stellt sich die Frage, ob der Schutz der Kunstfreiheit von Artikel 5, Absatz 3 unseres Grundgesetzes auch für das Bild der Gruppe Taring Padi gilt?
Die Grenze der Kunstfreiheit sei überschritten, die antisemitische Bildsprache nicht akzeptabel, finden der Bundespräsident, der Bundeskanzler, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Viele andere fanden das nicht, als „legitimen Ausdruck imperialistischer Erfahrungen oder eben nur eine Karikatur“ ordnete Jörg Sperling, der ehemalige Vorsitzende des Documenta Forums, das Ganze ein. Das Documenta Forum distanzierte sich daraufhin von Sperling, er trat von seinem Posten zurück.
Nun, am Ende wurde das Bild abgehängt. Das ist eine politische und sicher die richtige Entscheidung – aber wie sieht es rechtlich aus? Jedes Mal eine schwer zu treffende Einzelabwägung. Inzwischen sind weitere Fälle hinzugekommen, so die Broschüre mit Bildern der algerischen Frauenbewegung.
Es bleibt die Frage, ob es auch eine sichere rechtliche Grundlage gibt, die erwartbar in diesem Fall und in künftigen ähnlich gelagerten Fällen greift.
Die Kunstfreiheit in Artikel 5, Absatz 3 ist ein starkes Grundrecht und keinem Gesetzesvorbehalt unterworfen. Um sie zu beschränken, bedarf es schon Angriffe auf die verfassungsrechtlich in Artikel 1 garantierte Menschenwürde. Bei einer Straftat nach § 130 des Strafgesetzbuches – Volksverhetzung – hat der Bundesgerichtshof im Fall eines rassistischen Rap- Songs das bejaht.
Es gibt keine gesetzlich verbindliche Definition
Auf den aktuellen Fall bezogen würde bei einer erfolgreichen Anklage wegen Volksverhetzung gegen die Künstler oder die Ausstellenden die Kunstfreiheit keinen Schutz bieten. Ob es zu diesem Verfahren kommt und wie es ausgeht, ist ungewiss; ein Strafverfahren sollte aber immer nur die Ultima Ratio sein, um Antisemitismus zu ahnden.
Besser wäre es natürlich gewesen, wenn die Verantwortlichen der Documenta sich im Vorhinein mit antisemitischen Inhalten befasst und sie als solche erkannt und benannt hätten. Das ist oft schwierig, weil es antisemitische Muster auch heute noch in der Gesellschaft gibt – und gleichzeitig die Scham über den Holocaust immer wieder eine schwer zu bewältigende emotionale Hürde darstellt, sich mit antisemitischen Inhalten zu beschäftigen.
Dabei gibt es den Antisemitismus schon viel länger, er ist ein uraltes Phänomen. Er führte in vorchristlicher Zeit zu Pogromen, war die ideologische Vorlage für die Shoah, tötet noch heute und delegitimiert die Demokratie mit ihren demokratischen Institutionen. Er ist schwer zu fassen und passt sich wie ein Chamäleon seiner zeitgeistlichen Umgebung an.
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Er kann auch im Gewand der kulturellen Freiheit und des Kampfes gegen Unterdrückung und für Menschenrechte erscheinen. Und er kann sich hinter Grundrechten wie der Kunst- und der Meinungsfreiheit verstecken.
Die „BDS-Resolution“ des Bundestags war in dem Sinn ein beeindruckendes, ja auch mutiges Bekenntnis gegen den Antisemitismus, der seine Israelfeindlichkeit hinter der Kunstfreiheit verbirgt. Rechtlich bindend wie eine gesetzliche Regelung ist sie jedoch nicht. Was zum Grundproblem führt: Es gibt keine gesetzlich verbindliche Definition und darüber hinaus wenig Rechtsprechung.
Es gibt die IHRA Definition zu Antisemitismus, und die ist hilfreich und gut, gleichwohl nicht justiziabel und immer wieder politisch umstritten. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben mit der Formulierung in Artikel 1 GG, dem Schutz der Menschenwürde, den Antisemitismus in seiner Komplexität nicht erfassen können.
Wie lässt sich Antisemitismus am besten bekämpfen
Denn er ist eine Weltanschauung, die Gewaltpotential entwickelt, weil sie immer wieder die Angst vor dem unsichtbaren und übermächtigen Bösen produziert, das bekämpft werden müsse.
Das bedeutet: Wir haben ein Regelungslücke. Antisemitismus bedroht unsere verfassungsgemäße Ordnung und unseren gesellschaftlichen Frieden. Doch um ihn wirksam zu bekämpfen, fehlt ein starken Anker in unserer Verfassung. Und leider ist er eben kein Problem, das sich im Laufe der Zeit verflüchtigt oder erledigt.
Deshalb das Plädoyer für eine Staatszielverpflichtung im Grundgesetz zur Antisemitismusprävention. Sie könnte vieles ändern. Was Antisemitismus sei und wie er zu bekämpfen ist, würde dann endgültig auch definitorische Aufgabe einer dynamischen Rechtsprechung werden.
Die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben ihre Verfassungen immerhin schon entsprechend geändert. Es wäre eine dauerhafte Verpflichtung für die staatliche Gewalt im Bund, die Gefahren des Antisemitismus im politischen und gesetzgeberischen Handeln mitzudenken und Gegenstrategien zu entwickeln; es wäre ein Auftrag, nachhaltig Aufklärung und offenen Diskurs zu organisieren, zumindest aber die Mittel dafür bereitzustellen. In Wissenschaft und Bildung ist das Thema auch noch immer unterbelichtet. Bilder auf einer Kunstausstellung abzuhängen, ist immer ein schwieriges Signal, das ungute Gefühle weckt, egal was darauf zu sehen ist.
Ein Verfassungsauftrag, der ausdrücklich Antisemitismus ächtet, hätte womöglich eine andere Sensibilität und Verantwortlichkeit bewirkt. So etwas geht nicht von heute auf morgen, aber dieser Anfang muss gemacht werden.
Danger Dans Song soll doch Wirklichkeit werden: „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.“
Disclaimer: In einer vorherigen Version war ein Zitat des ehemaligen Vorsitzenden des Documenta Forums genannt. Wir haben den Satz um die Information ergänzt, dass das Documenta Forum sich von Jörg Sperlings Aussage distanziert hat und er zurückgetreten ist.
Susanne Krause-Hinrichs
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