zum Hauptinhalt
Favoritin Loreen hat beim ESC in Liverpool den sechsten Sieg für Schweden geholt. Sänger Chris Harms (vorne) landete mit seiner Band Lord of the Lost für Deutschland hingegen auf dem letzten Platz.

© IMAGO/TT/IMAGO/Jessica Gow/TT

Eurovision Songcontest: Die gefeierte Königin und gescheiterte Lords

„Surreal“, so beschreibt Loreen ihren zweiten ESC-Sieg. Tatsächlich gefiel den Zuschauern ein anderes Lied besser – allerdings nicht der deutsche Auftritt.

Endlich wieder das Leben genießen. Sechs Monate lang hatte sich Loreen mit hartem Training, strenger Diät und natürlich ohne Alkohol auf den Eurovision Song Contest in Liverpool vorbereitet. In der Nacht zum Sonntag, als sie vor die Presse tritt, fällt all die Anspannung von ihr ab. „Ich freue mich jetzt unglaublich auf ein Bier“, sagt sie.

Die Schwedin hat es tatsächlich geschafft, was ihre beim ESC erfolgsverwöhnte Heimat von ihr erwartet hatte. Loreen (583 Punkte) hat den Songwettbewerb vor Finnland (526 Punkte) gewonnen. Für sie nach 2012 mit „Euphoria“ der zweite Erfolg – das gelang bisher einzig dem Iren Johnny Logan (1980 und 1987).

Ich bin so stolz und dankbar.

Loreen nach ihrem ESC-Triumph

Ob es jetzt nicht mal Zeit wäre für ein Duett der beiden, will ein Journalist wissen. „Ja, klar“, sagt Loreen, „Wenn Johnny Lust hat.“ ESC-Fans bekommen bei der Vorstellung wahrscheinlich feuchte Augen vor Rührung.

Loreen galt bei diesem ESC von Beginn an als große Favoritin, ihr Song „Tattoo“ war bereits vor dem Finale am Samstag in vielen Ländern in den Charts. Dass daraus aber auch ein Sieg wird, ist nicht selbstverständlich. „Ich bin so stolz und dankbar. Aber es fühlt sich auch surreal an“, versucht Loreen ihre Emotionen in Worte zu packen.

7
Siege beim ESC hat Schweden nun insgesamt. Gemeinsam mit Irland die meisten.

Dabei ist auch klar: Den Zuschauern hat eigentlich der Auftritt des Finnen Käärijä am besten gefallen. Er stürmte, sprang und schrie sich in seinem neongrünen Bolero und seinem Lied „Cha Cha Cha“ in die Herzen des Publikums. Ein Blick auf die Ergebnisse des Televotings zeigt, dass Finnland von den nationalen Zuschauern mit Abstand am meisten Punkte erhielt. Für Loreen gab es hier nicht einmal 12 Punkte.

Doch wer gewinnen will, der muss auch die Jurys überzeugen. Ihre Punkte sind andere Hälfte des Endergebnisses. Und hier wiederum lag Loreen überdeutlich vorne. Die Schwedin ist also der Kritikerliebling, Käärijä der Sieger der Herzen. Israel kam schließlich mit einer discotauglichen Frauenhymne auf Platz drei (362 Punkte), Italien mit Marco Mengoni und der schönsten Ballade des Abends auf Platz vier (350 Punkte).

Mit all dem hatten die deutschen Kandidaten, die Hard-Rocker von Lord of the Lost, nichts zu tun. Für sie bedeuteten magere 18 Punkte den letzten Platz. Mal wieder, muss man sagen. Schon im vergangenen Jahr war Deutschland letzter geworden, seit 2019 endete der Wettbewerb immer auf einem der beiden unteren Ränge.

„Natürlich ist das hart, auf dem letzten Platz zu landen. Wir haben auch echt nicht damit gerechnet“, erklärte Lord-Of-The-Lost-Sänger Chris Harms hinterher. Tatsächlich hatte sich die deutsche Delegation in diesem Jahr bessere Chancen ausgerechnet.

Wir sind mit einem außergewöhnlichen Act gestartet.

Andreas Gerling, Chef des ARD-Teams für den Contest beim NDR

Denn mit Lord of the Lost trat eine Band mit Alleinstellungsmerkmal an, die langjährige Bühnenerfahrung und eine internationale Fanszene hat. „Wir sind mit einem außergewöhnlichen Act gestartet, der überhaupt nicht das Ergebnis erzielt hat, das wir uns gewünscht haben. Das ist sehr, sehr enttäuschend und ernüchternd“, so der Chef des ARD-Teams für den Contest beim NDR, Andreas Gerling. „Der Diskussion und Überlegung, warum auch dieser Titel beim ESC nicht verfangen hat, müssen und werden wir uns jetzt stellen.“

Enttäuscht über den letzten Platz: Lord of the Lost.
Enttäuscht über den letzten Platz: Lord of the Lost.

© dpa/Peter Kneffel

In der Halle selbst waren die Deutschen eine der wenigen Gruppen, die direkt mit dem Publikum interagierten. Ohnehin sorgten die Fans in Liverpool für einen der stimmungsvollsten und lautesten Songcontests der vergangenen Jahre. Und auch das Moderatorenteam, allen voran Hannah Waddingham und Graham Norton, sorgte endlich mal wieder für eine humorvolle und unterhaltsame Show ohne peinliche Pausen und missglückte Gags.

Hannah Waddingham und Graham Norton waren die heimlichen Stars des Abends.
Hannah Waddingham und Graham Norton waren die heimlichen Stars des Abends.

© AFP/OLI SCARFF

Noch etwas machte den ESC 2023 besonders: Zum ersten Mal konnte mit der Ukraine ein Vorjahressieger den Wettbewerb wegen eines Krieges nicht austragen, Großbritannien war als Zweitplatzierter eingesprungen. Beide Ländern organisierten den Contest gemeinsam.

In der ganzen Stadt und in den Shows war die Ukraine auch präsent, doch alle Auftritte, Bilder aus dem Land oder Moderationen auf Ukrainisch können einen ESC im eigenen Land sicher nicht ersetzen. So blieb es am Ende auch ein seltsam unpolitischer Wettbewerb inmitten einer politisch höchst angespannten Lage.

„Die Farben der Ukraine waren auch diesmal wieder siegreich“, erklärt schließlich ein Vertreter der schwedischen Delegation auf der finalen Pressekonferenz. Denn auch die schwedische Flagge ist blau-gelb. Wo genau der Wettbewerb 2024 ausgetragen wird, steht noch nicht fest. Doch Loreen findet, „es muss doch Stockholm sein“.

Und wie es das Schicksal so will, jährt sich im nächsten Jahr der ESC-Sieg von Abba zum 50. Mal. Dann aber ohne Peter Urban. Er kommentierte am Samstag zum letzten mal den Wettbewerb für die ARD. Der 75-Jährige verabschiedete sich in der Nacht zum Sonntag von den Fernsehzuschauern mit den Worten: „Es war mir immer ein Vergnügen und eine große Ehre. Von einem wunderbaren ESC in Liverpool sage ich bye-bye. Ihr Peter Urban. Danke.“

Zur Startseite