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Kultur: Der Künstler und die Köpfe der Partei

Die Kunst der russisch-sowjetischen Avantgarde bietet ein offenbar unerschöpfliches Themenreservoir.Immer noch gibt es offene Fragen an die kunsthistorische Forschung.

Die Kunst der russisch-sowjetischen Avantgarde bietet ein offenbar unerschöpfliches Themenreservoir.Immer noch gibt es offene Fragen an die kunsthistorische Forschung.So darf auch von den beiden parallelen Ausstellungen des Hannoveraner Sprengel Museums, "El Lissitzky.Jenseits der Abstraktion" sowie "Alexander Rodtschenko.Das Neue Moskau", gesagt werden, nicht bloße Aufbereitungen des Materials zu sein, wie es in den vergangenen zwei Jahrzehnten bei zahlreiche Ausstellungen gezeigt wurde, sondern den Kenntnisstand neuerlich zu bereichern - zum einen durch vielfach noch unbekannte Arbeiten, zum anderen durch sorgfältige Kataloge.

Hannover ist biografisch aufs Engste mit El Lissitzky verbunden, der in der Leinestadt 1923 seine erste Einzelausstellung hatte - in der Kestner-Gesellschaft, deren Leiterin Sophie Küppers seine Lebensgefährtin wurde.Hannover bildete das Zentrum der Beziehungen Lissitzkys zu Deutschland, wo er mit Besuchen, Ausstellungen und innenarchitektonischen Arbeiten in Berlin, Düsseldorf, Dresden und Köln seine wohl glücklichsten Zeiten als Künstler erlebte.

Diese Begegnungen sind wohlbekannt und durch entsprechende Ausstellungen erschlossen; zuletzt beherbergte das Hannoveraner Haus vor genau zehn Jahren die bislang überhaupt umfangreichste Retrospektive des 1890 geborenen und 1941 nach lange ertragener - und unseligerweise in Hannover infizierter - Tuberkolose verstorbenen Künstlers.Lissitzky scheint auf den ersten Blick das Avantgarde-Ideal des gattungsübergreifend arbeitenden Multitalents zu erfüllen.Tatsächlich hat er in Malerei, Ausstellungsdesign, Typographie, Fotomontage und Buchgestaltung gearbeitet.Indessen folgen in seinem Leben freie und angewandte Kunst aufeinander.Bei seiner Rückkehr nach Moskau 1925 stellte Lissitzky nüchtern fest: "Die ekstatische Zeit der Revolution ist vorbei.Jetzt ist der Arbeitstag."

Diesen Satz hat Margarita Tupitsyn, die in New York lebende und aus Rußland stammende Gastkuratorin der Ausstellung, ernst genommen und sich auf die Jahre nach den künstlerischen Experimenten konzentriert.Nicht, daß diese 16 Jahre im Leben Lissitzkys in den bisherigen Ausstellungen seines umfangreichen µuvres nicht dargestellt worden wären; nur gewinnen die gebrauchskünstlerischen Arbeiten jetzt eine andere Bedeutung, da sie für sich alleine gezeigt werden.Denn ungleich stärker als in den Retrospektiven kommt das politische Moment zum Vorschein.Lisstzky arbeitete in der Sowjetunion nicht länger in einem künstlerischen Freiraum.Im Gegenteil; die Notwendigkeit, den eigenen Lebensunterhalt - und nachdem Sophie Küppers nach Moskau übersiedelt war, den einer ganzen Familie - zu verdienen auf der einen und der Zwang, politisch Stellung zu nehmen, auf der anderen Seite steckten den Rahmen seiner Möglichkeiten ab.Während in Ausstellungen der jüngsten Zeit - insbesondere solchen unter Beteiligung russischer Museen - verstärkt die Tendenz zu beobachten ist, die "kreative" Phase der Avantgarde ganz in die vorrevolutionäre Zeit vor 1917 zu verlegen und der Frage der politischen Verstrickung bequem auszuweichen, richtet die Hannoveraner Ausstellung, richten beide Ausstellungen den Blick genau auf diese Zeit des unaufhaltsamen Aufstiegs Stalins zur Alleinherrschaft.Denn auch der zweite Künstler, der wie Lissitzky gattungsübergreifend arbeitende Alexander Rodtschenko, geht den Weg von der freien zur angewandten Kunst, in seinem Falle insbesondere der Fotografie.

