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Christlich geprägte Libanesin, die auf Arabisch in Paris schreibt. Hoda Barakat.

© Astier-Pécher Literary Agency

„Es ist ein Vorteil, nirgendwo dazuzugehören“: Die libanesische Schriftstellerin Hoda Barakat im Gespräch

Gerade erhielt sie einen der höchsten Literaturpreise der arabischen Welt: Hoda Barakat über jüdisch-palästinensische Verständigung, weibliches Schreiben, Paris und Beirut.

Von Gregor Dotzauer

Stand:

Madame Barakat, Sie leben und schreiben als Libanesin in Paris. Erst 1989, im vorletzten Jahr des 15 Jahre währenden Bürgerkriegs, der 150.000 Menschen das Leben kostete, haben Sie Ihre Heimat verlassen. Warum lehnen Sie das Wort Exil für sich ab?

Niemand hindert mich daran, nach Hause zurückzukehren. Ich fahre in den Libanon, wann ich will. Ich werde weder verfolgt, noch gehöre ich zu den muslimischen Frauen, die sich dem Patriarchat geopfert haben. Ich leide unter meinem Land, aber ich schaffe es, mit diesem Schmerz umzugehen. Und wenn man mich fragt, ob ich zurückwill, sage ich, ich bin nie weggegangen. Ich werde in meinem Land geliebt und in allen arabischen Ländern wie eine Königin empfangen. Ich habe die größten Ehrungen erhalten, und meine Bücher, werden trotz sensibler Themen wie Homosexualität nie angegriffen. Wie kann ich behaupten, im Exil zu leben?

Was hat dann den Ausschlag für Ihren späten Weggang gegeben?

Ich habe mich im Libanon als Exilantin empfunden. Ich musste mich selbst verteidigen, mit meinem Gewissen. Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich keiner Gemeinschaft, keiner Gruppe und keiner Miliz mehr angehörte. Ich war gegen alles, meine Familie, meine Berge, meine religiöse Zugehörigkeit.

Sie sind als maronitische Christin aufgewachsen.

Ja, aber die Christen lehnten mich ab, weil ich mich während des Bürgerkriegs nicht mehr mit ihnen solidarisieren wollte. Aber ich verteidige Menschen, nicht Konfessionen, gegen Ungerechtigkeiten. Also verlor ich Verwandte, ich verlor Freunde., und als ich schließlich den Libanon verließ, habe ich alles zurückgelassen. Geblieben ist mir nichts als die Sprache. Und deshalb habe ich angefangen zu schreiben: Ich habe eine Welt erfunden, um meinem Schmerz Ausdruck zu verleihen.

Ich mache mit der arabischen Sprache, was ich will.

Hoda Barakat, Schriftstellerin, Journalistin, Übersetzerin und Lehrerin

Dabei mussten Sie das Arabische erst mühsam lernen. Ihre erste Sprache war das Französische. Was ist es, das Sie auf Arabisch besser sagen können als auf Französisch?

Ich kann alles in beiden Sprachen sagen. Ich halte Vorträge auf Französisch, ich habe sogar ein Buch und zwei Theaterstücke auf Französisch geschrieben. Arabisch spreche ich mit meiner Mutter oder meinem Bruder. Zwischen mir und dem Arabischen gibt es eine Distanz. Lange Zeit behaupteten arabische und französischsprachige Muslime, dass man auf Arabisch nicht modern und frei schreiben können. Sie kannten nur die heiligen Texte. Das Arabische selbst ist aber nicht heilig. Ich mache damit, was ich will.

Wir treffen uns hier in Abu Dhabi, wo Sie für Ihren jüngsten Roman „Hind oder Die schönste Frau der Welt“ den Sheik Zayed Book Award, einen der angesehensten Buchpreise der arabischen Welt, erhalten haben. Liegt Ihnen von hier aus betrachtet Paris oder Beirut näher?

Für mich liegt nach wie vor alles in Beirut. Ich öffne mein Pariser Fenster und bin überrascht, dass ich nicht auf die Straßen von Beirut sehe. Mir fehlen der Duft und das Licht von dort. Aber ich fühle ich mich sehr wohl in Paris, und Frankreich hat mir überhaupt viel gegeben. Ich sehe viele Vorteile darin, nirgendwo dazuzugehören und bin glücklich, Abstand zu haben, auch um den Libanon besser kritisieren zu können.

