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Kultur: Der Stadttheoretiker

Ein Kämpfer für die DDR-Moderne wird 80: Universität der Künste würdigt Bruno Flierl

Wer sich in Berlin für Architektur und Städtebau interessiert, kennt ihn. Sein dichter grauer Haarschopf fällt im größten Getümmel auf. Wenn er seine Stimme erhebt, hört man hin. Bruno Flierl ist einer der profiliertesten Architekturkritiker und Theoretiker, die Berlin zu bieten hat. Zudem der Einzige seiner Generation, der spezifisch ostdeutsche Erfahrungen und Ansichten formuliert. Heute feiert er seinen 80. Geburtstag.

Nach Fronteinsatz und Kriegsgefangenschaft verschlug es den gebürtigen Schlesier nach West-Berlin. Ab 1948 studierte er Architektur, zunächst an der heutigen Universität der Künste, schließlich 1953 an der Hochschule für Architektur im thüringischen Weimar. Da hatte der Sohn eines links eingestellten Architekten schon die politische Seite gewechselt. Der Karriere im Wirtschaftswunderland zog Flierl 1952 eine Stelle an der Deutschen Bauakademie in Ost-Berlin vor. Nicht Bauen fürs Hier und Jetzt, sondern Forschen für eine bessere Zukunft.

Dass Zukunftsprognosen in der DDR ein Politikum waren, hat Flierl schmerzlich erfahren. Den Chefredakteursposten der Ost-Berliner Zeitschrift „Deutsche Architektur“, den er Anfang der sechziger Jahre zweieinhalb Jahre lang inne hatte, musste er räumen, weil der überzeugte Marxist die Verheißungen des Sozialismus zu wörtlich nahm. Zurückgekehrt an die Bauakademie, dem zentralen Forschungsinstitut für Architektur und Städtebau in der DDR, und später als Dozent der Humboldt-Universität musste er mitansehen, wie seine Studien und Aufsätze nur in Kleinstauflagen publiziert wurden oder gleich ganz in den Schubladen verschwanden.

Die Themen von damals bewegen Flierl bis heute: Architektur als räumlicher Ausdruck gesellschaftlicher Verfassung, die Verbindung von bildender Kunst und Architektur, und, ganz konkret: Stadtplanung im Ost-Berliner Zentrum zwischen Pariser Platz und KarlMarx-Allee. Seit den Achtzigern kamen Studien zu postmoderner Architektur und Hochhäusern hinzu. Seine Manuskripte und Notizen hat Flierl im Oktober 2006 gestiftet. Als „Archiv Bruno Flierl“ stehen sie künftig der Forschung offen: in der Berliner UdK, der Bauhaus-Universität Weimar und dem Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner. Gestern wurde das Archiv in der Universität der Künste präsentiert.

Und monatlich kommt neues Material hinzu. Seit dem Mauerfall versucht Flierl unermüdlich, westlich sozialisierten Kollegen und Politikern die DDR-Moderne nahezubringen: in Diskussionen, Zeitungsartikeln, Gutachten und Vorträgen. Nicht immer erfolgreich: Die Entscheidung für den Abriss des Palastes der Republik, gegen die er sich als Mitglied der „Expertenkommission Historische Mitte“ gestemmt hat, empfand der Vater des bis vor kurzem amtierenden Kultursenators als persönliche Niederlage.

Dass Flierl trotzdem nicht verstummt ist, verdankt sich einer Weltsicht, die Ernst Bloch als „Prinzip Hoffnung“ beschrieben hat. Der Mut zum utopischen Denken, die Lust am dialektischen Argumentieren, die Westler oft verblüfft, hat Flierl lebenslang kultiviert. Man muss seine politischen Auffassungen nicht teilen, um ihm zu dieser Lebensleistung zu gratulieren.

Buchempfehlung: Bruno Flierl, Kritisch Denken für Architektur und Gesellschaft. Arbeitsbiografie und Werkdokumentation 1948-2006, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner 2007, 14 Euro.

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