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Kultur: Drei Männer, drei Kontinente, ein Geheimnis

Santiago Gamboa stellt einen wahrhaft kosmopolitischen Agentenroman vor

Gerade die Werke lateinamerikanischer Autoren lassen Lüge und Verrat als die eigentlichen Inspirationsquellen der Literatur erscheinen. Das kommt nicht von ungefähr, stellt sich doch das Tagesgeschehen in Kolumbien, Argentinien oder Peru häufig so dar, als warte es nur darauf, zu schwindelerregenden Romanstoffen veredelt zu werden. Der Kolumbianer Santiago Gamboa transponiert in seinem dritten, wahrhaft kosmopolitischen Buch „Die Blender“ (Los impostores) den erweiterten Wirklichkeitsbegriff Südamerikas virtuos nach Europa und bis in den Fernen Osten.

Was wären Agentenromane ohne die klassische Eröffnung mit dem „seltsamen Anruf“? Als Suárez Salcedo aus Bogotá, der in Paris als Radiojournalist arbeitet, den Hörer abnimmt, erhält er aus der Chefetage den offiziellen Auftrag, das Leben der unterdrückten Katholiken in China zu recherchieren. Dahinter verbirgt sich der französische Geheimdienst, dem es in Wahrheit um die Wiederbeschaffung des Gründungsmanifests der militanten Boxer-Sekte geht. Sie hatte diesen Namen vom Schattenboxen ihrer Mitglieder auf öffentlichen Plätzen erhalten – noch heute wird der rituelle Massensport allmorgendlich in China gepflegt. Die Geheimsekte entfachte 1900 einen fremdenfeindlichen Aufstand in Nordostchina, bei dem auch der deutsche Gesandte von Ketteler ums Leben kam. Daraufhin schickten die europäischen Großmächte, allen voran der deutsche Kaiser, ein Expeditionskorps und schlugen die Revolte brutal nieder. Hauptanliegen der Boxer-Sekte war es, Chinas Hochkultur vor allen „schädlichen“ ausländischen Einflüssen zu bewahren. Diese kolonialismuskritische Stimmung prägt den Roman „Die Blender“. (Aus dem Spanischen von Stephanie Gerhold. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005, 317 S., 20,50 €.)

Santiago Gamboa, Jahrgang 1965, wurde hierzulande vor allem durch seinen rasant-melancholischen Kriminalroman „Verlieren ist eine Frage der Methode“ (2000) bekannt. Raffiniert, zynisch und beschwingt entwirft er darin eine urbane Gegenwelt zu den Anden-Mythen seines Landsmannes Gabriel García Márquez: Gamboas Held ist ein verträumter Journalist, der eher unfreiwillig zum Polizeireporter wird und von einem naschsüchtigen Kommissar nur wenig Hilfe erfährt.

Von den Verbrechen der Sieben-Millionen-Stadt Bogotá erholt er sich, indem er einer Schneiderpuppe Sinnsprüche wie „Verlieren ist eine Frage der Methode“ ansteckt. 2002 folgte der paradoxe Bildungsroman „Das glückliche Leben des jungen Esteban“. Nach dem Studium der spanischen Philologie in seiner Heimatstadt Bogotá und in Madrid berichtete Santiago Gamboa als Korrespondent abwechselnd aus Paris und Rom, hauptsächlich für die kolumbianische Tageszeitung „El Tiempo“ und den lateinamerikanischen Dienst von Radio France International. Heute pendelt er als freier Autor zwischen Rom und Bogotá. Ähnlich wie die Pop-Sängerin Shakira fürchtet er, die kulturelle Elite Kolumbiens werde nach und nach ausbluten.

In das riskante Unternehmen der Manuskript-Beschaffung geraten auch ein weltfremder deutscher Sinologe und ein verhinderter Großdichter und Frauenheld aus Peru hinein: „Ich reise gen Orient, wo, wie man sagt, die Sonne geboren wird.“ Drei Kontinente, drei Männer und der eine brennende Wunsch nach Selbstbestätigung, der sie zu Blendern werden lässt: Santiago Gamboas Philologenthriller spielt souverän mit den Genres und ist dabei mit großer Leichtigkeit erzählt.

Während der Radiojournalist aus Paris autobiografische Züge trägt und der in den USA lehrende Literaturprofessor Nelson Chouchén Otálora hispanoamerikanische Schriftstellerdiven karikiert, gerät das Porträt des Sinologen Gisbert Klauss zu einer schnurrigen Sympathieerklärung für den deutschen Idealismus.

Was mit Graham Greenes Vorliebe für düstere Orte beginnt, führt am Ende ins Licht und ins Nichts, als sich die wahre Erzählerinstanz („Ich bin ein einfacher Schreiber“) offenbart. Doch diese letzte beglückende Volte ins Buddhistische muss jeder Leser selbst nehmen.

Santiago Gamboa liest morgen um 19.30 Uhr im Instituto Cervantes, Rosenstr. 18/19, moderiert von seiner Übersetzerin Stefanie Gerhold.

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