Der preisgekrönte Roman erzählt die Geschichte einer Frau mit einer entstellenden hormonellen Erkrankung namens Akromelagie. Niemand, auch nicht sie selbst, kann sie als diejenige wahrnehmen, die sie ihrem Wesen nach ist. Man kann das als Auseinandersetzung mit trügerischen Schönheitsidealen wie als Allegorie für den Libanon lesen. Was von beidem ist Ihnen wichtiger?

Letzteres habe ich erst nach Beendigung des Buches entdeckt. Ich musste es schreiben, um festzustellen, dass ich auch vom Libanon spreche und von allen großen arabischen Städten, die ihrer Seele nicht treu geblieben sind. Schauen Sie sich an, was in der schönen Stadt Kairo passiert. Wenn man dorthin kommt, möchte man weinen. Ich habe nichts gegen moderne Sechs-Sterne-Hotels und die Besiedlung von Wüsten. Aber hätte es nicht wenigstens in meinem Beirut anders kommen können? Jenseits der laufenden israelischen Bombardements im Süden hat das Land seine Schönheit ganz alleine zerstört.

Meine erste Hauptfigur war homosexuell, es gab also jemanden zwischen mir und der Welt.

Hoda Barakat, Schriftstellerin, Journalistin, Übersetzerin und Lehrerin

Ihr erster Roman „Hajar al-dahk“ (Der Stein des Gelächters), eine Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg, die heute als zeitgenössischer Klassiker gilt, ist mittlerweile 35 Jahre alt. Können Sie sich noch daran erinnern, wie sie ihn geschrieben haben?

Ich habe diesen Roman immer wieder neu geschrieben, weil ich mehrfach das Manuskript verlor, aber auch, weil ich selbst mich veränderte. Die Hauptfigur war homosexuell, es gab also jemanden zwischen mir und der Welt. In anderen arabischen Werken, selbst in den großartigsten, war Homosexualität tabu. Ich habe diese Perspektive eingenommen, weil ich dachte, dass mein Protagonist Khalil genauso litt wie ich. Für viele Leser und Kritiker war das ein Schock. In diesem ersten Roman habe ich auch Verse aus dem Koran verwendet und sie der arabischen Sprache angepasst. Niemand hat gefragt, wer mir das Recht dazu gibt. Weil ich so viel Respekt vor meinen Figuren bewies, fühlte sich niemand von einer Ungläubigen wie mir angegriffen, bis heute nicht.

Hoda Barakat bei der Entgegennahme des Sheikh Zayed Book Award in Abu Dhabi.

© Sheikh Zayed Book Award

Sie haben viele Jahre als Informationsdirektorin für den Pariser Sender Radio Orient gearbeitet, dann aber den Journalismus aufgegeben. Was vermissen Sie an Ihrer früheren Arbeit?

In meinem Kopf bin ich weiterhin Journalistin. Ich kann mich nicht von den Nachrichten lösen. Katastrophen nehme ich oft persönlich, und ich verzweifle schnell, gerade weil ich keine Aktivistin bin. Aber ich fühle mich auch befreit vom Journalismus, weil ich für eine große Redaktion verantwortlich war, die mir keine Zeit zum Schreiben ließ.

Fühlen Sie sich nicht gedrängt, zu der Tragödie, die sich im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern abspielt, Stellung zu beziehen?

Nein. Ich habe nur ein einziges Mal in einem in den palästinensischen Gebieten erschienenen Buch über Gaza geschrieben und erklärt, warum ich mich nicht äußere. Ich habe noch nie eine Petition unterschrieben, ich habe noch nie eine palästinensische Kufiya getragen. Ich bewundere die Demonstranten, aber meine Meinung bleibt vielschichtig. Ich kann mir keine Parolen anhören, mit denen ich nicht einverstanden bin. Viele demonstrieren, machen Selfies und posten sie auf Facebook. Das ist die einfachste Lösung – und die beschissenste. Manche haben fast jede Gelegenheit verpasst, sich für die wahren humanitären Anliegen einzusetzen. Unter ihnen gibt es bis heute Menschen, die sich weigern, Juden zu grüßen, selbst Juden, die auf ihrer Seite stehen.

Neben dem Schreiben unterrichten Sie im Rahmen des Nahost-Studienprogramms am amerikanischen Dartmouth College in New Hampshire, eine Ivy-League-Institution. 2023 waren Sie in den Fußstapfen von Toni Morrison, Philip Roth oder Salman Rushdie dort einer der Montgomery Fellows. Wie sind Sie dorthin geraten?

