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Wo Basaltblöcke brach liegen. Die Installation „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ von Joseph Beuys (1982–83) gehört zu den Hauptwerken der Neuen Nationalgalerie. Ab Sonntag ist sie endlich wieder zu sehen, wenn der Hamburger Bahnhof nach der Zwangspause durch Corona wieder eröffnet.

© Thomas Bruns VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Die Coronakrise als Chance: Die Museen müssen sich neu erfinden

Seit Jahrzehnten kämpfen Künstler gegen Missstände auf dem Markt. Kritik an den Institutionen allein bringt nichts. Eine neue Kunstpolitik muss her.

„Über die Kunstwelt haben mir während dieser Krise verschiedene Bekannte gesagt, dass sie hoffen, dass das Ganze einfach abbrennt, dass die vielen maroden Teile des Systems einstürzen, damit an ihrer Stelle etwas Besseres entstehen kann“, schreibt Dean Kissick, der New Yorker Kritiker des Kunstmagazins „Spike“, in seinem Corona-Journal. Und es stimmt. Es geht ein dystopisches und dennoch erwartungsvolles Gemurmel durch die Kunstwelt. Viele hoffen auf eine Implosion.

Auf eine Neugestaltung und Umorientierung des Kunstbetriebs. Denn wie in anderen Bereichen der Gesellschaft bringt das Coronavirus Missstände ans Licht, die jeder kennt und die man bisher ignorierte: asymmetrische Machtverteilung, monopolistische Marktstrukturen, Künstlerarmut.

In der aktuellen Instagram-Serie „Answers from Isolation“ der Londoner Galerie Sadie Coles stellen Künstlerinnen und Künstler Forderungen für die Zeit nach der Krise. Der Österreicher Helmut Lang verlangt ein Tempo, das qualitative künstlerische Arbeit ermöglicht, das nicht allein von Profitmaximierung getrieben ist.

Der Mexikaner Gabriel Kuri hält einen Wertewandel hin zu rein künstlerischen Maßstäben für unabdingbar und die Britin Nicola Tyson plädiert für lokale Strategien statt globales Branding. Die Stimmen sind deutlich: Die Kunst braucht ein neues Ökosystem. Eines, das der Logik der Künste, nicht der des Finanzsektors folgt. Ein System, das von Autonomie, Raum, Zeit, Qualität statt Quantität geprägt ist.

"Institutional Critique" ist seit den 60ern eine eigene Kunstgattung

Nur wie verändert man ein System, das sich von den eigenen Werten entkoppelt hat? Die Klagen der Kunstschaffenden sind nicht neu. Seit den Sechzigern kämpfen Künstlerinnen und Künstler unter dem Begriff „Institutional Critique“ gegen Missstände. In Form von künstlerischen Beiträgen versuchten sie das System von innen heraus zu kritisieren und transformieren.

Andrea Fraser, Galionsfigur dieser Bewegung, führte der Kunstwelt vor, wie sie sich zunehmend zu einer Plutokratie, einer Geldherrschaft, verwandelt, wie der Einfluss weniger auf die Existenz vieler wirkt und das eurozentristische Patriarchat die Ausstellungspolitiken durchzieht.

Mit ihrer Performance „Official Welcome“, einer Parodie auf die Eröffnungsrede einer Ausstellung, enttarnte sie das System samt seiner heuchlerischen Rhetorik. Sie stellte die aufgeblasenen Egos von Sammlern, Galeristen und Künstlern bloß.

Exzess und Gier: Hinter der linksliberalen Fassade tun sich Abgründe auf

Hinter einer linksliberalen, solidarischen Fassade tat sich ein Abgrund auf: jämmerliche Bezahlung, keine soziale Absicherung für Künstler, in die Höhe getriebene Preise und Förderungen mit Agenda, der Aufwertung von Stadtvierteln zuliebe. Übrig blieb ein bitterer Nachgeschmack von materiellem Exzess und Gier. Frasers Wille zur Entblößung ging so weit, dass sie ihren eigenen Körper für 60 Minuten an einen amerikanischen Sammler verkaufte. Für knapp 20 000 Dollar erwarb der Mann ein Videotape, das Fraser und ihn beim Sex in einem Hotelzimmer zeigt. Sie prostituierte sich, um die Herrschaft des Geldes in der Kunstwelt zu demonstrieren. Und der Sammler? Wurde zum Mitarbeiter der Künstlerin, mit dem Kaufvertrag unterschrieb er auch ein paar sehr strenge Regeln zur Verwendung des Tapes.

