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Tysoe Saul Hancock und seine Frau Philadelphia (geb. Austen) mit ihrer Tochter Elizabeth und der indischen Bediensteten Clarinda

© Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie/Dietmar Gunne Public Domain Mark 1.0/Sir Joshua Reynolds

Die Geschichte hinter dem Bild: Joshua Reynolds: Tysoe Saul Hancock und seine Familie

Die porträtierte Familie in dem Gemälde des südwestenglischen Bildnismalers Joshua Reynolds stellt ihren vermeintlichen Reichtum zur Schau.

Eine Kolumne von Sarah Salomon

Stand:

Was für eine Familie! Was für eine irritierende und zugleich faszinierende Zurschaustellung von Beziehungslosigkeit. Das ist jedes Mal mein erster Gedanke, wenn ich vor diesem Bild stehe. Von der linken Bildseite schaut der in Diensten der East India Company stehende Chirurg Tysoe Saul Hancock, durch einen quer gestellten Stuhl von der Frauengruppe abgesondert, vergeblich zu seiner auf der rechten Seite stehenden Ehefrau Philadelphia. Diese blickt uns, die Betrachter*innen, reserviert an.

Wie ein Puffer zwischen den Eheleuten wurden die kleine Tochter Elizabeth und das von Indien nach England mitgebrachte Kindermädchen Clarinda in das Zentrum der Komposition geschoben. Nur zwischen diesen beiden mit indischen Gewändern und Schmuckstücken ausstaffierten Figuren scheint eine affektive Bindung zu bestehen. Von der Mutter wird das Mädchen vorgezeigt wie eine Trophäe, und auch Clarinda, kniend und mit gesenktem Blick, dient der eben aus dem kolonisierten Indien zurückgekehrten Familie als Statussymbol.

Repräsentation und Status

Denn um Repräsentation und Status dreht sich alles in diesem Gemälde: Den aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Hancocks war innerhalb der weißen Kolonialcommunity ein gewisser sozialer Aufstieg gelungen, wie er in England wohl nicht denkbar gewesen wäre.

Um diesen nach der Rückkehr nach außen hin sichtbar zu machen, wurde sehr bald der berühmte Porträtmaler Joshua Reynolds mit der Anfertigung eines repräsentativen Familienbildnisses beauftragt. Zu einer Zeit, als die wahren Lords und Ladies sich bereits gerne in lässigeren Posen porträtieren ließen, entstand deshalb diese noch ganz auf das klassische Bildrepertoire barocker Standesporträts – Säulen, rote Vorhänge, dramatisch bewölkter Himmel – zurückgreifende Darstellung einer vermeintlich hochstehenden Familie.

Fake-Image

Die Realität stimmte nicht mit diesem Image überein. Um finanziell für die Familie aufkommen zu können, kehrte Tysoe schon bald alleine nach Indien zurück und verstarb dort, ohne Frau und Tochter wiedergesehen zu haben. Schon bald wusste niemand mehr, wer die Dargestellten waren.

Erst 2017 brachten zwei Literaturwissenschaftlerinnen eher zufällig die wahre Identität der Dargestellten wieder ans Licht: Philadelphia Hancock, geborene Austen, war eine Tante der berühmten Schriftstellerin Jane Austen, Elizabeth deren Lieblingscousine „Eliza“.

Auch einige Informationen zu der bis dahin namenlosen „indischen Dienerin“ Clarinda sind ihren Archivrecherchen zu verdanken. Dadurch sind – dies zumindest ein bescheidener Anfang – nun wenigsten alle im Bild Dargestellten auch als reale, historisch verbürgte Personen greifbar.

Sarah Salomon ist Kuratorin für die europäische Malerei des 18. Jahrhunderts an der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin.

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