2011 war ich für ein Jahr am Berliner Wissenschaftskolleg zu Gast. Zur selben Zeit hatte dort eine Professorin des College namens Susannah Heschel ein Stipendium, die Tochter eines großen amerikanischen Rabbiners …

… Sie meinen Abraham Joshua Heschel, einen jüdischen Gelehrten, dessen Buch „The Prophets“ zurecht als Jahrhundertwerk gilt. Der Philosoph Omri Boehm bezieht sich gerne auf ihn …

Mit der Judaistin Susannah Heschel verbindet mich eine große Freundschaft.

Hoda Barakat, Schriftstellerin, Journalistin, Übersetzerin und Lehrerin

Ja, Susannah verehrt ihren Vater sehr, ihr Haus steckt voller Erinnerungsstücke. Sie ist eine aktivistische und ehrliche Jüdin und war damals eine der beiden Frauen, die sich an einer englischen Lesung aus meinem Zweipersonenstücks „Dernier volet de la nuit“ beteiligten. Ich selbst habe ja einen schrecklichen Akzent. Sie war anfangs viel neugieriger auf mich als umgekehrt. Sie las meine auf Englisch erschienenen Bücher und sagte zu mir: Ich möchte Sie kennenlernen. Daraus ist mit der Zeit eine Freundschaft geworden.

Dartmouth ist dafür bekannt, dass es sich in Lehre und Alltag um einen Brückenschlag zwischen jüdischen und palästinensischen Studierenden, Judaistik und Islamwissenschaft, bemüht. Was hat die Judaistin Heschel dazu beigetragen

Sie wollte an der Uni immer einen arabischen Muslim zur Seite haben. Und eines Tages hatte sie einen Libanesen zum Vorstellungsgespräch eingeladen, dem sie erzählte: „Ich habe eine fantastische Schriftstellerin kennengelernt, die meine Freundin geworden ist und auch aus dem Libanon kommt.“ Er kannte offenbar jedes Buch, das ich geschrieben hatte. Also rief sie mich an und fragte: „Was hältst du von diesem Tarek El-Ariss?“ Ich sagte: „Das ist mein Sohn, mein Freund, mein Bruder.“ Seitdem lehrt er Nahoststudien und sie Judaistik – und das auch in gemeinsamen Seminaren.

Es gibt keine Schriftstellerin, der mit größerer Vehemenz nachgesagt wird, sie habe die arabische Literatur um eine feministische Perspektive erweitert.

Wenn ich das geschafft habe, dann nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich eine gute Schriftstellerin bin. Ich bin keine Feministin, die sich diese Bezeichnung als verkaufsförderndes Etikett selbst anheften würde. Außerdem sind alle meine Romane, mit Ausnahme von „Hind“, aus der Perspektive von Männern geschrieben. Man muss das auch als Aufforderung zum Gedankenspiel sehen: Wo bleiben die Frauen? Das ist meine Art, meiner weiblichen Stimme Gehör zu verschaffen. Wenn ich schreibe, verkleide ich mich nicht als Mann. Ich schreibe als Frau, die keine Grenzen anerkennt. Ich könnte mich, wenn ich es wollte, auch in einen Baum verwandeln.

Für die jetzige Generation spielt das Schreiben aus einer unverwechselbaren Identität heraus eine viel größere Rolle.

Wenn ich schreibe, bin ich, wenn ich will, eine Frau, und wenn ich will, ein Mann. Ich bin dann aber auch keine Frau, die in der Sprache eines Mannes schreibt, der womöglich von einer Frau spricht, die ihm antwortet. Auf der Bühne hat man mehrere Schauspieler zur Verfügung, um eine solche Komplexität zu erzeugen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben, wie das in meinem zweiten Roman vor sich geht, der auf Englisch „Disciples of Passion“ heißt. Er handelt von einem in seinem Erinnerungsvermögen gestörten Mann. Die Frau, die er liebt, hat ihn verlassen, wenn er sie nicht sogar umgebracht hat. Er behauptet, er könne sie vergessen, und dann wieder erzählt er, wie sehr er unter ihrer Abwesenheit leidet. Seine Liebe, kommt es mir dann beispielsweise vor, steigt plötzlich in mir auf wie die Milch in den Brüsten einer stillenden Mutter. Solche Vergleiche kommen nicht von ungefähr. Ich bin eben eine Frau, die auf ihre weibliche Art die Geschichte eines solchen Mannes schreibt.

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