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Zufallsbekanntschaft: Die der Schauspielerin Kilsoo (Kim Minhee, von links), die Schriftstellerin Junhee (Lee Hyeyoung) und der junge Dichter (Ha Seongguk).

© Foto: Grandfilm

Der koreanische Kultregisseur Hong Sangsoo: Dieser lächerliche Ernst

Der Minimalist Hong Sangsoo ist ein Meister der subtilen Beobachtung. Mit „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ verfeinert er sein Kino.

Treffen sich eine Schriftstellerin, die nicht mehr schreibt, eine bekannte Schauspielerin, die nicht mehr spielt, eine Autorin, die jetzt Buchhändlerin ist, und eine Studentin der Gebärdensprache in einem Vorort von Seoul. Hinzu kommen: ein ehemals getriebener Filmregisseur, der es inzwischen entspannter (oder bequemer) angeht, und seine Frau, der filmstudierende Neffe der Schauspielerin und ein Dichter. Die Orte: eine Buchhandlung, ein Aussichtsturm ohne Aussicht, ein Park, ein Tteokbokki-Restaurant und ein Kino. Die Handlung: Reden und Trinken.

In den Wiederholungen entstehen erst die Nuancen

Inhaltsangaben zu Filmen des Koreaners Hong Sangsoo lesen sich immer ein wenig wie Additionsgleichungen. Oder auch wie Zutatenlisten von Kochrezepten. Von Film zu Film variieren die Elemente nur minimal, doch in der Wiederholung entstehen Nuancen, die in ihrer Gesamtheit erst den Reichtum des Hong’schen Werks ausmachen. Das ist auch in „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“, seinem mittlerweile 27. Spielfilm, nicht anders.

„Ist das nicht zu gewöhnlich? Wo bleibt die Spannung?“, fragt der Dichter, als die Schriftstellerin Junhee (Lee Hyeyoung) die Geschichte ihres Filmvorhabens in einer Trinkrunde skizziert. Zuvor hat sie der Schauspielerin Kilsoo (Kim Minhee), die sie spontan für eine Zusammenarbeit gewinnen möchte, die Idee für ihren ersten Kurzfilm so erklärt: „Ganz locker aus der Nähe mit einer Digitalkamera. Alle Elemente müssen zusammenpassen. Am wichtigsten ist jemand, den ich frei betrachten, beobachten und fühlen kann. Die Kamera hält alles fest, was die Schauspielerin dann zeigt.“ Womit in Grundzügen auch Hongs Kino beschrieben wäre.

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Fluchtbewegungen als Ausgangspunkt zufälliger Begegnungen sind charakteristisch für Hong. Im aktuellen Film, der in so gleißend überbelichteten Schwarz-Weiß-Bildern gedreht ist, dass es fast wie ein schöner Unfall aussieht, gelten sie nicht den Männern, sondern der Routine und einer bestimmten Idee von Professionalität. Sie habe ihre Kraft zu schreiben verloren, bekennt Junhee gegenüber Kilsoo, mit der sie sich unmittelbar verbunden sieht. Es fühle sich übertrieben an, belastend und peinlich, als müsste sie jeder Kleinigkeit Bedeutung verleihen.

Was diese Frauenfiguren verbindet, ist die Suche nach einfacheren Formen des Lebens und des künstlerischen Ausdrucks. Sewon (Seo Younghwa), die Buchhändlerin, hat genug von lästigen Menschen und „Pflichtlektüren“, sie will nur noch lesen, was ihr gefällt. Kilsoo macht lieber lange Spaziergänge im Park, als vor der Kamera zu stehen. Allein der Filmemacher Hyojin (Park Miso) kapiert nichts und spricht von ungenutztem Talent und verpassten Momenten. Junhee wird daraufhin richtig laut. Etwas schade zu finden, impliziere, dass sie etwas falsch mache – „Sie ist doch kein kleines Kind. Jeder bestimmt sein Leben selbst!“

Ihre Empörung mag auch damit zu tun haben, dass der Regisseur vor einigen Jahren die Verfilmung eines ihrer Bücher hat platzen lassen. Und auch in der Wiederbegegnung mit Sewon stecken Altlasten. Dass sich die Anwesenden ständig als Fans ihrer Bücher zu erkennen geben und nicht müde werden, ihr „Charisma“ zu bescheinigen, macht die Situation nicht besser. Wie in Hongs Filmen üblich stehen die Sprechakte bald unter Einfluss von Alkohol.

Die bekannte Schauspielerin Kilsoo (Kim Minhee) will keine Filme mehr drehen.
Die bekannte Schauspielerin Kilsoo (Kim Minhee) will keine Filme mehr drehen.

© Foto: Grandfilm

In seinem Buch „Hong Sangsoo. Das lächerliche Ernste“, das zeitgleich zum Kinostart erscheint, macht der Berliner Filmwissenschaftler Sulgi Lie in Hongs Werk einen gedoppelten Affekt aus, den er als „das lächerliche Ernste“ bezeichnet. Der feine, vom Wiener Verlag Le Studio Film und Bühne herausgegebene Band ist die erste deutschsprachige Publikation zu Hong und ein Close Reading seines Werks mit dem Instrumentarium von Filmgeschichte, Theorie und Popkultur. Referenzen zu Rohmer, Buñuel und Renoir werden ebenso herangezogen wie die Lacan’sche Psychoanalyse und die Pet Shop Boys.

In den Kinos City Kino Wedding, Filmrauschpalast, fsk, Wolf (OmU). Das Buch „Hong Sangsoo. Das lächerliche Ernste“ von Sulgi Lie ist im Verlag Le Studio Film und Bühne, Wien, erschienen.

Ausgiebig widmet sich der Autor dem Verhältnis von Alkohol und Sprache beziehungsweise deren Inszenierung. Nach Lie speist sich das Bedürfnis zum Trinken „aus einem epistemologischen Zweifel an der transparenten Kausalverbindung von Sprache und Psyche, von Worten und Gefühlen, von Laut und Bedeutung, deren endgültiges Auseinanderbrechen der Alkohol für einen kurzen Moment verhindern soll“.

Auch in „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ bringen Enttäuschung und Neid, aber auch Unverständnis die Sprache ins Stocken, geraten Signifikat und Signifikant auf asynchrone Spuren. Nicht von ungefähr stellt sich ein seltener Moment des Gleichklangs beim Sprechen stummer Sprache ein. Junhee lässt sich von der Gebärdensprachenstudentin einen Satz übersetzen. Fasziniert imitiert sie die öffnenden, schließenden und kreisenden Handbewegungen immer wieder, bis auch Sewon darin einstimmt.

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