Die Schieflage hat sich nur immer weiter verstärkt

Doch trotz aller Mühen, deutlich zu machen, wie die auf Gewinnmaximierung getrimmte Logik des Marktes wider die Natur der Künste wirkt, blieb eine Veränderung aus. Die Schieflage hat sich stattdessen weiter verstärkt. Heute ist der internationale Kunstbetrieb eine Mischung aus Hollywood und Wall Street: ein Markt der Extreme zwischen Erlebnisökonomie und Expansionsdrang. Messen, Biennalen, Blockbuster-Ausstellungen und Verkaufsrekorde bestimmen den Modus der Kunstwelt. Größer, weiter, schneller.

Da können viele nicht mithalten. Seit der Finanzkrise 2008 zeichnet sich ein Galeriensterben in New York, London, Zürich oder Berlin ab. 40 bis 50 Prozent aller Galerien operieren am Existenzminimum. Steigende Fixkosten, die sich aus horrenden Mieten und teuren Messebeteiligungen ergeben, verringern die Überlebenschance junger Galerien. Der Markt teilt sich in Mega-Galerien wie Gagosian, Pace und Zwirner – und den Rest. Bereits etablierte Künstler und Künstlerinnen profitieren vom Ruhm der großen Galerien, während junge Künstler, die von kleinen Galerien vertreten werden, kaum etwas abbekommen.

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Wieso blieb die Kritik von Andrea Fraser und ihresgleichen folgenlos? Sie scheiterte an ihren eigenen Mitteln, verharrte im kritischen Gestus. Sie machte zwar auf Missstände aufmerksam, konnte sie aber nicht beheben. Kritik ist ein Anfang, reicht aber nicht.

Der Krise im Kunstbetrieb liegt ein strukturelles Problem zugrunde. Eines, auf das man zwar wie Fraser aufmerksam machen kann. Oder man wirkt ihm, wie Wolfgang Tilmanns mit seiner Between-Bridges-Foundation, mit Solidaritätsaktionen punktuell entgegen. Doch systematisch verändern kann nur, wer Einfluss auf die Kulturpolitik hat. Nur sie kann die Spielregeln ändern.

Die Politik muss sich stärker zur Kunst bekennen

Dafür müssten die Kulturstaatsministerin sowie die verantwortlichen Politiker der Länder sich anders zur Kunst bekennen. Bezeichnet Monika Grütters wie jüngst die Kunst als unverzichtbaren Teil unserer Gesellschaft, muss sie die Interessen der Kunst auch konsequent vertreten. Denn ob und wie Kunst als Bereich der Reflexion und Bildung fungiert, hängt von ihrer gesellschaftlichen Sonderstellung ab.

Der Kunst müssen die Mittel langfristig garantiert werden, die sie braucht: Autonomie, Zeit und Raum. Ressourcen, die in unserem wirtschaftlichen System knapp sind. Eine gezielte Förderung von Arbeitsräumen, Honorare für Kunstschaffende sowie höhere Museumsetats könnten vieles ändern.

Es braucht "Wumms", damit das Hilfspaket die Künstler erreicht

Vor diesem Hintergrund wirkt der „kraftvolle Aufschlag“, wie Monika Grütters das jüngst vorgestellte Konjunkturpaket bezeichnet, noch nicht überzeugend. Es unterstützt zwar Hygienekonzepte und zahlt für den Erhalt der Infrastruktur. Ebenso nötig ist aber eine Investition „mit Wumms“ in die Programmgestaltung der Institutionen. Damit das Hilfspaket dann auch wirklich die Künstler erreicht.

Die Museen müssen sich jetzt mit politischer Unterstützung und mit Einfluss von Kunstschaffenden neu erfinden. Mit erhöhten Etats könnten sie nicht nur Orte der Präsentation, sondern zu Motoren der Kunstentwicklung werden. Projektfinanzierungen und Residenzen würden die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern zu einer der Hauptaufgaben der Museen machen. Resultat wären Institutionen, die durch faire Bezahlung, gezieltes Sammeln und Bewahren neue Maßstäbe schaffen.

Statt Massenware für den Markt könnte es mehr relevante Kunst geben

Damit nähme man dem Kunstmarkt die Macht über die Auswahl und Deutung der Kunst aus der Hand. Eine Szene könnte entstehen, die der Logik der Kunst, nicht des Marktes gehorcht. Statt schnell produzierter Massenware wäre Raum, stünde Zeit und Geld für durchdachte Kunst zur Verfügung, deren Relevanz vielleicht mehrere Jahrhunderte, nicht nur die nächste Messe überdauert.

Der Versuch der „Institutional Critique“, das System von innen heraus zu transformieren, ist gescheitert. Er hat gezeigt, dass Künstler und Künstlerinnen den Wandel aus eigener Kraft nicht schaffen können. Will die Kulturpolitik sich jetzt zur Kunst als wesentlichem Teil unserer Gesellschaft bekennen, sollte sie die Kraft der Krise für einen Neuanfang nutzen.

Carlotta Wald

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