Es wäre ein glückliches Zusammentreffen gewesen, hätte das Hannoveraner Museum die entsprechenden Passagen aus der Rodtschenko-Retrospektive zeigen können, die vom New Yorker Museum of Modern Art erarbeitet wurde und eben noch in der Düsseldorfer Kunsthalle zu sehen ist (bis 24.Januar).Denn Lissitzky und der ein Jahr jüngere Rodtschenko begegnen einander in der Arbeit für die aufwendige, in vier Sprachen publizierte Propagandazeitschrift "SSSR na strojke" ("USSR im Bau"), die der Selbstdarstellung des Stalin-Regimes gerade auch im Ausland gewidmet ist.Der Fotoreportage Rodtschenkos über den Bau des Weißmeerkanals - tatsächlich des ersten Großprojekts des GULAG-Systems, einschließlich der schätzungsweise 200 000 Toten - geht Lissitzkys Gestaltung der Ausgabe über den Dnjepr-Staudamm von 1932 um ein Jahr voran.Die Hannoveraner Ausstellung zeigt den "anderen" Rodtschenko: den des 1933 abgelehnten Buchprojekts "Das Neue Moskau", dessen über Jahre hinweg gefertigte Aufnahmen hier erstmals zur Gänze gezeigt werden.Rodtschenko durfte die betont modernistisch gehaltenen Aufnahmen eines in Wirklichkeit noch wenig modernen Moskau nicht mehr veröffentlichen.Stattdessen bekam er, nachdem das freie Fotografieren 1933 verboten worden war, vom Regime die Themen zugewiesen.Seinen Lebensunterhalt sicherte fortan die Arbeit für die mit dem sowjetischen Kriegseintritt 1941 eingestellte Zeitschrift "USSR im Bau".

Deren verantwortlicher Gestalter war El Lissitzky erstmals 1932 mit dem Auftrag für die Ausgabe zum "Dnjepr-Staudamm" geworden.Allein schon sein ständig schwankender Gesundheitszustand zwang den Künstler zur bereitwilligen Ausführung der offiziellen Aufträge, vergeben vom allumspannenden "Staatsverlag der Künste".Doch den "Arbeitstag", wie Lissitzky 1925 die unter Stalins wachsender Herrschaft mögliche Tätigkeit umschrieben hatte, stellte zugleich das ursprüngliche Ziel der konstruktivistischen und "produktivistischen" Avantgarde-Künstler dar.Beide, Lissitzky wie Rodtschenko, hatten sich Mitte der zwanziger Jahre von der freien Kunst verabschiedet - und vom individualistischen Künstlertum.Beide, Lissitzky stärker noch als Rodtschenko, redeten der kollektiven Arbeit für die neue Gesellschaft das Wort.Die Arbeit an "USSR im Bau" wie an zahlreichen weiteren, meist sehr aufwendigen Vorhaben der Regimepropaganda bot das Modell einer solchen kollektiven Anstrengung.

Die Frage der "Anleitung" und "Kontrolle" durch Parteikader stellte sich als solche nicht.Die Avantgarde war auf Gedeih und Verderb in den unauflöslichen Zusammenhang von Inhalt und Form eingebunden, der die künstlerische Tätigkeit unter Stalin zur Illustration jeweils geltender Parolen stempelte.Die in Hannover gezeigten Fotogafien, Skizzen und fertigen Buchprodukte Lissitzkys zeigen, wie genau der Künstler die herrschende Lage wittern mußte, um Mitte der dreißiger Jahre dem Terror der "Großen Säuberungen" zu entgehen, dem zahlreiche Künstlerkollegen zum Opfer fielen - wie der gleichfalls als Plakatgestalter und Fotomonteur tätige Gustav Klucis, der, obwohl überzeugter Stalinist, 1938 als "lettischer Faschist" denunziert und erschossen wurde.

Lissitzky gebrauchte die zuerst wohl in Deutschland gesehene Technik der Fotomontage nach Jahren der Kreativität in zunehmend einfallsloserer Weise: Es galt, die "richtigen" Funktionärs-Köpfe zu kombinieren, im richtigen Maßstab und in der parteioffiziellen Zuordnung, und nicht, neuartige Bildschöpfungen hervorzubringen.Richtig ist zugleich, daß Lissitzky bis zum Tode vermochte, seine "Handschrift" zu bewahren.Noch die allerletzte Arbeit, der Plakatentwurf "Produziert mehr Panzer" von Ende 1941, läßt das Pathos des Konstruktiven erkennen, in dem die neuen Gesellschaft im kühnen Zusammenwirken von Fotografie und Typografie Ausdruck finden sollte.

Es ist das Verdienst der Hannoveraner Ausstellungen und ihrer vorzüglichen Kataloge, diesen schmerzlichen Zusammenhang zwischen künstlerischer Avantgarde und politischer Indienstnahme, aber auch unabwendbarer Verstrickung aufzuzeigen, ohne die so entstandenen Arbeiten zu denunzieren.Daß es unter totalitärer Herrschaft auf Dauer keine Kunst außerhalb des Systems geben kann, ist keine neue Erkenntnis.Sie aber an einem großartigen Kapitel der Geschichte der Moderne aufzuzeigen, ist im Sprengel Museum eindrucksvoll gelungen.

Hannover, Sprengel Museum, Kurt-Schwitters-Platz, bis 5.April.Kataloge im Verlag Schirmer / Mosel, München: Lissitzky 58 DM, im Buchhandel geb.128 DM, Rodtschenko 35 DM, im Buchhdl.geb.98 DM.

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