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Backe, backe, Eierkuchen. Das Känguru und Marc-Uwe (Dimitrij Schaad) in der Kreuzberger WG-Küche.

© X-Filme, X-Verleih

Die Känguru-Chroniken kommen ins Kino: Schnapspralinen vs. Schweinesystem

Kreuzberger Folklore: Dani Levy hat Marc-Uwe Klings Bestseller „Die Känguru-Chroniken“ verfilmt - in schrägem Knallchargen-Humor.

Marc-Uwe Kling ist der König Midas unter den aus der Lesebühnen-Szene Berlins hervorgegangenen Autoren. Was der Mann und sein Alter Ego – das Känguru – anfassen, wird zu Gold. Die Tetralogie über die Kreuzberger-WG eines kommunistischen Beuteltiers und eines Kleinkünstlers mit Migränehintergrund hat Millionen Leserinnen und Hörer gefunden.

Kult war zuvor schon die seit 2008 auf Radio Fritz ausgestrahlte Känguru-Kolumne. Inzwischen gibt es das Känguru als Würfelspiel, Videospiel, Theaterstück. Und Marc-Uwe Klings Zukunftsroman „QualityLand“, zu dem demnächst eine Fortsetzung erscheint, wird gar vom US-Sender HBO als Serie adaptiert.

Kling, Deutschlands populärster Kulturlinker

Dieser erfolgsverwöhnte Kleinkünstler, der bei seinen regelmäßigen „Lesedüne“-Auftritten im SO36 in unverbrüchlich bescheidener Schluffi-Kluft aus Schlabberpulli und Schiebermütze auftritt, kann wirklich jeden Tag gezuckerten Glücksklee essen und erwarten, dass alle lilalieb zu ihm sind. So wie das auch der Hauptfigur in seinem jüngsten Kinderbuch „Das Neinhorn“ geschieht.

Schon Wochen vor dem Kinostart der von Dani Levy verfilmten „Känguru-Chroniken“ war das Beuteltier in Kulturmagazinen und Feuilletons omnipräsent. Und der „Spiegel“, dem der Interview-Verweigerer Marc-Uwe Kling „nach langem Zögern“ doch eine Audienz gewährte, vermutet gar, der Autor und Bühnenkünstler sei derzeit Deutschlands „populärster Kulturlinker“. Gut, dass das Rio Reiser nicht mehr lesen muss. Harte Zeiten auch für Bands wie Die Toten Hosen und Die Ärzte, die ebenso fest wie der Hamburger FC St. Pauli zum linken Fan-Kanon gehören.

Das Beuteltier gehört zur Linken-Folkore

Genau dort hat auch das Känguru seinen Platz. Es wird nicht nur von Weltanschauungs-Kreuzbergern überall im Bundesgebiet, sondern besonders auch von deren 13-, 14-jährigem Nachwuchs verehrt. Den Jungs also, die den Nerd-Nonsense-Faktor der mit Politslogans und Popkulturbezügen von „Stars Wars“ bis zu Bud Spencer- und Terence-Hill-Filmen angereicherten Episoden schätzen und Känguru-Sätze wie „Mein, dein – das sind doch bürgerliche Kategorien“ oder „Gesunder Patriotismus klingt für mich wie gutartiger Tumor“ cool finden.

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Kuschelige Codes und Konsenswitze aus Grünen- und Linke-Wähler-Kreisen inklusive. Die brauchen in kalten Zeiten schließlich dringend den wärmenden Trost identitätsbestätigender Folklore. Und der Kinofilm, für den Marc-Uwe Kling selbst das Drehbuch geschrieben und auch das Känguru synchronisiert hat, liefert eine satte Breitseite davon.

Knallchargen-Komik auf solidem Motion-Capture-Niveau

„Die Känguru-Chroniken“ ist Kreuzberger Knallchargen-Komik auf technisch solidem Motion-Capture-Niveau. Okay, der sprechende Bär in „Paddington“ sah noch ein bisschen echter aus als das mit einem Esel wie mit einem Hasen verwandte Känguru. Aber die Visual-Effects-Firma Trixter hat aus den Bewegungen des Darstellers Volker Zack ein glaubwürdiges Känguru fabriziert, dessen Besichtigungstickets an den Kinokassen weggehen werden wie geschnitten Brot.

