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Wo das Walherz schlägt. Installation von Michael Stevenson.

© Frank Sperling

Michael Stevenson in Berlin: Der Teufel steckt hinter der Tür

Der Konzeptkünstler Michael Stevenson spürt mit seiner Kunst der Verbindung der Dinge nach. Die Kunst-Werke widmen ihm eine Retrospektive.

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Die Struktur eines Walfisch-Bauchs soll die Ausstellung von Michael Stevenson in der Kunst-Werken haben. Natürlich gleichen die Räume und Kabinette nur im übertragenen Sinne den Magenkammern des größten Säugetiers. Folien markieren das Gedärm mit seinen Aus- und Einstülpungen, durch die der Besucher mäandert. Steckt also das Herz des Wals im aufblasbaren Separee des ersten Saals, in dem sechs Computerspiele gegeneinander kämpfen?

Bei Michael Stevenson ist gewöhnlich alles mit Bedeutung aufgeladen und technisch erklärbar. Bei der Wal-Metapher bleibt er jedoch im poetischen Ungefähr. Sonst geht er den Dingen auf den Grund und baut sie in komplexen Installationen wieder zu einer anschaulichen Darstellung manchmal kruder Lebenswirklichkeiten zusammen. Von den sechs Computerspielen führt ein Elektrokabel in den nächsten Raum mit einer Tür mittendrin, die der Besucher durchschreiten darf.

Ob er nun am Türgriff ziehen oder ihn drücken muss, um sie aufzukriegen, das hängt von den ausgesendeten Impulsen der Computerspiele ab. Der aus Panama stammende Mathematiker José de Jesús Martínez glaubte allen Ernstes, dass die Verwechslung der Öffnungsrichtung und der darauffolgende Widerstand die Existenz des Teufels beweise. Stevenson setzt ihm ein kleines Denkmal, indem er ihn nach allen Regeln der Kunst ausspielt.

Doch nicht irgendeine Tür hat der Neuseeländer, der seit 21 Jahren in Berlin lebt, zur Veranschaulichung genommen, sondern jene weiß verleimten Türblätter, die bei Amazon aus Gründen der Sparsamkeit als Tische benutzt werden. Stevensons Türdrücker ist in Wirklichkeit der Metallwinkel, mit dem bei dem Online-Versandhändler die Tischbeine an der Holzplatte befestigt sind.

Es war höchste Zeit, dass eine Berliner Institution sich ihm widmet

Alles hängt mit allem zusammen, zumindest gibt es irgendwo eine Verbindung. Das ist der Leitgedanke im Werk von Michael Stevenson, der vor exakt 20 Jahren seine letzte Ausstellung in Berlin hatte, in der Galerie von Michael Kapinos. „Ich bin ein Überlebender“, sagt der Künstler mit einem Grinsen, der von seiner Wahlheimat aus Biennalen und Ausstellungen in der ganzen Welt beschickt.

2003 repräsentierte er auf der Biennale di Venezia sein Land, das erstmals überhaupt vertreten war. Höchste Zeit, dass eine Berliner Institution sich ihm widmet. Die Retrospektive in den Kunst-Werken fügt Malerei aus seiner Frühzeit mit aktuellen Arbeiten zusammen.

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Kein Problem – im Magen mischt sich ohnehin alles miteinander. Da hängen Bilder noch aus Studienzeiten an der Akademie in Auckland nicht weit von einem Riesenscheck, wie er bei TV-Sendungen im Anschluss an eine Fernsehspendengala überreicht wird. Rund zwei Millionen Dollar gingen demnach an die „Mental Health Foundation“ von Neuseeland.

Stevenson faszinieren Koinzidenzen

Doch auch da gibt es eine Verbindung: Stevenson ließ sich als Kunststudent von dem US-Maler Philipp Guston inspirieren, wie zu erkennen ist. Der wiederum hatte gleich neben seinem Studio einen TV-Raum mit permanent laufendem Fernseher.

[Kunst-Werke, Auguststr. 50, bis 19. 9.; Mo bis Mi 11 – 19 Uhr, Do bis 21 Uhr.]

Das Bild zweier kommunizierender Kammern, die nur bedingt miteinander zu tun haben, kehrt auch in der großen Ausstellungshalle wieder. Zwei Schulzimmer sind hier aufgebaut. Das eine in Erinnerung an ein Seminar des evangelikalen Pastors John Wimber, der Anfang der 1980er Jahre über „Zeichen und Wunder“ unterrichtete, das andere erinnert an ein Stanford-Seminar des Paypal-Mitbegründers Peter Thiel darüber, wie man ein Start-up aufbauen kann. Auf jeweils eigene Weise lehrten beide das feste Glauben.

„Disproof does not equal disbelief“, hat Stevenson seine Ausstellung genannt. So lautet auch sein eigenes Mantra: „Widerlegung ist nicht gleich Unglaube“. Ihn faszinieren Koinzidenzen wie Jörg Immendorffs Gastaufenthalt 1987 in Neuseeland just zur Zeit des Börsencrashs, der das Land schwer beutelte. Der deutsche Malerstar und die Kiwis, wie sich die Neuseeländer selber nennen, kamen gar nicht gut miteinander klar. Als Immendorff 20 Jahre später kurz vor dem nächsten Crash starb, nahmen sie es als Zeichen.

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