
© X Verleih AG/Frédéric Batier
„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ im Kino: Der Mann an der Schiene der Geschichte
„Good Bye, Lenin!“-Regisseur Wolfgang Becker hat kurz vor seinem Tod erneut eine Ost-Berlin-Komödie mit Herz gedreht. Charly Hübner spielt einen S-Bahner, der zum Republikfluchthelden wider Willen wird.
Stand:
Schau mal an, wie geschwind Micha Hartung nach dem ersten Zögern und Sträuben dann doch die Heldenrolle übernimmt. „Das ist ja hier heller als auf dem Todesstreifen“, kalauert er, als er sich neben Talkgast Kati Witt unter rauschendem Publikumsapplaus bei „Mona am Abend“ auf die Couch des Fernsehstudios fallen lässt.
Vor ein paar Tagen, da ist der Bademantel-Schluffi, den Charly Hübner als knuffigen Loser vom Prenzlauer Berg darstellt, nichts weiter als ein heruntergerockter Videothekar. Doch dann treibt ein windiger Journalist (Leon Ullrich) den einstigen stellvertretenden Stellwerksmeister vom Bahnhof Friedrichstraße wieder auf.
Der Mann vom „Fakt“-Magazin braucht für eine Sonderausgabe zum 30. Jahrestag des Mauerfalls dringend eine heiße Story. Und da war doch in einer Nacht im Juni 1984 diese seltsame Geschichte, als eine Ost-Berliner S-Bahn, besetzt mit 127 Leuten, in den Westen geleitet wurde.
Republikflucht per Weichenstörung? Mehr braucht es nicht. Die Medienmaschine rollt an, und Hartung, der damals nur zwei Tage im Stasi-Gefängnis zwecks Befragung verbracht hat, findet sich in den Worten des „Fakt“-Chefredakteurs als „ostdeutscher Oskar Schindler“ auf dem Magazin-Cover wieder. Ein Ruhm, der ihm sogar die zarte Bekanntschaft mit einer schicken Staatsanwältin Paula Kurz (Christiane Paul) einbringt, die sich bei dem „Helden vom Bahnhof Friedrichstraße“ bedanken will.

© X Verleih AG/Frédéric Batier
Mit der gleichnamigen Romanvorlage von Maxim Leo hat Wolfgang Becker den idealen Stoff für seinen letzten Film gefunden.
Wolfgang Becker, das war ein westdeutscher Menschenfreund mit feinem Gespür für ostdeutsche Identität und das Berliner Wendezeitgefühl. Auch für die Ostalgie oder besser für die Erinnerungen, die jedes Leben als Gewebe aus Gefühlen, Dingen, Ereignissen, Klängen, Gerüchen unterfüttern und jedem Menschen seine eigene Wahrheit einschreiben, die mit historischen Fakten wenig zu tun hat.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Dieser Regisseur Wolfgang Becker, aus dessen schmalem Werk die Tragikomödie „Good Bye, Lenin!“ von 2003 wie ein Monolith mit 6,3 Millionen Kinozuschauern und unzähligen internationalen Preisen herausragt, hat seinen letzten Film gerade noch abdrehen können, bevor er im Dezember vor einem Jahr mit 70 Jahren starb.
Die Postproduktion haben Regisseur Achim von Borries und Produzent Stefan Arndt von der Firma X-Filme gestemmt, die Becker einst gemeinsam mit Tom Tykwer, Dani Levy und Arndt gegründet hat.

© X Verleih AG/Frédéric Batier
Mit „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ knüpft Becker aus der Gegenwart in die DDR zurückblickend an „Good Bye, Lenin!“ an, nur dass die Story dieses „ersten witzigen Films aus Deutschland seit einem Jahrhundert“, wie damals eine britische Zeitung über den Geniestreich schrieb, ungleich irrer und tragischer war. Ein Sohn reinszeniert aus Liebe zur todkranken Mutter die untergegangene DDR: so einen Plot gibt es kein zweites Mal.

© X Verleih AG/Frédéric Batier
Aber die tiefe Zuneigung zu den Charakteren, die von Micha Hartungs Tochter (Leonie Benesch) bis zum ewigen Dissidenten Harald Wischnewsky (Thorsten Merten) reicht, der es nicht erträgt, dass Micha Hartung statt seiner zum Mauerfall im Bundestag reden soll, die ist in „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ genauso ausgeprägt.

© X Verleih AG/Frédéric Batier
Klar, dass Michas Kleine-Leute-Nachbarschaft samt und sonders aus herzlichen Menschen besteht, die sich – wie er selber – gegen den Gentrifizierungsdruck stemmen und dabei zusammenhalten. Andererseits sehen die Gesichter der Ost-Berliner im S-Bahn-Waggon der Achtziger derartig steinern und grau aus, dass man von keiner DDR-Romantik reden kann.

© X Verleih AG/Frédéric Batier
Die märchenhafte Aura, die über dieser herzerwärmenden Komödie liegt, hat auch etwas mit dem All-Star-Ensemble aus Becker-Schützlingen zu tun, die wie Daniel Brühl und Jürgen Vogel ihrem alten Mentor zu Ehren in Nebenrollen auftreten.
Damals haben Vogel und Paul in „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997) und Brühl in „Good Bye, Lenin!“ Berliner Wendezeit-Bilder für die Ewigkeit geschaffen. Jetzt laufen der stämmige Charly Hübner und die dünne Christiane Paul am S-Bahnhof Friedrichstraße über die Spree, und man registriert das Vergehen der Zeit: in Pauls fein gefältelten Gesichtszügen, in der Szenerie.
„Geschichte ist die Lüge, auf die sich alle geeinigt haben“, heißt es in Wolfgang Beckers vermeintlichem Heldenepos, das mit Witz und Sentiment das Lied des imperfekten Menschseins singt. Das Lied der Außenseiter und hartnäckigen Beharrer, die im Kino schon immer so selbstverständlich einen Platz gefunden haben, wie es die Filmklassiker in Micha Hartungs rumpeligem Laden tun.
Und so ist Wolfgang Beckers letzter Film auch eine Hommage an das Kino an sich, wo sich hinter den Kulissen die Filmfamilie um einen todkranken Regisseur schart, der in einer Cameo-Rolle als trotteliger Agent im Auto hockt, beim Observieren dilettiert und aus dem Lippenlesen eine Stille-Post-Quatsch-Nummer macht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false