Kultur: Die Autoren des Films "Sonnenallee" stellen sich der Kritik der DDR-Opfer
Über uns das Blockade-Flugzeug im ewigen Landeversuch. "Headquarters Berlin Infantry Brigade" steht an der Wand.
Über uns das Blockade-Flugzeug im ewigen Landeversuch. "Headquarters Berlin Infantry Brigade" steht an der Wand. Davor sitzt Thomas Brussig, der Schriftsteller. Hier im Alliierten-Museum an der Clay-Allee ist fast alles echt. Und Brussig liest vor, wie es zur Teilung der Berliner Sonnenallee kam. Churchills Zigarre war schuld! Wäre Churchills Zigarre nicht ausgegangen, ausgerechnet bei der Alliiertenkonferenz, hätte Stalin ihm nicht Feuer gegeben, hätte Churchill die Aufmerksamkeit nicht erwidern müssen. Nie wäre er mit dem Finger auf der Berlin-Karte an diesem winzigen Ende Sonnenallee hängengeblieben: "Als Churchill den Rauch wieder ausblies, gab er Stalin einen Zipfel von sechzig Metern Sonnenallee und wechselte das Thema." Nur wegen Churchills Zigarre lebte Michael Kuppisch, Thomas Brussigs Held aus "Am kürzeren Ende der Sonnenallee", also im Osten.
Das Alliierten-Museum lacht. Aber die zwei Männer, die nun zu Brussig auf das Podium kommen, lachen nicht. Sie gehören zur DDR-Opfer-Organisation "Help e.V.". Sie finden Brussig nicht lustig. Und "Sonnenallee", den erfolgreichsten deutschen Kinofilm des vergangenen Jahres, auch nicht. Brussig und der Theaterregisseur Leander Haußmann haben "Sonnenallee" zusammen geschrieben. Jetzt ist Haußmann, der Regisseur, ein Verklagter. Verunglimpfung der Opfer des DDR-Regimes und Verharmlosung der SED-Diktatur lautet der Vorwurf der beiden ernsten Männer. Haußmann ist auch da. Er bringt sich ein Bier mit und sieht überhaupt kein bisschen angeklagt aus. Rolf Hochhuth sitzt in der ersten Reihe. Was für ein Dramatiker, den das hier nicht interessierte.
Ich übernehme!, ruft der erste Help-Mann mit militärischem Schneid. Die Opfer der zweiten deutschen Diktatur würden noch immer nicht behandelt wie die der ersten. Anfangs nur 300 Mark Haftentschädigung für jeden Monat in DDR-Gefängnissen, jetzt bekommen sie 600, und außerdem müsse man nachweisen, dass körperliche und psychische Schäden DDR-bedingt seien. - Der Film! Der Film!, mahnt der Moderator. - Ja, der Film, beginnt der Help-Mann. Eigentlich gehe es gar nicht um den Film. Er sei nur das letzte Glied der Kette gewesen. Haußmann lächelt. Man müsse sich das mal klarmachen, Ost-Nostalgie-Partys sind wieder möglich mit Blauhemden und Honecker-Doubles! Man stelle sich Dritte-Reich-Nostalgie-Partys vor mit Hakenkreuzfahnen, SS-Uniformen und Hitler-Doubles. Haußmann lächelt noch mehr. Stellen Sie sich überhaupt diesen Film am Zaun von Theresienstadt vor!
Alles falsch, alles ganz falsch, ruft es aus dem Saal. Da sagt Thomas Brussig, dass er die Opfer versteht und auch ihr Gefühl von Isolierung. Aber Anzeige zu erstatten in einer völlig aussichtslosen Sache - schließlich gebe es die Meinungsfreiheit, und kein einziges verhöhntes Maueropfer komme in "Sonnenallee" vor - das finde er schon sehr schade. Dass man offenbar bewusst die Niederlage suche und Haußmann nur ein Mittel sei. Psychoterror nenne er das.
