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Regiedebütant. Mit Puccinis „Turandot“ inszenierte der chinesische Konzeptkünstler 2022 in Rom seine erste Oper.

© Rise and shine cinema/Fabrizio Sansoni

Dokumentarfilm „Ai Weiweis Turandot“ : Im Land der Untertanen

Spricht vieles an, erhellt wenig: Der Dokumentarfilm „Ai Weiweis Turandot“ zeigt den chinesischen Künstler und Regimekritiker bei seiner ersten Opern-Regie.

Stand:

Live-Übertragungen aus Bayreuth oder der New Yorker Met erfreuen sich im Kino großer Beliebtheit. Da ist es kein Wunder, dass das Kino sich der Oper auch direkt annimmt, in nächster Zeit gleich doppelt, mit  „Ai Weiweis Turandot“ (ab 16.10.) und „La Scala – Die Macht des Schicksals“ ab 18.12..

Das Teatro dell‘ Opera in Rom hatte den chinesischen Exil-Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei 2018 für „Turandot“ engagiert, schließlich spielt Puccinis letzte Oper in China und handelt von Repression und Widerstand. Gleich zu Beginn verkündet der Mandarin von Peking, dass jeder Freier geköpft wird, der die Rätsel von Prinzessin Turandot nicht lösen kann. Wer etwas Falsches sagt, stirbt. Es ist ein Fremder, ein Flüchtling, Calàf aus Persien, der solcher Tyrannei ein Ende bereitet.

„I like trouble“, sagt der Künstler

Gegen Despotie, für die Meinungsfreiheit: Davon versteht Ai Weiwei einiges. 2011 wurde er vom chinesischen Geheimdienst ins Gefängnis verschleppt, 2015 verließ er das Land und lebt heute in Portugal. Seine politische Konzeptkunst ist von Installationen und theatraler Action geprägt. Von Oper versteht er nichts, sagt er im Film, mit Ausnahme eines Studentenjobs als Komparse in den 80ern in New York, ausgerechnet bei Zeffirellis „Turandot“. Aus der Zeit kennt er die Choreografin Chiang Ching, sie ist auch in Rom dabei.

Als er sich dem Opernteam vorstellt, fügt Ai Weiwei hinzu: „I like to do what I’m not good at. I like trouble“. Unsereins denkt da unweigerlich an seine harsche Deutschland-Kritik in den Berliner Exil-Jahren. Die hiesige Kultur sei intolerant, alles andere als offen, so sein Vorwurf.  

Entgegen seiner Ansage trägt Ai Weiwei mit der Oper als Institution jedoch keine Fehde aus. Der Film von Maxim Derevianko, der selbst aus einer russischen Tänzer- und Dissidentenfamilie stammt, erhellt vielmehr den gegenseitigen Respekt und die passionierte Zusammenarbeit mit den Gewerken, bis zum kollektiven Lockdown-Schock 2020 – die Produktion musste um zwei Jahre verschoben werden.

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Fast ehrfürchtig nähert sich die Kamera dem Künstler und seiner Arbeit, schwelgt angesichts der opulenten Ausstattung, von der dreidimensionalen Weltkarte mit statuarischen Volksszenen bis zu den spektakulären Kostümen. Bevorzugtes Stilmittel: Slowmotion. Zudem richtet der Film den Fokus auf markige Statements, von Ai Weiwei selbst („Die Kunst konkurriert mit der Realität, die Kunst wird das letzte Wort haben“), dem Theaterdirektor („Turandots Rätsel sind die Zweifel des 20. Jahrhunderts“) oder dem Tenor Michael Fabiano, Darsteller des Calàf („Wenn die Meinungsfreiheit unterdrückt wird, sterben Menschen“).   

„Ai Weiweis Turandot“ spricht vieles an, erhellt aber wenig. Unentwegt hinterfragt Ai Weiwei, was Puccini mit der Gegenwart zu tun hat – als ob nicht jede Inszenierung eines Bühnenklassikers damit konfrontiert sei. Das Operndebüt des 68-Jährigen zitiert die Regenschirm-Proteste in Hongkong, betont die Willfährigkeit der Menschen in einer Diktatur, baut Flüchtlingsszenen und den Ukrainekrieg per Video ein. Wie genau sich all das mit Puccinis Musik verbindet, erfährt man nicht.

Trotz als Überlebensmittel der Kunst

Klar wird lediglich, dass Ai Weiwei im Prinzen sich selbst sieht, den unerschrockenen Freiheitskämpfer, was zahlreiche Rückblenden in seine weithin bekannte Dissidenten-Biografie untermauern. Corona nimmt Ai Weiwei persönlich, vergleichbar mit Chinas Schikanen gegen ihn. „Die Arbeit ist mein Zuhause, mit dem Lockdown bricht es zusammen“, sagt er – es folgen Aufnahmen vom staatlichen Abriss seines Pekinger Hauptateliers 2018. 

Der ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv, die den anfänglichen Maestro Alejo Pérez nach der Pandemie-Pause ablöst und zur Premiere im März 2022 ein Gürtelband in den Farben der ukrainischen Flagge trägt, bleibt es überlassen, konkret zu werden. In Puccinis Chören macht sie die manipulierte Masse aus, erklärt Details in bewegenden Worten und verkörpert jenen viel beschworenen Humanismus, den der Theaterchef Ai Weiwei zuschreibt.  

Puccinis Ringen mit dem Happy-End des Librettos, seine Zweifel an der Macht der Liebe werden mehrfach erwähnt – die Oper blieb unvollendet. Derevianko entscheidet sich gegen ein offenes Ende und beschließt den Film mit dem Schluss von Calàfs berühmter Arie „Nessun dorma“. „Vincerò!“, ich werde siegen: eine Triumphgeste.

Womöglich will er damit auf den Trotz als Überlebensmittel der Kunst abheben. Puccini war ratlos, Ai Weiwei ist es jedenfalls nicht.

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