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Entzauberter Investor. Nicolas Berggruen auf einer Karstadt-Demonstration.

© picture alliance / dpa

Nicolas Berggruen und Karstadt: Der Fall des Messias

Nicolas Berggruen galt in der Karstadt-Krise als Retter. Sein jungenhafter Charme garantierte ihm eine Publicity, die deutsche Privatinvestoren sonst meiden. Er wurde zum Helden der Wirtschaftspresse – bis sie bemerkte, dass er „nur ein Investor“, tendenziell eine „Heuschrecke" ist. Michael Naumann blickt auf eine rätselhafte Verdammung.

Seit mehr als einem Jahrzehnt haben private Investoren aus den Vereinigten Staaten, Russland, den Emiraten oder Großbritannien hunderte Milliarden Dollar in Deutschland angelegt. Unter ihnen fanden sich „Heuschrecken“ wie der Investmentmanager Montgomery, der allerdings mit seinem Versuch scheiterte, einen deutschen Medienkonzern aufzubauen. Doch die meisten dieser Investitionen addierten sich zu sinnvollen Verstärkungen der deutschen Volkswirtschaft. Natürlich sollten sie Gewinne erzielen. Deutsche Großunternehmen und Investoren legten ihrerseits Milliarden Euro nicht nur in den USA, China oder Südamerika an. Nicht immer zu ihrem Vorteil, wie der Fall Thyssen-Krupp in Brasilien belegt – Riesenverluste eines Stahlwerks mitsamt dazugehörigen Entlassungen waren die Folgen. Vor den Essener und Duisburger Toren des Konzerns sah man allerdings keine IG-Metall-Demo für ihre brasilianischen Kollegen. Die heftigsten Demonstrationen beschränkten sich auf die Proteste der Kleinanleger des Konzerns.

Als der Amerikaner mit deutschem Pass, Nicolas Berggruen, 2010 die Karstadt Warenhaus GmbH für einen Symbolpreis nebst einer Kreditgewährung von über 60 Millionen Euro kaufte, war die Warenhauskette der Muttergesellschaft Arcandor pleite. Vor einem Kölner Gericht werden immer noch Vorwürfe wegen sogenannter „Pflichtverletzungen“ des Arcandor-Managements verhandelt.

Nicolas Berggruen wurde in der Öffentlichkeit wie der sprichwörtliche reiche Onkel aus Amerika begrüßt. Sein Vater, der Kunstsammler und Remigrant Heinz Berggruen, hatte Berlins Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2000 seine eminente Sammlung klassischer Moderne zu einem Viertel ihres damaligen Schätzpreises überlassen. Der Charme des jungenhaft wirkenden Sohns garantierte ihm eine Publicity, die deutsche Privatinvestoren sonst meiden. Er wurde zum Helden der Wirtschaftspresse – bis sie bemerkte, dass er, um Gottes willen, „nur ein Investor ist“, tendenziell eine „Heuschrecke“.

Die schwer angeschlagene Warenhauskette war nach dreijähriger Sanierungsphase wie der ganze deutsche Einzelhandel in die nächste Krise geraten, und nun sei es an Berggruen persönlich, in die 114 Waren- und Sporthäuser, die 2011/12 einen Verlust von knapp 250 Millionen bilanzierten, zu re-investieren. Gefragt ist „frisches Geld aus der Kasse des immer wieder als „Milliardär“ vorgestellten ehemaligen Heilsbringers. Die FAZ rief ihm zu, er könne nicht „im Dunkeln tun und lassen, was er will“. Das verwunderte ihn; Karstadt, so musste er feststellen, „scheint den Deutschen zu gehören“, wie einst die Marke Löwenbräu den Bayern. Was ja historisch nicht ganz falsch ist, da nach 1933 dem gesamten deutsch-jüdischen Spitzenmanagement der Warenhauskette gekündigt wurde, von der Arisierung des Eigentums jüdischer Grundbesitz-Kommanditisten der AG ganz abgesehen. Ja, 1945 war Karstadt „judenfrei“.

Als Berggruens Karstadt-Vorstand Andrew Jennings (der zum Jahresende aufhört) ankündigte, den Tarifvertrag der Angestellten für zwei Jahre auszusetzen, weil der Konzern sonst in finanzielle Schieflage geraten könnte, fuhr Berggruens Publicity-Aufzug in den Keller. Als hätte es ähnlich schmerzliche Rettungsaktionen hierzulande nie zuvor gegeben, Kurzarbeit inklusive. Plötzlich figurierte der Investor als „entzaubert“ – als wohnte dem Kapitalismus a priori ein Zauber inne.

Berggruens politischer Aktivismus (er finanziert nach amerikanischer Manier einen Think Tank) geriet ihm zum Vorwurf. Der Think Tank scheint eine Konsequenz seiner Erfahrungen mit dem völlig entgleisten demokratischen Prozess in seiner hoch verschuldeten Heimat Kalifornien zu sein. Berggruens ungewöhnliche Art, nur in Hotels zu wohnen, das zweifellos komplexe Labyrinth seiner Firmenkonstruktion – dies alles reichte hin, um aus der Lichtgestalt einen Beelzebub zu machen. Irgendetwas muss es schon sein, das er falsch macht. Zum Beispiel, dass er den Tarifvertrag nicht automatisch verlängert, auch wenn bei einer Verlängerung wohl eine Reihe von Warenhäusern schließen müsste. Soll er der Gewerkschaft Verdi dann die Entscheidung überlassen, welche es sein sollen? Und wie würde Verdi reagieren, käme es zu einer Fusion mit der stabileren Kaufhof-Gruppe? Wie viele der 20 000 Karstadt-Arbeitsplätze blieben dann übrig?

Nicolas Berggruen und seine gesamte Familie haben dem erweiterten Berliner Berggruen-Museum in Charlottenburg Dutzende bedeutende Kunstwerke der klassischen Moderne als Leihgabe überlassen. Dem „Spiegel“ missfällt das, und er spekuliert über verdeckte Raffgier: „Ihre Werke werden gut gepflegt, kunsthistorisch aufgearbeitet und wie nebenbei wirkt sich die museale Umgebung außerordentlich wertsteigernd aus.“ Ein billiges, sinnloses Argument: Die großen deutschen Museen haben minimale Anschaffungsetats und glänzen alle auch dank privater Leihgaben. Und was die Wertsteigerung betrifft, gehorcht der Kunstmarkt anderen, bisweilen bizarren Gesetzen als den Klischees der guten alten Kapitalistenschelte. Dass eine ganze Familie in Sippenhaft wegen der Karstadt-Krise genommen wird, ist ein anderes Kapitel.

Als sich kürzlich vor dem Museum eine Verdi-Demonstration einfand, um Nicolas Berggruen zur Rede zu stellen (und er stellte sich zur Rede), rief ein junger Demonstrant „Kunst für alle!“ Befragt, ob er schon einmal in dem Museum gewesen sei, schüttelte er den Kopf. Den Berggruen-Kritikern sei ein Besuch empfohlen. Sie werden sich wundern – vielleicht sogar über sich selbst. Dazu sind Museen schließlich auch da.

Michael Naumann, 71, ist Verleger, Publizist und Politiker. Von 1998 bis 2001 war er Deutschlands erster Kulturstaatsminister. Er ist Direktor der gerade entstehenden Berliner Barenboim-Said-Akademie.

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