Haußmann hält die Vergleiche von Nationalsozialismus und DDR nun wirklich für eine Verhöhnung der Opfer. Diesmal für eine Verhöhnung der anderen. Bezüge auf das Schicksal der Juden stünden nicht mal "Help e. V." zu. Der zweite Help-Mann liest den Brief eines Leipziger Journalisten vor, wonach "Sonnenallee" überaus gefährlich sei und nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit der DDR zu tun habe. Worauf Moderator Uwe Lehmann-Brauns einen Gegenbrief vorliest, in dem steht, dass alle DDR-Opfer im Bekanntenkreis der Briefeschreiberin sehr über "Sonnenallee" lachen mussten. Der zweite Help-Mann erwidert, dass kein Mensch von ihm verlangen könne zu lachen. Es hört sich an wie: Nur Nicht-Opfer, nur Mitläufer können lachen. Haußmann trinkt Bier und sagt, er habe mit "Sonnenallee" auch ausdrücken wollen: Mitläufer-Sein ist nicht so schlimm. "Wir Deutschen sind doch alle Mitläufer!" Und warum diese 16 Ost-Millionen wohl so ganz anders gewesen sein sollten als die West-Millionen? Hochhuth ist begeistert. Die Help-Leute schauen, als wollten sie gleich noch einen zweiten Strafantrag gegen Haußmann stellen. Wenn schon jemand angezeigt werden müsse, dann vielleicht lieber die Schriftstellerin Daniela Dahn als Haußmann, schlägt eine Frau vor.
Da greift eine Amerikanerin ein und berichtet, sie habe "Sonnenallee" mit einem Ex-Kommunisten und einem Anti-Kommunisten gemeinsam gesehen, wobei beide sehr viel Spaß gehabt hätten. Im Übrigen sei "Sonnenallee" der beste deutsche Film seit sehr vielen Jahren. Die Stimmen lachender Opfer aus dem Publikum häufen sich. Ein Mann in blauem Anzug steht auf und gebietet Ruhe. Die SED-Opfer haben keine Chance in diesem Land, sagt er, weil wir eine linke Demokratie haben und die Medien eine Mafia sind. Er habe auch unter dem sowjetischen Regime gelebt, genau wie der Hauptheld von "Sonnenallee", sei ebenfalls jung gewesen und verliebt, habe aber im Unterschied zum jugendlichen Haupthelden nie versäumt, gegen den Kommunismus zu kämpfen.
Ein 16-Jähriger kämpft nicht gegen ein System, sagt Haußmann nachher. Rolf Hochhuth in der ersten Reihe nickt nachdenklich. Aber der einstmals verliebte Kämpfer gegen den Kommunismus ist noch nicht fertig. Drohend blickt er auf den Regisseur Haußmann und den Schriftsteller Brussig, um beiden in scharfem Ton zu erklären: "Dieser Film wird heute politisch diskutiert und nicht künstlerisch!" Seltsam das. Das Politbüro hätte es genauso gesehen. Und lachen konnte es auch nicht. Keinen Sinn zu haben für die verwandelnde Macht der Kunst, für die Eigenlogik verschiedener Sphären - darin gleichen sich alle diktatorischen Geister. Darin ähneln sich Verfolger und Verfolgte, die wieder zu Verfolgern werden, wenn sie immer nur Verfolgte bleiben. Vielleicht deshalb lehnen so viele "Opfer" hier ihr bloßes Opfersein ab. Weil ja erst dann die DDR wirklich über sie gesiegt hätte.
Er stehe ganz auf der Seite der Opfer, ruft jemand und frage deshalb: Darf man mit Schrecken Schabernack treiben? - Die Frage ist falsch gestellt. Weil es nicht um "Schabernack" geht. Weil Ernst ist im Lachen. Und Lachen in jedem wirklichem Ernst. Die Juden haben das immer gewusst.