Los geht’s in der Posse wie im ersten Buch. Beim migränösen Marc-Uwe schellt die Türklingel. Draußen steht das Schnapspralinen-abhängige Känguru und will Eier borgen. Und eh sich die Schnarchnase versieht, macht sich das marxistische Schnorrerviech an die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und zieht zum Eierkuchenbacken gleich ganz bei ihm ein.

Ein Hochhausturm im Görlitzer Park? Niemals!

Der ebenfalls aus den Büchern bekannte Rechtspopulist Dwigs mutiert in der Verfilmung zum Donald Trump von Berlin, der einen gigantischen Hochhausturm in den Görlitzer Park setzen und nebenbei die alteingesessene Nachbarschaft plattmachen will.

Klar, dass das klassenkämpferische „Asoziale Netzwerk“ des Kängurus diese von einer Nazitruppe handgreiflich unterstützten Pläne vereiteln muss. Und dann ist da noch die zarte Romanze zwischen dem verschlafenen Marc-Uwe, der sich dauernd beim Psychotherapeuten (Paulus Manker) ausheult, und der alleinerziehenden Nachbarin Maria (Rosalie Thomass).

Dachbier. Marc-Uwe (Dimitrj Schaad) und das Känguru machen Feierabend vom Nichtstun
Dachbier. Marc-Uwe (Dimitrj Schaad) und das Känguru machen Feierabend vom Nichtstun

© X Filme/X Verleih/dpa

Der Unterschied zwischen cooler und piefiger Stilisierung des Kreuzberger Slackertums ist ja seit Jan-Ole Gersters „Oh Boy“ und Leander Haußmanns Sven-Regener-Verfilmung „Herr Lehmann“ bekannt. Dani Levy, dem mit „Alles auf Zucker“ 2005 eine lustige und schlaue Berlin–Komödie gelungen ist, haut mit den „Känguru-Chroniken“ nun eher in die Haußmann-Kerbe – wenn auch mit potenziertem Überzeichnungsfaktor.

Die Retroausstattungen in Marc-Uwes Wohnung und in Hertas Eckkneipe strotzen nur so vor runtergerockter Gemütlichkeit. Und die dort versammelten Underdogs und Tagediebe werden von Kameramann Filip Zumbrunn allerwärmstens ins Licht gesetzt. Von der absehbaren David-gegen-Goliath-Mechanik einer Feelgood-Komödie ganz zu schweigen.

Hübchen ist als Kapitalist Dwigs der Föhn explodiert

Immerhin: Das klamottige Typecasting ist Levy gelungen. Carmen-Maja Antoni nölt als rabiat berlinernde Wirtin Sprüche wie „Du denkst vielleicht, du bist hart, aber ick bin Herta“ und „Es jibt sone und solche, un’ dann jibt’s noch janz andre, aber det sind die Schlimmsten“. Henry Hübchen ist als bösem Kapitalisten Jörg Dwigs der Föhn explodiert. Und Adnan Maral und Tim Seyfi verkörpern gut gelaunt Multikulti-Appeal, als Friedrich-Wilhelm und Otto von, die unvermeidlichen Späti-Türken.

[Die Komödie läuft ab Donnerstag in den Kinos, Mittwoch laufen diverse Vorpremieren beispielsweise im Berliner Zoo-Palast.]

Ob Dimitrij Schaad, sonst Star des Maxim-Gorki-Theaters, als Kleinkünstler-Darsteller für sein Kinodebüt die richtige Rolle gewählt hat, wird sich zeigen. Marc-Uwes Verschnarchtheit nimmt sich in Levys immer wieder auf Krawallmodus schaltenden Inszenierung jedenfalls geradezu alt west-berlinisch aus. So viel Unterspannung kann sich im Kreuzberg von heute ja keiner mehr leisten. Doch wer weiß: Vielleicht kommt sie bei fruchtendem Mietendeckel wieder.

„Die Känguru-Chroniken“ frischt solange wenigstens den guten alten Berliner Anti-Establishment-Mythos auf. Darauf eine Schnapspraline.

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